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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 31. Jaenner 2006; 17:38
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EU/"Bolkestein":

> Phase "D"

Trotz Scheitern der Verfassung paukt die EU die Dienstleistungsrichtlinie
durch

Als sich im Mai/Juni 2005 in Frankreich und den Niederlanden eine Mehrheit
der Bevoelkerung gegen die EU-Verfassung aussprach, war der Katzenjammer
gross. Um der Krise Herr zu werden, rief die EU-Kommission eine Phase D aus.
«D» steht offiziell fuer Dialog, tatsaechlich aber fuer Durchdruecken, wie
die aktuelle Entwicklung bei der Dienstleistungsrichtlinie zeigt.

Die Dienstleistungsrichtlinie fuer den europaeischen Binnenmarkt, genannt
Bolkesteinrichtlinie, ist eines der am staerksten umstrittenen Bruesseler
Projekte, sie spielte fuer den Ausgang der Volksabstimmungen eine nicht zu
unterschaetzende Rolle. Wie in einem Brennglas konzentriert sie alles, was
am Verfassungsentwurf als neoliberal kritisiert wird. Statt Arbeits-,
Umwelt- und Verbraucherschutz auf moeglichst hohem Niveau zu harmonisieren,
soll der gesamte Dienstleistungssektor mit einer einzigen Rahmenrichtlinie
dereguliert werden. Eine Richtlinie ist ein europaeisches Gesetz. Ist sie
erst einmal verabschiedet, muss sie von alle Mitgliedstaaten umgesetzt
werden.

Der Dienstleistungssektor umfasst in vielen EU-Staaten 70% der
Beschaeftigung und 70% der Wirtschaftstaetigkeit. Zu ihm gehoeren so
unterschiedliche Branchen wie Pflegedienste, Bau, Handel, Gastronomie,
Wasserversorgung oder Muellabfuhr.

In all diesen Bereichen soll die wirtschaftliche Taetigkeit einem
ungehinderten Wettbewerbsdruck ausgesetzt werden. Das bedeutet, dass
Anforderungen hinsichtlich Preis oder Qualitaet der Dienstleistungen oder
Qualifikation der Anbieter abgebaut werden, bzw. ganz entfallen. Durch
verstaerkten Wettbewerb in diesen Bereichen kommt die oeffentliche
Daseinsvorsorge unter zusaetzlichen Privatisierungsdruck.

Die Anforderungen an Unternehmen beim Eroeffnen einer Niederlassung in einem
anderen EU-Staat werden stark abgesenkt. Gleichzeitig wird das
Herkunftslandprinzip eingefuehrt. Das bedeutet, Unternehmen werden in
anderen EU-Staaten unter den Bedingungen aktiv, die im Staat ihrer
Niederlassung gelten. Die Folge davon waere, dass mehr Unternehmen ihren
Sitz in Staaten mit niedrigeren Standards verlegen, und der Wettlauf um die
niedrigsten Loehne, Steuern und sozialen Absicherungen zwischen den
Mitgliedstaaten weiter angeheizt wird.

Es beschleunigt sich auch der Demokratieabbau, denn in den Mitgliedstaaten
leben Menschen dann unter unterschiedlichen Gesetzen leben, die der
Zustaendigkeit der von ihnen gewaehlten Repraesentanten entzogen sind.

Waehrend des Bundestagswahlkampfs in Deutschland hiess es immer wieder, die
Dienstleistungsrichtlinie sei vom Tisch. In aller Stille hat die
EU-Kommission das Gesetzgebungsverfahren jedoch konsequent weiter betrieben.
Im Februar 2006 steht jetzt die erste Lesung auf der Tagesordnung des
Plenums des Europaeischen Parlaments. Vorausgegangen waren Beratungen in
mehr als zehn Ausschuessen. Ende November 2005 legte der federfuehrende
Binnenmarktausschuss seinen Abschlussbericht vor, der die
Beschlussempfehlungen der Ausschussberatungen fuer die Plenarabstimmung
zusammenfasst.

Dank der Proteste konnten zwar einige kleine Aenderungen erreicht werden,
die neoliberale Mehrheit aus konservativen und liberalen Abgeordneten hat
wichtige Kernbereiche jedoch bestaetigt.

