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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. Dezember 2005; 19:03
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Buecher/Zeitgeschichte:
> Das grosse Schweigen
Ueber die Opfer des Zweiten Weltkriegs in Europa war in diesem Jahr viel zu 
hoeren und zu lesen. Ueber die Opfer dieses Krieges in der Dritten Welt 
hingegen nichts.
«Unsere Opfer zaehlen nicht. Die dritte Welt im Zweiten Weltkrieg»
AutorIn: Rheinisches JournalistInnenbuero
Verlag: Herausgegeben von Recherche International, Verlag Assoziation 
Berlin/Hamburg 2005
Seiten, Preis: 444 Seiten, EUR 29,50
Mitte der achtziger Jahre durchstoeberte ich die Fotokisten des Konstanzer 
Stadtarchivs. Ich war auf der Suche nach Bildmaterial fuer einen Text ueber 
die Nazizeit am Bodensee - und hielt ploetzlich ein Foto der franzoesischen 
Besatzungstruppen in der Hand. Es war nach Kriegsende aufgenommen worden und 
zeigte den Marsch eines Bataillons Marokkaner durch eine Konstanzer 
Hauptstrasse. Die franzoesischen Soldaten sind ja alle dunkelhaeutig, 
staunte ich damals. Ich erklaerte mir das damit, dass Charles de Gaulle, die 
Fuehrungsfigur des neuen Frankreich, offenbar zahlreiche Marokkaner fuer den 
Kampf gegen die Nazis hatte mobilisieren koennen.
Wie General de Gaulle diese Mobilisierung hingekriegt hatte, wie gross der 
Druck auf die Marokkaner war, was ihnen versprochen wurde, auf welche Weise 
ihr Kriegseinsatz belohnt wurde - all das wusste ich damals nicht. Woher 
auch? In all den Buechern, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten ueber 
den Zweiten Weltkrieg, ueber den Kampf der Alliierten gegen Nazideutschland, 
Japan und deren Vasallen geschrieben worden waren, tauchen die 
Kolonialsoldaten - die auf beiden Seiten gekaempft hatten - nie auf. Sie und 
ihre Angehoerigen wurden auch nie zu den Siegesfeiern eingeladen. Sie waren 
1995, beim 50. Jahrestag nicht dabei, und fehlten auch im Mai dieses Jahres. 
Sie zaehlen nicht - bis heute.
Dabei kaempften beispielsweise ueber hunderttausend Afrikaner fuer die 
antifaschistische Kriegsallianz auf den europaeischen Schlachtfeldern, und 
auch die deutsche Wehrmacht hatte ueber hunderttausend Soldaten aus 
Nordafrika, Nahost und Indien in ihren Reihen. Noch viel groesser war die 
Zahl der Zwangsrekrutierten und Freiwilligen in den umkaempften Gebieten in 
Afrika, Asien, Ozeanien und an der lateinamerikanischen Kueste. Ueber das 
Kriegsgeschehen jenseits von Europa und die daran Beteiligten aus den 
Kolonien wusste die deutschsprachige Linke bis vor kurzem nichts oder nur 
wenig. Das hat sich nun geaendert: Seit dem Fruehjahr ist ein Buch auf dem 
Markt, das als Standardwerk gelten darf und zu Recht auch mehrfach 
auszeichnet wurde: «Unsere Opfer zaehlen nicht. Die Dritte Welt im Zweiten 
Weltkrieg». Geschrieben wurde es von den MitarbeiterInnen des Rheinischen 
JournalistInnenbueros in Koeln, herausgegeben vom Verein Recherche 
International.
Der Zweite Weltkrieg, so ist darin zu erfahren, nahm nicht erst 1939 seinen 
Anfang, sondern schon 1935, als das faschistische Italien in Aethiopien 
einmarschierte. Kurz danach begann mit dem spanischen Buergerkrieg der 
«europaeische Probelauf fuer den Weltkrieg»: 1936 landete der spanische 
General Francisco Franco in Spanisch-Marokko und startete von dort aus 
seinen Marsch gegen die Volksfrontregierung der Republikaner in Madrid. Zu 
Hilfe kamen ihm beim Putsch auch rund 60 000 Moros, arabische Soldaten aus 
Marokko, die teilweise zwangsrekrutiert waren, teilweise Sold erhielten und 
denen eine Abschaffung des Kolonialstatuts versprochen worden war. Auch in 
Asien begann der Zweite Weltkrieg schon vor den Kriegserklaerungen in 
Europa - 1937 okkupierten japanische Truppen Korea und die Mandschurei.
