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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Jaenner 2006; 15:12
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Russische Foederation/Menschenrechte:

> Schlachtfeld Tschetschenien

Angeblich ist der Krieg in Tschetschenie lange vorbei. Doch die russische
Regierung und tschetschenische Rebellen gehen immer noch ueber Leichen --
berichtet amnesty international

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Russische und tschetschenische Regierungstruppen fuehren in
tschetschenischen Staedten und Doerfern regelmaessig militaerische
Operationen ("zachistki") durch, in denen schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen wie das "Verschwindenlassen" von Personen und
willkuerliche Verhaftungen alltaeglich sind. Weiters wird von
aussergerichtlichen Toetungen, Folter und Misshandlung sowie
Vergewaltigungen berichtet. "Zachistki", die offiziell der
Identitaetsueberpruefung der EinwohnerInnen dienen, bedeuten fuer die
betroffenen Staedte und Doerfer einen regelrechten Belagerungszustand durch
russische Truppen und pro-russische tschetschenische Sicherheitskraefte.

Bilder des Schreckens werden auch vom Vorgehen bewaffneter tschetschenischer
Widerstandsgruppen gezeichnet: In zahlreichen Anschlaegen auf
tschetschenische Verwaltungsbehoerden wurden dutzende Menschen
lebensbedrohlich verletzt. Entfuehrungen und Geiselnahmen von ZivilistInnen,
sowie Hinrichtungen gefangengenommener russischer Soldaten gehoeren zum
Alltag.

Trotz Behauptungen der russischen und tschetschenischen Behoerden, die
Situation wuerde sich "normalisieren", ist weder ein Ende des Konflikts noch
der anhaltenden massiven Menschenrechtsverletzungen in Sicht. Laut der
russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" sind seit 1999 zwischen
3000 und 5000 Menschen "verschwunden". Gleichzeitig versagt die Justiz
vollkommen, die dafuer Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, waehrend
unabhaengige Untersuchungen massiv behindert werden.

Krieg gegen die Zivilbevoelkerung

Am 4. Juni 2005 wueteten Truppen des russischen Verteidigungsministeriums im
Rahmen einer "Sonderoperation" in Borozdinovskaia, Tschetschenien. Etwa 100
Sicherheitskraefte des Vostok-Bataillons stuermten mit gepanzerten
Truppenfahrzeugen das Dorf. Berichten zufolge wurden ungefaehr 200 Maenner,
darunter auch alte, behinderte und minderjaehrige, ins lokale Schulgebaeude
getrieben. Dort wurden sie gezwungen, sich auf den Boden zu legen und sich
ihre Oberkoerperbekleidung ueber die Koepfe zu ziehen. Daraufhin begannen
ihre Peiniger, sie mit Schlaegen und Stiefeltritten zu traktieren. Die
Sicherheitskraefte riefen elf Maenner mit ihrem vollen Namen auf, die sie
dann an unbekannte Orte verschleppten. Seither fehlt von ihnen jede Spur.

Die anderen Opfer wurden noch stundenlang auf dem Boden festgehalten, erneut
verpruegelt und dann freigelassen. Einige Autos der DorfbewohnerInnen sind
seit diesem Vorfall verschwunden. Tage spaeter entdeckten die AnwohnerInnen
verkohlte Menschenreste in einem der abgebrannten Haeuser. Daraufhin
fluechteten 230 Familien aus dem Dorf ins benachbarte Dagestan und
verweigerten die Rueckkehr bis zur Aufklaerung ueber das Schicksal der elf
Maenner. Ende Juni 2005 kehrten viele der BewohnerInnen ins Dorf zurueck,
trotz fehlender Aufklaerung ueber die elf Vermissten.

Das "Verschwinden" von Zelimkhan Murdalov

Am zweiten Januar 2001 wurde der damals 26-jaehrige Zelimkhan Murdalov von
Polizeibeamten in Grozny wegen Verdachtes auf illegalen Drogenbesitz
verhaftet. Kurz darauf wurde Murdalov von einem Mitglied der Spezialeinheit
OMON, Sergei Lapin, auf der oertlichen Polizeiwache ueber mehrere Stunden
hinweg mit einem Gummiknueppel verpruegelt und erhielt Stiefeltritte.
Weitere nicht identifizierte Polizeibeamte waren anwesend. Zelimkhan
Murdalov erlitt lebensbedrohliche Kopfverletzungen, durch die er sein
Bewusstsein verlor. Weiters bekam er Kraempfe, die seine Atmung schwer
beeintraechtigten, erlitt Blutungen und Quetschungen am ganzen Koerper. Ein
gebrochener Arm, ein eingerissenes Ohr und Schaum aus seinem Mund waren die
Folgen dieser Tortur. Darueber hinaus wurde er auch Elektroschocks
unterzogen. Einen Tag spaeter verschleppte man ihn an einen unbekannten Ort.

