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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Maerz 2006; 16:14
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In eigener Sache/Prinzipielles/Glosse:
> Lob der Differenz
Zur Veroeffentlichungspraxis der akin im Speziellen und zur Politik als 
Streitform im Allgemeinen
Ein Leserbriefschreiber ist boese auf uns. Wir haben manche seiner Briefe 
nicht abgedruckt, unter anderem deswegen, weil wir seine Meinung in der akin 
nicht dulden wollten. Und da muss ich ihm teilweise sogar recht geben. Denn 
zum Teil haben wir seine Leserbriefe zwar auch deswegen nicht abgedruckt, 
weil in ihnen hanebuechene Behauptungen aufgestellt wurden, die nicht 
wirklich glaubwuerdig belegbar waren. Aber teilweise haben wir tatsaechlich 
auf einen Abdruck verzichtet, weil wir nicht seiner Meinung waren.
Nun ist das eine harte Ansage fuer einen Mitarbeiter einer Zeitschrift, die 
sich explizit der Diskussion verschrieben hat. Aber man muss es tatsaechlich 
mal so sagen, denn wir sind nunmal nicht bereit, Diskussionen ueber einen 
bestimmten Rahmen hinaus laufen zu lassen.
Um das zu erklaeren und zu verteidigen, muss ich ins Prinzipielle gehen: 
Jedes im politischen Raum agierende Institut (eine Partei, eine NGO, eine 
Zeitungsredaktion) muss sich abgrenzen, muss seine Selbstverstaendlichkeiten 
definieren. Warum? Weil es sonst droht, in die Beliebigkeit abzurutschen und 
seinen Zweck aus den Augen zu verlieren.
Schoene Beispiele sind dafuer in letzter Zeit beispielsweise die Gruenen: 
Dort kann man aus lauter Pluralismus jede Meinung vertreten, solange sie 
nicht gerade pro Atomkraft oder antisemitisch ist. Man darf dort 
anarchistisch gesinnt sein oder sozialdemokratisch oder auch 
kapitalfreundlich, fuer den Sozialstaat oder fuer das freie Unternehmertum, 
fuer oder gegen das Militaer, fuer mehr Polizei oder fuer weniger Polizei --  
und natuerlich fuer alle moeglichen Koalitionen. Es ist scheissegal, wofuer 
man eintritt -- wenn man im Fernsehen gut rueberkommt, kann man bei den 
Gruenen was werden. Inhalte verwaessern immer mehr und keinen scherts.
Von den Sozialdemokraten ist man derlei ja gewohnt, dennoch sind die gerade 
jetzt beim OeGB und der BAWAG bekanntgewordenen Machenschaften 
symptomatisch: Eine Bank, urspruenglich zur Verwaltung von 
Gewerkschaftsgeldern gegruendet, macht Geschaefte des Grosskapitals, die 
sich gegen die Arbeitnehmer richten -- und muss dann durch 
Gewerkschaftsgelder am Leben erhalten werden. Die Katze beisst sich in den 
Schwanz: Der Hilfsapparat Bank wird zum Hauptzweck, die Gewerkschaft zum 
Hilfsapparat der Bank. Einfach deswegen, weil der Eigentuemer der BAWAG 
vergessen hat, wozu diese Bank eigentlich gedacht war: Zur Unterstuetzung 
der Arbeiter gegen die geballte Macht des Kapitals.
Und so gibt es viele Beispiele, warum eine Abgrenzung von Institutionen 
noetig ist. Wuerde beispielsweise H.C.Strache Mitglied bei Asyl in Not 
werden wollen, wuerde ihn der Verein wolle drehtuermaessig hinausschmeissen. 
Vollkommen zu recht und niemand koennte das undemokratisch nennen.
Wuerde ich hingegen der FPOe beitreten wollen, schmisse sie mich auch sehr 
schnell raus -- vollkommen zu recht.
