**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Februar 2006; 21:13
**********************************************************

"Karikaturenstreit"/Glosse I:

> Religionsfreiheit!

Die Ausschreitungen des fanatisierten Mob, auf die Strasse geschickt von
antidemokratischen Regimen islamisch beherrschter Staaten, sind nicht nur
ein Angriff auf die Freiheit der Medien, sondern auch ein dreister Angriff
auf die Religionsfreiheit. Gleiches gilt fuer Forderungen nach Sanktionen
gegen Medien und Publizisten, wie sie selbst hierzulande laut geworden sind.

Die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsaeusserung (Artikel 10 der
Europaeischen Menschenrechtskonvention) schuetzt auch die Verbreitung von
Meinungen, die schockierend, irritierend und verletzend sind. Freie Medien
sind die Wachhunde der Demokratie. Der Europaeische Gerichtshof fuer
Menschenrechte hat das wiederholt festgestellt.

Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9 EMRK) schuetzt
auch die Freiheit, keine Religion zu haben, vom Glauben abzufallen,
Religionen ueberhaupt abzulehnen: Die Freiheit von Religion. Sie schuetzt
religioese und antireligioese Weltanschauungen in gleichem Mass.

Daher schuetzt sie auch die Freiheit, Religionen zu kritisieren, sich
darueber lustig zu machen, sie zu karikieren. Das muessen alle jene zur
Kenntnis nehmen, die so lautstark (und durchaus mit Recht) fuer sich selbst
Religionsfreiheit fordern: Gleiches Recht fuer alle!

Die Religionsfreiheit wurde - ebenso wie die Pressefreiheit - hart erkaempft
gegen Kirche und Staat. Heute ist sie wieder in Gefahr.

Islamistische Demagogen haben es geschafft, die Oeffentlichkeit
irrezufuehren. In den Medien wird diskutiert, als ginge es um einen Konflikt
zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit. Auch sonst ernstzunehmende Leute
fallen darauf herein. In Wirklichkeit sind beide Grundrechte vom selben
Feind, dem religioesen Fanatismus, bedroht.

Manche meinen tatsaechlich, die Religionsfreiheit schuetze die "Gefuehle"
der Religioesen vor so schlimmen Gefahren wie Kritik und Ironie. Davon steht
kein Wort in der Menschenrechtskonvention.

Niemand hindert die Musliminnen und Muslime hierzulande an der Ausuebung
ihrer Religion. Sie duerfen ihren Gott anbeten und ihren Propheten verehren.
Sie muessen keinen der beiden abbilden oder karikieren; niemand zwingt sie
dazu. Musliminnen duerfen ihre Kopftuecher tragen, sogar im oeffentlichen
Dienst. Nur andere dazu zwingen - das duerfen sie nicht.

Das alles gestehe ich ihnen gerne zu. Aber dafuer erwarte ich mir von ihnen
auch ein bisschen Respekt vor meiner nichtreligioesen Weltanschauung, die
ich - gemaess Artikel 9 EMRK (Religionsfreiheit) - allein oder in
Gemeinschaft mit anderen, privat oder oeffentlich, frei und offen ausueben
darf.

Ich erwarte von ihnen daher auch Respekt vor antireligioesen Filmen wie
"Submission", vor Buechern, die mir etwas bedeuten, wie Ayaan Hirsi Alis
"Ich klage an", vor Salman Rushdies "Satanischen Versen" - und sogar vor den
Karikaturen in Daenemark. Auch diese sind durch die Religionsfreiheit ebenso
wie durch die Pressefreiheit geschuetzt.

Das "Bilderverbot" des Islam gilt fuer uns Unglaeubige nicht. Niemand zwingt
die Musliminnen und Muslime, ihren Gott oder ihren Propheten abzubilden.
Aber sie duerfen uns Unglaeubige nicht hindern, es zu tun.

Aber sie fuehlen sich doch verletzt dadurch? Wie schlimm. Aber wisst Ihr,
liebe Musliminnen und Muslime: Ich fuehle mich auch oft verletzt.

Ich bin immer wieder aufs Neue erschuettert und fuehle mich von den
Auswuechsen Eurer Religion beleidigt und verletzt, wenn mir Frauen, die aus
islamischen Laendern gefluechtet sind, erzaehlen, wie sie dort behandelt
worden sind.

Ich fuehle mich auch verletzt, wenn Schulmaedchen in Wien mit Kopftuch auf
die Strasse geschickt werden, um gegen die "Beleidigung ihres Propheten" zu
demonstrieren; sie wissen noch nicht, welche Beleidigungen ihrer eigenen,
ganz persoenlichen, ganz intimen Gefuehle ihnen seitens ihrer
Glaubensrichtung drohen.

Ich empfinde das als Provokation und als dreiste Verhoehnung meiner
nichtreligioesen Gefuehle, die von der Verfassung und der
Menschenrechtskonvention genauso geschuetzt sind wie die religioesen
Gefuehle der Christen und Muslime.

Das Kopftuch als religioeses Symbol verletzt mich, den Antireligioesen. Ich
mag es nicht sehen, genauso wenig wie das Kreuz. Aber das ist nur mein
eigenes Problem, dagegen kann ich nichts tun. Mein Gefuehl, aus religioesen
Gruenden beleidigt zu werden, muss ich runterschlucken. Denn ich achte die
Freiheit der Religion.

Das Kopftuch ist aber auch ein politisches Symbol der Unterdrueckung der
Frauen, der Jugend, der Sexualitaet; es beleidigt mich daher auch in meiner
Eigenschaft als Demokraten, als Antifaschisten, als Vorstandsmitglied von
SOS Mitmensch und als Obmann von Asyl in Not.

Als religioeses Symbol respektiere ich das Kopftuch ebenso wie das
Bilderverbot: Wer seinen Gott nicht abbilden will, muss es nicht tun. Wer
das Kopftuch (freiwillig!) tragen will, soll das tun. Aber ohne andere Leute
dazu zu zwingen oder auch nur dazu zu draengen, wie es leider auch in Wien
mitunter geschieht!

Als politisches Symbol, das fuer Millionen Frauen im Iran, in Algerien, in
Afghanistan, in Saudi-Arabien, Pakistan, Irak, Njgeria, Somalia, Sudan und
vielen anderen Laendern (und vielleicht schon bald in Palaestina unter der
Herrschaft der Hamas!) Verfolgung, Peitschenhiebe, Folter, Gefaengnis und
Tod oder die Flucht bedeutet, bekaempfe ich aber das Kopftuch mit aller
meiner Kraft: als ein Symbol des Fanatismus und der Repression.
*Michael Genner* (gek.)



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin