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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 31. Jaenner 2006; 17:58
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Israel/Palaestina/Glosse:

> Paradoxe Friedenschance

Angela Merkel hat als erste Reaktion auf die palaestinensischen Wahlen etwas
gesagt, was wohl fuer die Position vieler EU-Mitgliedsregierungen steht: Man
werde mit der Hamas nur reden, wenn deren Verhalten "demokratischen
Standards" entspraeche. Tja und da hakt es bereits, denn einer demokratisch
gewaehlten Partei, die ab demnaechst das palaestinensische Volk vertreten
wird, zu sagen, sie solle sich demokratisieren, waehrend man selbst nur
bedingt bereit ist, das Ergebnis einer Wahl anzuerkennen, zeugt ja wohl
selbst nicht gerade von demokratischen Standards.

Auf den ersten Schock haben sich die Hohen Damen und Herren dann doch mit
der Realitaet vertraut gemacht; eine Anerkennung und vor allem Kooperation
mit einer Hamas-Regierung wird dennoch an Bedingungen verknuepft -- zuerst
einmal an die Abgabe verbaler Willensbekundungen. Doch selbst diese
Bedingungen sind im Moment fuer die Hamas unzumutbar und es ist fraglich, ob
es sinnvoll ist, gleich soviel Druck auf eine Gruppe auszuueben, die selbst
noch keine Ahnung hat, wie sie mit der unerwarteten Situation umgehen soll.

Der Wahlsieg der Hamas ist kein Grund zum Jubeln. Das Problem liegt aber
nicht in der Hamas, sondern daran, dass die Palaestinenser kein Vertrauen
mehr in ihre bisherige, gemaessigtere Fuehrung haben. Das haengt sicher auch
damit zusammen, dass die Fatah durch und durch korrupt ist, aber drueber
haette man hinweggesehen. Viel mehr ist wohl das Gefuehl vorhanden, dass die
fruehere PLO-Speerspitze sich von der israelischen Regierung zu einer
willfaehrigen Erfuellungsgehilfin wandeln habe lassen. Die israelische
Regierung hat solange betont, mit wem sie aller nicht reden will, bis eine
Fatah-Fuehrung an die bescheidene Macht kam, die Sharon und Genossen brav
genug war. Und dann hat man mit dieser Fuehrung auch nicht mehr geredet,
sondern einfach von sich aus einsame Schritte dessen gesetzt, was Sharon so
unter Friedensprozess verstand. Selbst wenn man eingestehen muss, dass
Sharons Politik der letzten Jahre nicht mehr die Politik des alten Falken
war, sondern er sich mit vielen in seiner eigenen Partei wegen seiner
Siedlerpolitik solange zerkriegte, dass er einer Absetzung seiner Person von
der Likud-Spitze mit der Gruendung einer neuen Partei zuvorkommen musste, so
trieb er doch den Mauerbau voran und demuetigte die Palaestinenser eben vor
allem dadurch, dass er mit ihnen keinerlei Dialog mehr fuehrte -- was ein
sehr schlechtes Licht auf die Fatah warf. Die Rechnung fuer diese Politik
wurde jetzt serviert.

Demnaechst wird auch in Israel gewaehlt und eine neue Regierung bestellt --
und dass die palaestinensische Fuehrung ihr neues vis-a-vis wird akzeptieren
muessen, erscheint klar. Doch andersherum muesste es genauso sein. Man kann
niemanden als Verhandlungspartner anerkennen, wenn die durch diesen
Vertretenen nicht nur nicht der Meinung sind, dass er sie vertritt, sondern
diese Meinung auch militant in politisches resp. militaerisches Verhalten
umsetzen.

Vielleicht ist daher der Wahlsieg der Hamas ein moeglicher Ansatz wirklich
zum Frieden zu kommen -- so paradox das klingen mag. Erinnern wir uns,
welche zwei Politiker in diesem Konflikt einen bislang einzigartigen
Handschlag zelebrierten: Es waren Rabin, der im Ruf eines unbedingten Falken
stand, und Arafat, die Ikone des palaestinensischen Widerstands. Gerade
deswegen, weil beide absolut im Geruch der Unversoehnlichkeit standen,
hatten sie die Autoritaet, die von ihnen in diesem Konflikt vertretenen
Parteien auch wirklich so zu vertreten, dass sie daheim nur bei wenigen als
Verraeter dastanden. Waere Rabin nicht bald darauf ermordet worden, haette
der Friedensprozess vielleicht sogar Erfolg haben koennen.

Bei den israelischen Wahlen wird wohl als Reaktion auf die Hamaswahl eine
Koalition die Mehrheit bekommen, die in einem Hardliner-Ruf stehen wird.
Doch Politiker sind flexibel -- faktisch wird nunmal die andere Seite von
der Hamas vertreten werden und beide Seiten werden mit dieser
Konfrontationstellung leben muessen. Und sie werden vielleicht eher sowas
wie Frieden zustandebringen als Fuehrer, die man fuer zu lasch haelt.

Wobei die Betonung natuerlich auf "eher" liegt -- denn ob Wahlergebnisse
ueberhaupt irgendwelchen Einfluss auf die seit Generationen verfahrene
Situation haben koennen, wagt man ja kaum zu hoffen, wenn man nicht als
Naivling dastehen will.

Die Hamas erscheint nun als einzige legitime Vertreterin der Palaestinenser.
Das mag den europaeischen Leadern genausowenig gefallen wie mir Pazifisten,
aber es ist nunmal Realitaet. Eine Katastrophe ist dieser Wahlausgang jedoch
keinesfalls.
*Bernhard Redl*


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