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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Jaenner 2006; 15:24
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EU/BRD/Deregulierung:

> Bolkestein zur See

Das "Port Package" der EU-Kommission

Ab dem 11. Januar Mitternacht bis 6 Uhr des folgenden Tages bewegte sich
keine Ladung im Hamburger Hafen. Die 2000 ArbeiterInnen streikten und
schlossen sich somit den Aktionen in vielen europaeischen Haefen an.

Die gewerkschaftliche Massnahme richtet sich gegen die Bestimmungen des
"Port package", die im Bruesseler EU-Parlament erneut zur Abstimmung steht,
nachdem der erste Anlauf 2003 bereits durch Arbeiteraktionen gestoppt wurde.

Ziel des "Port Package" ist es, das Monopol von Hafenarbeitern auf das Be-
oder Entladen von Schiffen abzuschaffen. Nach Vorstellung der Bruesseler
Buerokraten und der Reeder sollen dafuer kuenftig die Schiffsbesatzungen
herangezogen werden.

Diese "Selbstabfertigung" stoesst bei den Hafenarbeitern auf heftigsten
Widerstand, denn damit waere nicht nur der Verlust relativ gut bezahlter
Arbeitsplaetze verbunden, sondern auch der Abbau der sozialen Systeme, die
sich in allen europaeischen Haefen aehneln. Hinzu kaemen technische
Probleme: Wohl kaum ein Seemann waere faehig, mit grossen Hafenkraenen oder
hochtechnisierten Container-Verladeanlagen umzugehen.

Die ArbeiterInnen fuerchten, in die Zange genommen zu werden. Ihre
Arbeitsplaetze sind in Gefahr und sich neu einkaufende Investoren muessten
sich nicht an bestehende Vertraege halten, sondern koennten den
Personaleinsatz diktieren. Aber auch die ansaessigen Logistikfirmen koennten
Port package unter dem Vorwand von Wettbewerbsnachteilen zu Lohndrueckerei
und weiter gesteigerter Arbeitshetze nutzen.

Nebenbei fuehren die Hamburger Hafenarbeiter einen Kampf an zwei Fronten.
Sie sind nicht nur durch Port package, sondern auch durch den moeglichen
Verkauf von Teilen des Hafengelaendes an die Deutsche Bahn AG bedroht, die
der Post AG nacheifern und ins internationale Logistik-Geschaeft einsteigen
will. Auch dies wuerde Arbeitsplaetze kosten.

Port Package, die Erste

Wie ihre Kollegen in anderen Laendern sind die deutschen Hafenarbeiter gut
organisiert. Auch international arbeiten die Hafenarbeiter engstens
zusammen. Seit Jahrzehnten schon haben sich die meisten nationalen
Hafenarbeiter-Gewerkschaften im Internationalen Transportarbeiterverband
(ITF) zusammengeschlossen, dessen europaeische Sektion den ersten Anlauf zur
Durchsetzung des "Port Package" zu Fall brachte.

Die Hafenarbeiter verfolgten dabei eine mehrgleisige Strategie. Zum einen
betrieben sie klassische Lobbyarbeit: Europaparlamentarier und Ministerien
wurden mit Informationen bombardiert. Der Druck auf Politiker und
EU-Buerokraten wurde noch dadurch verstaerkt, dass Hafenarbeiter aus vielen
Laendern gemeinsam demonstrierten. Hoehepunkt war der 29. September 2003,
als 16000 Hafenarbeiter aus allen Teilen Europas in Rotterdam und Barcelona
auf die Strasse gingen. Selbst von der Westkueste der USA nahm eine
Gewerkschaftsdelegation teil. Gleich, ob Deutsche, Briten, Spanier oder
Niederlaender: "proud to be a docker" hiess die gemeinsame Losung ("Wir sind
stolz, Hafenarbeiter zu sein").

Auch die jeweiligen Unternehmen bekamen maechtig Druck: Zeitlich aufeinander
abgestimmt legten die Arbeiter in vielen Haefen Europas die Arbeit nieder.
In manchen wurde mehrere Tage gestreikt, in Malta gab es mehrstuendige
Demonstrationen waehrend der Arbeitszeit, in Grossbritannien wurden die
Pausen endlos in die Laenge gezogen. In Deutschland legten die Hafenarbeiter
waehrend jeder Schicht fuer vier Stunden die Arbeit nieder.

"Entscheidend war nicht die mehr oder weniger radikale Form der Aktionen",
heisst es in einer internen Auswertung, die der Betriebsratsvorsitzende der
Gesamthafenarbeiter Hamburgs, Bernt Kamin, fuer ver.di verfasste.
Entscheidend sei gewesen, "dass die Arbeitgeber und die Politik erleben
konnten, dass es den Gewerkschaften moeglich war, in zahlreichen Laendern
Europas ihre Aktionen zu koordinieren -- eine Erfahrung, die es in dieser
Form bisher nicht gab".

Es war dann auch eine politische Sensation, als am 20. November 2003 das
Europaparlament mit 229 gegen 209 Stimmen das "Port Package" ablehnte. Das
Zusammenspiel von Lobbyarbeit, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen
hatte funktioniert -- europaweit.

Port Package, die Zweite

Respekt vor Parlamenten ist den Bruesseler Buerokraten jedoch fremd. 2004
brachte die scheidenden Verkehrskommissarin der EU, Loyola de Palacio, einen
neuen Entwurf fuer einen "Port Package" ein. Die Entscheidung des
Europaparlaments sei nicht zu akzeptieren, heisst es in ihrer Begruendung.
Deshalb muesse das Verfahren wiederholt werden.

Ob die Kommissionsplaene diesmal durchgehen werden, bleibt abzuwarten, denn
nach den Erfahrungen vom letzten Mal treten im Vorfeld der Abstimmung
laengst nicht mehr nur linke EP-Fraktionen vehemment dagegen auf. Die
EU-Gruenen sehen: "eine grosse schwarz-rot-gruene Koalition: Die
konservative Regierung in Holland, die Labour-Regierung in Grossbritannien,
die rot-gruene ebenso wie die schwarz-rote Bundesregierung in Deutschland
haben sich dagegen ausgesprochen. Auch die Landesregierungen der
´Nordrange´ -- Schleswig Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen - sind
gegen die vorgeschlagene Richtlinie" hiess es in einer Aussendung.
(Infomail 241 von "Arbeitermacht", junge welt 23.11.04, EU-Gruene/akin)

junge welt-Originaltext: http://www.jungewelt.de/2004/11-23/018.php

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Update: Am Mittwoch, den 18.Jaenner hat das EP tatsaechlich das Port Package
zum zweiten Mal abgelehnt.




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