Erreicht werden konnte immerhin, dass in der Beschlussempfehlung
Gesundheitsdienste und audiovisuelle Dienstleistungen vom Geltungsbereich
der Richtlinie ausgeschlossen werden und die Zustaendigkeit fuer Kontrollen
bei den Behoerden vor Ort bleiben soll.

Der Kern der Richtlinie, das Herkunftslandprinzip, wurde aber nicht
angetastet. Bei der Endabstimmung ueber den Abschlussbericht konnte sich die
sozialdemokratische Berichterstatterin trotzdem nicht zu mehr als einer
Enthaltung durchringen. Lediglich gruene und linke Abgeordnete lehnten das
Herkunftslandprinzip konsequent ab und stimmten dementsprechend gegen den
gesamten Bericht.

Allerdings ist die Beschlussempfehlung fuer das Parlament nicht bindend und
die Fraktionsdisziplin im EP viel weniger ausgepraegt als in nationalen
Parlamenten. Die bisherigen Abstimmungen in den Ausschuessen zeigen, dass
noch viel Mobilisierung notwendig ist, soll der Richtlinienentwurf,
wenigstens das Herkunftslandprinzip, noch aufgehalten werden.

Am 14. Februar 2006 geht der Entwurf in die erste Lesung des Parlaments.
Danach muessen ihn die Wirtschaftsminister der Mitgliedstaaten abstimmen,
die im Rat fuer Wettbewerbsfaehigkeit zusammentreffen. Darauf folgt eine
zweite Lesung im Parlament und im Rat. Sollte es danach noch abweichende
Meinungen zwischen Rat und Parlament geben, folgt ein Vermittlungsverfahren.

Abschaffung aller Regelungen

Die Dienstleistungsrichtlinie ist nur ein Pfad, auf dem die Deregulierung
des Dienstleistungssektors vorangetrieben wird. Einschlaegige Bestimmungen
im EG-Vertrag schreiben sie laengst fest.

Allerdings aehneln diese Artikel eher einem politischen Programm, das eine
schrittweise Liberalisierung vorschreibt. Dem Europaeischen Gerichtshof
scheint das alles viel zu langsam zu gehen, er faellt immer wieder Urteile,
die eine viel weitreichendere Liberalisierung vorschreiben. Deshalb herrscht
in der EU tatsaechlich eine grosse Rechtsunsicherheit. Es gibt nicht einmal
klare Kriterien, wann eine Niederlassung eroeffnet wurde, was wichtig waere
um festzustellen, ob es sich lediglich um eine Briefkastenfirma handelt.
Solche Probleme gibt es auch bei allen Fragen rund um die
Scheinselbststaendigkeit.

Man sollte eigentlich erwarten, dass sich EU-Institutionen mit solchen
Fragen beschaeftigen, wenn sie an einer Dienstleistungsrichtlinie arbeiten.
Leider ist das naiv. Der derzeit diskutierte Richtlinienentwurf tut alles,
die bereits bestehenden Regulierungsdefizite auszuweiten. Alle
Mitgliedstaaten sollen darauf verpflichtet werden, ihre nationalen
Regelwerke daraufhin zu ueberpruefen, ob sie den haeufig wenig praezisen
Vorgaben des EuGH entsprechen. Ueber das Ergebnis sollen sie einen Bericht
verfassen, in dem sie sich auch in einigen Bereichen fuer beibehaltene
Regelungen rechtfertigen sollen. Anschliessend sollen die Mitgliedstaaten
diese Berichte gegenseitig evaluieren und, abhaengig vom Ergebnis, weitere
Regelungen abschaffen.

Wohin eine solche Politik der Wettbewerbsmaximierung fuehrt, kann man in
einigen Branchen bereits sehen. Rumaenische Wanderarbeiter, die zu
menschenunwuerdigen Bedingungen in Schlachthoefen zu Hungerloehnen arbeiten,
Gammelfleisch in Supermaerkten und immer mehr schlecht entlohnte
scheinselbststaendige Fliesenleger ohne Sozialversicherung auf Baustellen
duerften dann nur der Anfang sein.