In Asien dauerte der Krieg laenger als bis 1945. In Vietnam zum Beispiel 
hielten die Kaempfe bis 1975 an. Dort hatte achtzig Jahre lang die 
franzoesische Kolonialmacht geherrscht und 1939 rund 40 000 vietnamesische 
Soldaten nach Europa verschifft. Ab dem Fruehsommer gab die faschistische 
Kollaborationsregierung von Vichy den Ton an. Sie liess Aufstaende der 
antikolonialistischen Viet-Minh-Bewegung niederkartaetschen, bevor sie 
Anfang 1945 von Japan aus dem Amt gejagt wurde. Fuer kurze Zeit diktierten 
die japanischen Besatzer die Bedingungen. Nach der Kapitulation Japans 
proklamierte Ho Chi Minh im September 1945 die Demokratische Republik 
Vietnam, doch zum Frieden kam es nicht. Denn kurz danach ueberzogen erst die 
alte Kolonialmacht Frankreich, dann die USA das Land mit neuem Krieg.
In manchen Regionen fuehrte die Verquickung von Kriegsteilnahme und 
Unabhaengigkeitsbestreben auch zur Kollaboration mit den Nazis. In Indien 
zum Beispiel mobilisierte Subhas Chandra Bose, der ehemalige Praesident der 
Unabhaengigkeitsbewegung Indischer Nationalkongress, gegen den heftigen 
Widerstand von Mahatma Gandhi Freiwillige fuer den Kampf zugunsten der 
faschistischen Achsenmaechte - mit einigem Erfolg. Rund 4000 Inder wurden so 
gegen Ende des Krieges Teil der deutschen Waffen-SS und veruebten Massaker 
in Frankreich. Dass die AutorInnen die Kolonialisierten nicht nur als Opfer 
wahrnehmen, ist eine Staerke ihrer faktenreichen und differenzierten 
Schilderung.
Nach Kriegsende erlebten die Kolonialsoldaten eine herbe Enttaeuschung. Von 
dem zu Kriegsbeginn in Aussicht gestellten Ende der Kolonialherrschaft 
wollten die Maechte der antifaschistischen Kriegsallianz nichts mehr wissen. 
Als zurueckgekehrte afrikanische Soldaten fuer das versprochene, aber nie 
gezahlte Entlassungsgeld demonstrierten, wurden sie von Einheiten der 
franzoesischen Armee - in der sie erst noch gedient hatten - erschossen. 
Nicht viel besser erging es den ostafrikanischen Soldaten im Dienst der 
britischen Krone. Sie wurden behandelt wie zuvor - als minderwertige 
Menschen.
Auch in Asien warten Zwangsrekrutierte auf eine Anerkennung ihrer Leiden. In 
Korea etwa fordern ehemalige Sexsklavinnen wie Hwang Kum-Ji seit Jahren 
vergeblich ein Schuldeingestaendnis aus Tokio. Die Forderung nach 
Anerkennung dieser Schuld und dieses Leidens durchzieht das ganze Buch: 
Wuerden die grossen Kriegsmaechte anerkennen, was die Kolonisierten fuer sie 
damals taten oder tun mussten, haette dies vielleicht auch Konsequenzen fuer 
die heutige Politik gegenueber den Laendern in der Dritten Welt.
(Pit Wuhrer, WoZ 48/05, gek.)
Volltext der Rezension: 
http://www.woz.ch/artikel/2005/nr48/wissen/12558.html
Unter http://www.assoziation-a.de/neu/Unsere_Opfer_zaehlen_nicht.htm gibt es 
weitere Rezensionen und die 23seitige Einleitung des Buches als Leseprobe
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