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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 31. Jaenner 2006; 17:32
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Mexiko:
> Die exzellente Alternative
Der Weg eines Reifenwerks von Conti zur Selbstverwaltung
Am Mittwoch vergab das "Public Eye" in Davos zum ersten Mal den Positive 
Award fuer erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen 
Nichtregierungsorganisationen.
Einheitslohn, Selbstverwaltung und die Fabrik im Besitz der Beschaeftigten. 
Vor vier Jahren haette Federico Martínez wohl nur muede gelaechelt, wenn man 
ihm gesagt haette, dass er eines Tages unter solchen Bedingungen wieder in 
seinem Betrieb arbeiten werde. «Es sah nicht gut aus», erinnert sich der 
Maschinenmechaniker. Viele hatten das Reifenwerk Euzkadi schon 
abgeschrieben.
Anfang 2002 gehoerte der Betrieb in El Salto nahe der mexikanischen Stadt 
Guadalajara noch dem deutschen Konzern Continental, und der hatte das Werk 
gerade aus Rentabilitaetsgruenden geschlossen. Die Mitglieder der 
Betriebsgewerkschaft Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de 
Euzkadi (SNRTE) traten daraufhin in einen Streik. Drei Jahre lang kaempften 
sie fuer die Wiedereroeffnung, die mageren Entschaedigungsangebote lehnten 
sie ab. Dann liess sich der Hannoveraner Konzern auf einen ungewoehnlichen 
Kompromiss ein: Anstatt die ausstehenden Loehne zu bezahlen, ueberschrieb er 
die Haelfte des Betriebs einer Genossenschaft der ArbeiterInnen. Die andere 
Haelfte uebernahm der mexikanische Reifengrosshaendler Llanti Systems. 
Continental verpflichtete sich zudem, in den ersten Monaten technische Hilfe 
zu leisten, Rohstoffe zu guenstigen Preisen zu liefern und jaehrlich 
mindestens 500 000 Reifen abzunehmen. Die mexikanische Regierung ihrerseits 
verzichtete auf Steuern und half mit einer Finanzspritze von fuenfzig 
Millionen Pesos (etwa sechs Millionen Franken).
«Die Angestellten haben beschlossen, dieses Angebot zu akzeptieren», 
erzaehlt Martínez. Das war die Geburtsstunde der Kooperative der Arbeiter 
des Westens (Tradoc). Seit Anfang letzten Jahres betreibt Tradoc das Werk 
gemeinsam mit Llanti Systems. Die meisten der 604 am Streik beteiligten 
Beschaeftigten arbeiten nun wieder im Betrieb. Durch die Ueberschreibung der 
ausstehenden Loehne und Entschaedigungen sind sie an der Kooperative 
beteiligt. Nicht nur die Eigentumsverhaeltnisse haben sich geaendert. 
Martínez, der einst Maschinen gewartet hat, repraesentiert Tradoc heute auch 
nach aussen. Zudem ist er fuer Abfallentsorgung und Recycling 
verantwortlich. «Die Arbeiter uebernehmen alles, auch die gesamte Planung», 
sagt Exgewerkschafter Jesús Torres Nuño. Der ehemalige SNRTE-Vorsitzende und 
radikale Arbeitervertreter ist heute Mediensprecher des Unternehmens. Eine 
Umstellung? «Nein, wir sind ja eher Genossenschafter als Unternehmer.» Eine 
Kooperative sei fuer GewerkschafterInnen die passende Betriebsform. «Wir 
fuehlen uns nicht ausgebeutet, weil der erwirtschaftete Reichtum unter allen 
verteilt wird.»
Allerdings raeumt der frischgebackene Unternehmenssprecher ein, dass dieser 
Reichtum bescheiden ist. «Wir sind weit entfernt von den Loehnen, die 
frueher ausgezahlt wurden», sagt Torres Nuño. JedeR ArbeiterIn erhaelt 6000 
Pesos (etwa 730 Franken) monatlich. «Das ist nicht viel, aber es reicht zum 
Ueberleben.» Noch laesst die Produktivitaet zu wuenschen uebrig. Seit Mitte 
letzten Jahres laufen in El Salto wieder Reifen vom Band, derzeit etwa 3500 
taeglich. «Damit der Betrieb keine Verluste schreibt, muessen es jedoch 
mindestens 5000 sein», sagt Torres Nuño. Er macht die knappen Lieferungen 
des wichtigsten Rohstoffes Erdoel fuer den geringen Ausstoss verantwortlich. 
Nach dem Hurrikan Katrina laegen immer noch viele Raffinerien in Texas, von 
denen man das Material bezogen habe, still. Dennoch ist Torres Nuño 
optimistisch: «Bis zum Jahresende werden wir bei 5000 Reifen pro Tag sein. 
Wenn nicht, tragen die Arbeiter im Gegensatz zu frueher das volle 
Betriebsrisiko.»
