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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Maerz 2006; 17:15
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Geschichte:

> Big Brother zeigt sich nackt

Ueber die Dialektik "anti-subversiver" Repression anlaesslich der Premiere
von "Muenchen"


Wir Medienleute machen uns oft Sorgen ueber Big Brother, wie die USA, ihre
zahlreichen Agenten, Polizeikraefte uns ausspionieren. Patriot Acts in den
USA, das gleiche oder aehnliches in Grossbritannien. Wir tun recht daran,
uns Sorgen zu machen. Aber bevor wir uns solange fuerchten bis wir in
Passivitaet und Konformismus untergehen, sollten wir uns daran erinnern,
dass jede These, manchmal mit Verzoegerung, ihr Gegenteil, eine Antithese
erzeugt.

Daran musste ich denken, als ich Spielbergs Film "Muenchen" sah. Ich
schreibe hier keine Filmkritik, aber einige Erinnerungen tauchten auf, daran
wie diese Ereignisse von Muenchen indirekt mein persoenliches und
berufliches (journalistisches) Leben beeinflussten.

Ein Blick zurueck

1973 arbeitete ich als Journalist in Heidelberg unter anderem fuer die
"Overseas Weekly". Die meisten unserer Leser waren durchschnittliche GIs der
7.US-Armee, die in Westdeutschland stationiert waren. Bei den Kommandanten
waren wir nicht sehr beliebt.

Ich hatte gerade ueber ein Kriegsgericht gegen Larry Johnson, eine schwarzen
GI berichtet, der mit Streikmassnahmen gegen die Unterstuetzung des
portugiesischen Kolonialkrieges durch die US-Armee protestiert hatte. Der
Leiter der Untersuchung des Militaergerichts argumentierte mit einer, wie
sich spaeter herausstellte, falschen Information, die er
hoechstwahrscheinlich durch Abhoeren von Telefonverbindungen erlangt hatte.
Der Richter fragte den Leiter der Untersuchung, ob es solche
Abhoermassnahmen gegeben habe. Dieser, hoechst ungehalten, sagte:
"Natuerlich nicht!"

Wir veroeffentlichten eine ziemlich sarkastische Geschichte ueber die
illegalen Abhoermassnahmen an unseren (deutschen zivilen)
Telefonanschluessen und deren angebliche Inexistenz. Die GIs lasen sie und
lachten darueber. Ich muss sagen, ich war ziemlich ueberrascht, als ein paar
Wochen spaeter zwei Soldaten des militaerischen Geheimdienstes, die in
Kaiserslautern stationiert waren,

Transkriptionen dieser angeblich inexistenten abgehoerten Telefongespraeche
unserer privaten und beruflichen Anschluesse ueber zehn Tage auf den Tisch
legten. Sie enthielten Gespraeche, die sich direkt mit dem oben angefuehrten
Johnson-Fall beschaeftigten, mit Details von Zeugenaussagen der
Verteidigung. Sie forderten uns auf, dieses Material zu veroeffentlichen.
Das taten wir und die Folgen waren nicht gering.

Ein fremdes Idiom

Was war der Grund fuer ihre Entscheidung, an die Oeffentlichkeit zu gehen
und ein Risiko zu wagen? Sie fuehrten verschiedene Gruende an. Einer fuehrt
uns zu den Ereignissen bei den Olympischen Spielen 1972, die von dem
Spielberg-Film "Muenchen" in Erinnerung gerufen wurden. Ein
palaestinensisches "Kommando" (heute wuerden sie Terroristen genannt) hatten
israelische Sportler gefangengenommen und etliche getoetet. Die
US-Geheimdiensteinheiten, die zum Gegenkommando gehoerten, fanden zu ihrem
Schrecken heraus, dass sie die abgehoerten Gespraeche nicht verstehen
konnten, weil die Terroristen Arabisch sprachen. Ich fragte McDougal, ob die
sehr konfus agierenden Deutschen keine Arabisch-Dolmetscher gehabt haetten.
Die haetten sie gehabt, aber die Unterlagen trugen alle den Vermerk "NOFORN"
(No Foreigner) und wurden den Deutschen nicht uebergeben.

