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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Maerz 2006; 17:16
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Buecher:

> (K)ein EU-Buch

Ilka Schroeder (Hg.):
Weltmacht Europa - Hauptstadt Berlin?
Ein EU-Handbuch
213 Seiten, ISBN 3-930786-44-3, Konkret Verlag, Hamburg, 2005, EUR 15,50

Kurz bevor die EU, nach den ablehnenden Referenden zur neuen EU-Verfassung
in Frankreich und den Niederlanden - in Oesterreich und Deutschland hatten
es die Regierungen ja vorgezogen, den Ratifizierungsprozess gleich ohne
Volksabstimmung im Parlament durchzupeitschen - in eine der schwersten
Krisen ihrer Existenz gestuerzt ist, hat die ehemalige
EU-Parlamentsabgeordnete Ilka Schroeder am Ende ihrer EU-politischen
Karriere einen Sammelband zum - nach Meinung der AutorInnen -- deutsch
dominierten imperialistischen Projekt EU herausgegeben.

Neben den Beitraegen der Herausgeberin versammelt der Band u.a. auch Texte
von Markus Euskirchen zur "militaerischen Aussenpolitik" der EU, von Frank
Oliver Sobich zur aussenwirtschaftspolitischen Kokurrenz zwischen den USA
und der EU, von Giovanni Krowalczyk zur Waehrungskonkurrenz zwischen Euro
und Dollar und Sebastian Bischoff zum europaeischen Antiamerikanismus.
Schwerpunkt des Bandes stellt somit eindeutig der Konkurrenzimperialismus
der EU gegenueber den USA dar, der etwa auch in einem gemeinsamen Beitrag
von Ilka Schroeder und André Anchuelo am Beispiel der Nahostpolitik als
"Testfeld europaeischer Grossmachtinteressen" dargelegt wird.
Innereuropaeische Fragen der Sozial- und Wirtschaftspolitik, der
Osterweiterung oder des Beitritts der Tuerkei werden jedoch bestenfalls
periphaer angesprochen. So gesehen ist Schroeders Buch auch weder ein
EU-Buch, noch eine Abhandlung ueber die gegenwaertige Krise der EU, sondern
eben ein thematisch sehr spezifischer Sammelband, der versucht gegen den
wachsenden Antiamerikanismus und die Grossmachtbestrebungen der EU
anzuschreiben. Dass dies nicht von einer politikwissenschaftlichen
Perspektive, sondern aus der Sicht einer sehr jungen Politikerin geschieht,
die als Jugendkandidatin der deutschen Gruenen in das EU-Parlament gewaehlt
wurde, sich aber nach der rotgruenen Kriegsfuehrung gegen Jugoslawien
selbststaendig gemacht hatte und in der Fraktion der Europaeischen Linken
ueberwinterte, verhilft dem Buch einerseits zu einigem Insiderwissens,
laesst aber manchmal den Wunsch nach einer theoretischen Diskussion, die
ueber das blosse Postulieren eigener Positionen hinausgeht, aufkommen.

So ist es zum Beispiel etwas duerftig, wenn Birger Siebert und Frank Oliver
Sobich in ihrem Beitrag ueber die Begeisterung von Nationalisten fuer
Europa, regionalistische Stroemungen in Schottland, Katalonien oder im
Baskenland einfach nur als "durchgeknallte Projekte" (S. 164) oder
"regionalistische Idiotien" (S. 163) bezeichnen ohne den Versuch zu
unternehmen, zu erklaeren, warum denn nun der schottische oder baskische
Nationalismus "idiotischer" oder "durchgeknallter" als der britische oder
spanische sein soll.

Waehrend die grosse Staerke des Bandes in der Aufarbeitung selten oder nur
schwer aufzufindenden Materials liegt, so liegt die Schwaeche in manchmal zu
rasch und zu geradlinig entworfenen Schluessen, die daraus gezogen werden.
In manchen Passagen scheint die zur Verstaendlichmachung notwendige
Vereinfachung und Zuspitzung, die Vielfalt der AkteurInnen innerhalb der EU,
aber auch in Nahost oder den USA und die Widersprueche derselben etwas
auszublenden.

Trotzdem stellt das Buch mit der Fuelle an bearbeiteten Fragen und an
zugaenglich gemachtem Material, einen unverzichtbarer Beitrag fuer die
Debatte ueber die Entwicklung der EU hin zu einem politischen
imperialistischen Projekt dar.
*Thomas Schmidinger*


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