Die deutsche Continental hatte das Euzkadi-Werk im Jahr 1998 gekauft und 
wollte die geltenden Tarifregelungen aushebeln. Die Arbeitszeit sollte auf 
zwoelf Stunden erhoeht und die Gewerkschaftsfuehrer entlassen werden. Als 
sich die Beschaeftigten wehrten, schloss der Konzern den Betrieb und setzte 
alle 1164 ArbeiterInnen auf die Strasse. Ein Teil der Entlassenen 
akzeptierte Entschaedigungszahlungen, etwa die Haelfte kaempfte mit der 
SNRTE fuer eine Wiedereroeffnung. Ohne Einnahmen, voellig auf die Hilfe von 
Familie und FreundInnen angewiesen, wurde der Kampf zum unglaublichen 
Kraftakt. Dennoch blieben sie standhaft. Immer wieder reisten Delegationen 
nach Deutschland, sprachen mit GewerkschafterInnen, PolitikerInnen und auf 
Continental-Aktionaersversammlungen. Auch internationale Menschenrechts- und 
Entwicklungsorganisationen wie Foodfirst Information and Action Network 
(FIAN) und Germanwatch (s. ganz unten) setzten sich fuer die ArbeiterInnen 
ein.
Mehrere mexikanische Gerichte gaben den Euzkadi-ArbeiterInnen Recht, der 
Reifenmulti legte jedoch regelmaessig Rekurs ein. Das Unternehmen geriet 
zunehmend unter Druck: In Deutschland erschienen kritische Presseberichte, 
in Mexiko befand das hoechste zustaendige Gericht den Arbeitskampf fuer 
rechtens. Die Hannoveraner wurden verpflichtet, 27 Millionen Euro (rund 
vierzig Millionen Franken) Lohnrueckstaende zu zahlen. Continental musste 
also verhandeln, und so einigten sich SNRTE, Llanti Systems und der Konzern 
am 17. Januar 2005 auf eine Wiedereroeffnung des Werks. Bei der 
Unterzeichnung war auch Mexikos Praesident Vicente Fox anwesend. Die 
Vereinbarung sei eine «exzellente Alternative», um den «vermeintlichen 
Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital» zu ueberwinden, meinte der 
konservativ-liberale Staatschef.
Zuvor hatte sich die Regierung lange Zeit gegen den Kampf der 
Euzkadi-ArbeiterInnen gestellt. Trotzdem kommt heute selbst von 
Exgewerkschafter Federico Martínez kein schlechtes Wort ueber die 
VerhandlungspartnerInnen. «Regierung und Continental haben sich an alle 
Vereinbarungen gehalten», sagt er. Auch die Zusammenarbeit mit Llanti 
Systems funktioniere reibungslos. Fuer Torres Nuño hat das 
Kooperationsprojekt geradezu Modellcharakter: «Wir haben den Anfang fuer 
eine Reihe von Loesungen dieser Art geschaffen, schliesslich sind in Mexiko 
viele Unternehmen von der Schliessung bedroht.»
Die Einigung hatte aber noch weitere Konsequenzen. Die SNRTE galt als 
wichtigste Gegnerin der von Fox geplanten Abschaffung des arbeitsrechtlichen 
«Vertragsgesetzes», das bisher eine Ausweitung der Rechte transnationaler 
Konzerne in Mexiko verhinderte. Von der Gewerkschaft zur Unternehmerin 
konvertiert, hat die SNRTE diese Opposition aufgegeben. «Das war der Preis», 
raeumt SNRTE-Berater Enrique Gómez ein. «Aber was haetten wir anderes tun 
sollen?»
Der Vorschlag eines Arbeiters, dass Llanti Systems den gesamten Betrieb 
aufkauft und die SNRTE als Gewerkschaft erhalten bliebe, stiess bei Llanti 
auf Ablehnung: «Als Geschaeftspartner wollen wir sie gerne, aber als 
Gewerkschafter nicht.» (Wolf-Dieter Vogel, WoZ 26.1.06)
Quelle: http://www.woz.ch/artikel/newsletter/12864.html
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Kasten:
> Public Eye Awards
In Davos wurden neben dem Positive Award gleichzeitig zum zweiten Mal auch 
die Public Eye Awards an verantwortungslose Unternehmen verliehen.
• In der Kategorie Steuern bekam das US-amerikanische Grossunternehmen 
Citibank den Schmaehpreis fuer seine Beihilfe zur Steuerhinterziehung und 
Geldwaescherei. Der Konzern verwaltete beispielsweise geheime Konten fuer 
die Familie des mittlerweile verstorbenen ehemaligen nigerianischen 
Diktators Sani Abacha.
• In der Kategorie Soziales gewann das US-amerikanische Grossunternehmen 
Walt Disney den Public Eye Award fuer die Arbeits- und 
Menschenrechtsverletzungen in seinen chinesischen Zulieferbetrieben. Deren 
Angestellte stellen unter prekaeren Bedingungen Spielwaren her.
• In der Kategorie Umwelt erhielt der US-amerikanische Oelkonzern Chevron 
den Schmaehpreis fuer seine seit dreissig Jahren andauernde Verschmutzung 
grosser Amazonasgebiete im Norden Ecuadors.
Das Public Eye on Davos findet alljaehrlich als Gegenveranstaltung zum World 
Economic Forum (WEF) in Davos statt. Es ist ein Projekt von 
Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt und wird von der "Erklaerung 
von Bern" koordiniert. (WoZ/wikipedia)
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