McDougal und andere erzaehlten spaeter, dass die Ereignisse in Muenchen
total schief gelaufen seien, nicht nur was die beteiligten
US-Geheimdienstler betraf, sondern "die Deutschen waren noch schlimmer": Bei
der Obuktion der 11 israelischen Athleten sei herausgekommen, dass 9 davon
durch Geschosse der untrainierten deutschen Polizisten getoetet worden
waren.(1)

Spaeter wurden dann Arabisch-Spezialisten nach Deutschland geschickt.
McDougal, der von der US-Armee als Arabisch-Spezialist ausgebildet worden
war, wurde nach Kaiserslautern entsandt. Aus Mangel an Arabern, die
ausspioniert haetten werden koennen, wurden diese Spezialisten zur
Ueberwachung von "Dissidenten" wie Vietnam-Kriegs-Gegnern, Rechtsanwaelten,
Journalisten, amerikanischen Demokraten im Ausland, deutschen christlichen
Gruppen, Priestern, deutschen und amerikanischen Kriegsgegnern eingesetzt.

McDougall und andere hatten es satt, Leute "wie sie selbst" auszuspionieren
und gingen an die Oeffentlichkeit. Kurz nachdem die ersten Geschichten in
den grossen Medien aufgetaucht waren (2), versuchte das Hauptquartier des
militaerischen Geheimdienstes in Muenchen, das Leck aufzuspueren und
abzudichten. Ein spezielles Team wurde zu diesem Zweck gebildet und prompt
McDougal mit der Leitung beauftragt. Stunden vor seiner Enttarnung gab er
ein CBS-Interview mit seinem Namen. Nach seinen Motiven befragt, antwortete
McDougal: "Als ich in die Armee eingetreten bin, habe ich einen Eid auf die
Verfassung abgelegt. Viele der Dinge, die wir hier tun, sind gegen die
Verfassung. Ich habe mich beschwert, aber meine Vorgesetzten haben mir
befohlen, den Mund zu halten, weil das nur in Amerika gegen die Verfassung
sei, aber hier, in Deutschland, koennten wir tun, was wir wollten, auch wenn
es sich gegen andere Amerikaner richte...

Gerichtliche Nachspiele

Gegen McDougal wurde ein Militaer-Strafverfahren eingeleitet. Nachdem aber
bekannt wurde, dass die US-amerikanischen Geheimdienste deutsche
Staatsbuerger ausspioniert hatten, zogen es die hoechsten Vorgesetzten doch
vor, alle Anklagen gegen McDougal fallen zu lassen. McDougal wurde zur
Infanterie versetzt, ehrenhaft entlassen, bekam allerdings nicht die
versprochene Befoerderung und arbeitete spaeter als Arabisch-Dolmetsch fuer
amerikanische Medien in Kairo.

Das ganze hatte aber doch noch ein Nachspiel: McDougal und andere
Geheimdienstler unterstuetzten mit Hilfe der American Civil Liberties Union
(ACLU) eine Reihe von Individualklagen vor US-Bundesgerichten. Die Armee
leugnete zuerst und verschleppte dann angesichts von Beweisen die teuren
Zivilverfahren. 1980 gestand sie ihre Aktionen ein, bezahlte etliche
Entschaedigungen, lieferte den 23 Klaegern gut eine halbe Million Dokumente
aus -- und versprach, sowas nie wieder zu tun.
*Max Watts / Ue.:akin*


1) Die Untersuchung der Todesursachen wurde bis vor kurzen sowohl in Israel
als auch in Deutschland geheimgehalten. Aber Spielberg, der dies in seinem
Film nicht thematisierte, sollte davon gewusst haben. Quelle: Uri Avnery,
The Other Israel, 4.2.06

2) New York Times 28.7.1973, S.1ff; CBS (Jack Sheanhan/Walter Cronkite
28.7.73) Spiegel 6.8.73; Stern 8.8.73, et. al.



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