Sergei Lapin wurde am 29. Maerz 2005 von einem Kreisgericht in Grozny zu elf
Jahren Haft und einem dreijaehrigen Berufsverbot verurteilt. Die
Spezialeinheit OMON erhielt gerichtliche Auflagen und Kritik an ihrem
brutalen Vorgehen. Diese Schuldsprueche stehen jedoch in keinem Verhaeltnis
dazu, was Zelimkhan Murdalov widerfahren ist. So wurde Sergei Lapin nicht
des "Verschwindenlassens" des Opfers angeklagt und die waehrend des Vorfalls
anwesenden "nicht identifizierten Polizeibeamten" gingen voellig straffrei
aus dem Prozess hervor. Murdalovs Familie hat aus Angst vor Repressalien
wegen ihrer privaten Nachforschungen zu Zelimkhan Murdalovs Schicksal das
Land verlassen.

Massive Behinderung unabhaengiger Untersuchungen

Die oben genannten Vergehen stellen schwerwiegende Verletzungen
internationaler Menschenrechtsstandards dar. Es ist alarmierend, dass der
Grossteil der Taeter ungestraft davon kommt, da diese meist nicht
identifiziert werden koennen. Unabhaengige Untersuchungen der Faelle werden
von der russischen Regierung unter anderem dadurch stark behindert, dass der
Zugang fuer internationale MenschenrechtsbeobachterInnen extrem erschwert
wird. Die instabile innenpolitische Lage sowie die zahlreichen Bedrohungen
fuer in- und auslaendische JournalistInnen gestalten eine umfangreiche,
authentische Berichterstattung ueber das Krisengebiet aeusserst schwierig.
Eine genaue statistische Erfassung von Menschenrechtsverletzungen ist
ebenfalls nahezu unmoeglich, da von der Zivilbevoelkerung aus Angst vor
Repressalien immer seltener Anzeigen erstattetet werden.

Bezeichnend ist die Aussage des derzeitigen tschetschenischen Ombudsmanns
fuer Menschenrechte, Lema Khasuev, der in einem Interview mit der russischen
Nachrichtenagentur "Interfax" vom 15. Juni 2005 meinte, er lehne die
Zusammenarbeit mit der anerkannten russischen Menschenrechtsorganisation
"Memorial" ab. Beispielhaft fuer die Haltung der russischen und
pro-russischen tschetschenischen Behoerden ist aber auch das massive
Vorgehen gegen die "Gesellschaft fuer Russisch-Tschetschenische
Freundschaft", eine Menschenrechtsorganisation, die
Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Konflikt in
Tschetschenien dokumentiert und veroeffentlicht. So werden nach der
Veroeffentlichung neuer Informationen immer wieder Strafverfahren gegen die
"Freundschafts-Gesellschaft" eingeleitet, Computer und Dokumente
beschlagnahmt, regelmaessige Kontrollen der Steuerbehoerden und des
Justizministeriums durchgefuehrt und in den oeffentlichen Medien Rufmord
betrieben.

Auch MitarbeiterInnen anderer Menschenrechtsorganisationen sind Repressionen
ausgesetzt. So hat amnesty international unter anderem die Toetung von zwei
MenschenrechtsverteidigerInnen in den Jahren 2003 und 2004 sowie die
Entfuehrung eines weiteren Menschenrechtsaktivisten 2005 dokumentiert.
Darueber hinaus wird durch die Erlassung neuer Gesetze der
Handlungsspielraum der Menschenrechtsorganisationen noch weiter
eingeschraenkt.

In vielen Faellen gibt es jedoch eindeutige Hinweise, dass russische und
pro-russische tschetschenische Regierungstruppen fuer das
"Verschwindenlassen" zahlreicher Personen verantwortlich sind. In einem
Interview mit der russischen Zeitung "Izvestia" vom 28. Maerz 2003 gestand
ein unbekannter Mitarbeiter der Militaerabteilung des
Verteidigungsministeriums ein, russische Militaergruppen haetten zu solchen
Massnahmen gegriffen, um der oeffentlichen Kontrolle zu entgehen. Zu seiner
Rechtfertigung betonte er zwar, diese naechtlichen Uebergriffe seien
notwendige Aktionen im "Krieg gegen den Terror", raeumte aber auch ein:
"Manchmal sterben dabei auch unschuldige Menschen... Und wenn die Wahrheit
ans Tageslicht kommt, stellt sich oft heraus, dass es zu spaet ist, einen
Fehler zu korrigieren, da die Person bereits gestorben ist."

In keinem Verhaeltnis zu dieser Realitaet stehen die wenigen Anklagen, die
ueberhaupt an nationale und internationale Gerichtshoefe gelangen. Meist
werden die Strafverfahren aus Mangel an Beweisen und dem Nichtvorhandensein
unabhaengiger Untersuchungsausschuesse wieder fallengelassen. Aufgrund der
Unzulaenglichkeit des russischen Rechtssystems wendeten sich bereits eine
Vielzahl tschetschenischer ZivilistInnen an den Europaeischen
Menschenrechtsgerichtshof. Die BeschwerdefuehrerInnen waren daraufhin mit
Einschuechterungen, Drohungen, Morden und "Verschwindenlassen" konfrontiert.

Der russische Praesident Vladimir Putin erklaerte am 5. Mai 2005 in einem
Interview mit dem deutschen Fernsehen, es waeren unlaengst zahlreiche
russische Soldaten verurteilt worden. Ueber die genauen Anklagepunkte, die
Laenge der verhaengten Haftstrafen und ob diese tatsaechlich verbuesst
wurden, gab er jedoch keine Auskunft. (ai/gek.)

Quelle: http://www.amnesty.at/aktionen/tschetschenien/index.htm



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