Und so geht es auch bei der akin zu -- einen Leserbrief, der uns 
beispielsweise erklaert, dass die CIA gegruendet wurde, um die Welt vor dem 
Faschismus zu schuetzen, oder dass die Linke nicht so antiquiert 
antikapitalistisch sein soll, drucken wir nicht ab. In einem Blatt, das sich 
als antikapitalistisch sieht, hat eine Diskussion, ob der Kapitalismus mehr 
oder weniger toll ist, keinen Platz. Denn: Eine Diskussion, in der alle 
Meinungen vorkommen koennen, kann nie zur Vertiefung einer Theoriebildung 
dienen. Bisweilen kann man so eine Dissidenz schon mal vorkommen lassen, um 
nicht nur immer im eigenen Sud zu koecheln. Das kann belebend wirken und uns 
vielleicht auch mal helfen, uns zu ueberlegen, ob wir eigentlich noch in der 
Lage sind, linke Selbstverstaendlichkeiten anderen zu erklaeren. Nur darf 
das nicht ueberhand nehmen und es muss tatsaechlich an einem gewissen 
Grundkonsens anknuepfen, um ueber diesen dann hinausgehen zu koennen. Das 
bedarf beim Schreiber aber eines gewissen Verstaendnisses des 
Grundkonsenses. Eine Kritik, die den laufenden Diskurs innerhalb einer 
Community nicht verstanden hat, ist in einer solchen Publikation voellig 
fehl am Platz. Ich versuchs noch einmal mit Beispielen: Sich in einem linken 
Blatt darueber beschweren zu wollen, dass es so antikapitalistisch ist, ist 
so, wie wenn ich die kathpress dazu bringen wollte, einen Aussendung von mir 
zu publizieren, in der ich bekrittle, dass ausgerechnet ein Katholik Papst 
geworden ist. Dass letzteres Unfug ist, ist wohl Katholiken wie 
Nichtkatholiken klar. Wieso muessen wir dann ersteres erklaeren?
Eine innerinstitutionelle Demokratie ist eine wichtige Sache, doch muss man 
hier tatsaechlich auch Grenzen ziehen, da sonst der Zweck des jeweiligen 
Instituts verloren geht. D.h.: Wenn das Institut von Kritikern, Reformern, 
Modernisierern udgl. dazu gebracht werden soll, fuer das Gegenteil dessen zu 
dienen, wofuer es gegruendet worden ist und betrieben wird, wird der 
Pluralismus zur inhaltlich toedlichen Falle fuer das Institut. Also muss 
sich das Institut gegen seine zweckwidrige Nutzung wehren.
Da kommt dann aber rasch der Vorwurf des Stalinismus. Gerade die 
alternative, undogmatische Linke ist vom Stalinismus traumatisiert. Zum 
einen, weil sie sich selbst von stalinistischen Parteien distanzieren 
musste, zum anderen, weil ihnen -- egal was sie sagten -- die Sowjetunion 
immer als Argument entgegengeschleudert worden war. So versuchte man halt 
gerne, moeglichst "tolerant" gegenueber allen moeglichen Meinungen zu 
sein -- diese Form der Konfliktunfaehigkeit fuehrte dazu, dass der Vorwurf 
des Stalinismus heute sehr schnell bei der Hand ist, wenn jemand eine 
Diskussion verweigert. Auch der Leserbriefschreiber rueckte uns in die Naehe 
des Stalinismus.
Aber was ist das eigentlich? Stalinismus ist m.E. unter Vorgabe 
sozialistischer Ziele der Wille und die Praxis eines Staates (der angeblich 
alle vertritt), Dissidenten gesellschaftlich oder gar physisch zu 
vernichten -- d.h. sie aus einer Gemeinschaft auszuschliessen, von der sie 
abhaengig sind. Und zweitens ist Stalinismus, ein solches Verhalten 
gutzuheissen. Politische institute, die aber weder mit dem Staat ident sind 
noch solche staatlichen Praktiken gutheissen, sind folglich kaum als 
stalinistisch zu begreifen. Damit sind aber ganz andere Kriterien bezueglich 
des Pluralismus anzulegen.
Wenn ein solches Institut sich also von einem Kritiker trennt, weil dieser 
nicht nur gegen die Institutspraxis oder die Institutslinie, sondern 
tatsaechlich gegen den Institutszweck agiert, dann ist das das gute Recht 
des Instituts, insofern der Kritiker unter Kenntnis des Institutszwecks 
freiwillig diesem beigetreten ist. Bin ich in einem Land als dessen 
Staatsbuerger geboren, habe ich mich nicht dafuer entschieden -- d.h. der 
Staat hat mich als Buerger zu dulden. Trete ich aber einem Verein bei, muss 
der mich nicht dulden -- zwar ist es mein demokratisches Recht, eine 
Leberkaessemmel zu verdruecken, wenn ich das aber bei einer Sitzung eines 
Vereins zur Befoerderung des Vegetarismus tue, wird man mir bestimmt die 
Tuer weisen. Und ich wuerde das einsehen und mich nicht ueber den 
Stalinismus des Vereins beschweren.
Ich weiss: Es ist ein ganz schmaler Grat zwischen autoritaerem Verhalten 
eines Apparats und der inhaltlichen Beliebigkeit. Ein Grat, der auch 
deswegen schwer zu begehen ist, weil er jeweils verschieden verortet wird 
und diese Verortung natuerlich auch eine Frage der Definitionsmacht ist. 
Dennoch muss man als politischer Mensch versuchen, diesen Grat zu finden und 
zu folgen. Alles andere waere Verantwortungslosigkeit.
*Bernhard Redl*
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