Haeufig wird auf Kritik an der Dienstleistungsrichtlinie so reagiert, als
gehe es dabei nur um die Bewahrung von Pfruenden. Das ist nicht der Fall.
Durch die Dienstleistungsrichtlinie wuerde systematisch ein System
geschaffen, dass ueberall zu weniger Wohlstand fuehrt. Gleichzeitig wuerden
zivilgesellschaftliche Strukturen wie Gewerkschaften oder
Handwerksverbaende, die heute schon grosse Probleme haben, denjenigen, die
durch ihre Arbeitskraft am meisten zum gesellschaftlichen Wohlstand
beitragen, eine angemessene Teilhabe zu sichern, weiter geschwaecht.

Aufgrund der grossen Lohnunterschiede zwischen den Laendern der EU wuerde
Europa immer tiefer an ethnischen Grenzen gespalten. Bereits heute arbeiten
in vielen Betrieben mittel und osteuropaeische Beschaeftigte zu wesentlich
niedrigeren Loehnen als ihre deutschen KollegInnen. Ein solches System ist
nicht nur rassistisch, es fuehrt unweigerlich dazu, dass inlaendische und
auslaendische Beschaeftigte immer mehr gegeneinander ausgespielt werden.
Dabei trifft es in der Regel auf beiden Seiten diejenigen, die ohnehin
bereits zu relativ niedrigen Loehnen arbeiten.

Europaeische Organisierung

Die Dienstleistungsrichtlinie muss verhindert werden. Das allein wird
allerdings nicht reichen. Die Mechanismen, die mit der
Dienstleistungsrichtlinie eingefuehrt werden sollen, sind zu grossen Teilen
bereits tief in den EG-Vertrag eingeschrieben.

Kapitalkraeftige, nicht nur national, sondern auch transnational
organisierte Interessengruppen konnten dies vor vielen schon Jahren
erreichen. Nun arbeiten sie daran, sie auch im wirklichen Leben immer mehr
durchzusetzen. Soll der Widerstand von Gewerkschaften und sozialen
Bewegungen dagegen erfolgreich sein, werden sie sich, neben der nationalen
Ebene, noch viel staerker auf transnationaler Ebene organisieren muessen.
Auf der Tagesordnung steht die Forderung nach der Einfuehrung von
Mindestloehnen und gleichem Lohn fuer gleiche Arbeit am gleichen Ort.

Wichtigstes Ziel auf europaeischer Ebene muss die Angleichung der
Lebensverhaeltnisse in ganz Europa als erster Schritt fuer eine weltweite
Angleichung sein. Der Markt schafft das nicht. Dazu bedarf es einer
schrittweisen Angleichung von Standards auf moeglichst hohem Niveau und
einer aktiven europaeischen Umverteilungspolitik, welche die zu schulternden
Lasten gerecht verteilt. Dazu bedarf es allerdings auch einer gaenzlich
neuen Verfassung. (Stefan Lindner in SiG 48)

Quelle: http://www.attac.at/2432.html

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WWWeb-Aktionismus: Knapp vor der Plenarabstimmung im Europaeischen Parlament
(14./15. Februar) trommeln die GewerkschafterInnen nochmals kraeftig gegen
die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Wer bislang noch keine
Gelegenheit hatte, kann unter nachfolgender gegen die Richtlinie aktiv
werden:

http://www.gdg.at/servlet/ContentServer?pagename=GDG/Page/GDG_Index&n=GDG_0.0.6.1.9&cid=1136986077537

Fuer das p.t. Publikum das nur die Papierausgabe bezieht und nicht per
Copy&Paste obiges URL-Ungetuem in den Browser kopieren kann: Geht zu
http://www.gdg.at/, und klickt unter "Unsere Themen" auf
"Dienstleistungsrichtlinie: GPA, GdG und GdE warnen vor Sozial- und
Lohndumping"

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Demos im richtigen Leben: Europaeische Demonstration gegen den Beschluss der
EU-Dienstleistungsrichtlinie in Strassburg vor dem EU-Parlament. Weitere
Demos in Berlin und anderen Hauptstaedten, Infos: info@attac.de,
http://www.attac.de/bolkestein http://www.attac.de/strasbourg



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