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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. November 2005; 19:45
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Staat und Kirche/Glosse:

> Der Hl. Vertrag

Betrachtungen ueber das Voelkerrecht im Allgemeinen und das Konkordat im
Besonderen

Hei, welch eine Aufregung darueber, dass ein gruener Bezirksrat in einem
Nebensatz etwas gegen das Konkordat gesagt hat. Sofort musste man beim
Aktuellen Dienst des ORF nachschieben, dass Voelkerrechtler einhellig der
Meinung waeren, dass man diesen Vertrag nicht so ohne weiteres kuendigen
koennten. Man sei sich nur nicht darueber im klaren, ob der Vertrag zur
Aufloesung eines beiderseitigen Einverstaendnisses beduerfe oder ueberhaupt
unaufloesbar sei.

Formal liegen die Voelkerrechtler natuerlich nicht ganz so falsch. Denn dass
es sich bei diesem Vertragswerk um ein Abkommen zweier demokratisch nicht
legitimierter Staatsrepraesentanten handelt, ist voelkerrechtlich
irrelevant, denn das das Voelkerrecht ist per se ademokratisch. Das hat zwei
Gruende: Zum einen stammen die Usancen des Voelkerrechts aus einer Zeit
absolutistischer Herrscher, in der sich Koenige zusammensetzten, um ihre
Abmachungen zu treffen, die sie von niemanden legitimieren lassen mussten.
Die in buergerlichen Zeiten eingefuehrten Ratifikationsbestimmungen sind da
leider nur unzureichend, da es sich in den meisten Faellen einfach nur um
Absegnungen bereits vollendeter Tatsachen handelt und die nationale
Akzeptanz fuer die Gueltigkeit des Vertrags keine Bedeutung hat. Zum anderen
liegt die mangelnde demokratische Kontrolle in der Wesenheit solcher
Vertraege selbst, da der Staat als juristische Person auftritt, der von den
vertretungsbefugten Regierungsmitgliedern repraesentiert wird. Es ist daher
voellig egal, ob eine Regierung, die diese juristische Person vertritt, eine
wie auch immer geartete demokratische Legitimation besitzt oder nicht. Es
geht darum, ob diese Regierung voelkerrechtlich anerkannt ist, um ihren
Akten Rechtswirksamkeit zu verleihen.

Das gilt auch fuer das Konkordat, das bekanntermassen von der Dollfuss´schen
Putschregierung als einer ihrer ersten Rechtsakte nach Ausschaltung des
Parlaments abgeschlossen worden war. Zwar wurde das Konkordat in
demokratischen Zeiten erneuert, dies war aber nur fuer die innerstaatliche
Legitimitaet von Bedeutung, fuer die voelkerrechtliche Anerkennung jedoch
voellig irrelevant. Der Staat war so oder so voelkerrechtlich verpflichtet,
den Vertrag einzuhalten. Selbst bei einer voelligen Zerschlagung eines
Staates aendert sich in den meisten Faellen an diesem Prinzip nicht viel, da
zumeist ein Rechtsnachfolger vorhanden ist -- selbst wenn diese Nachfolge
nicht selbstgewaehlt ist. So mussten auch die Vertreter von
"Deutschoesterreich" 1919 akzeptieren, dass sie die nicht gerade sehr
vorteilhafte Rechtsnachfolge der Donaumonarchie anzutreten hatten, auch wenn
ihnen das damals recht willkuerlich erschien.

Dieses Prinzip eines ewig gleichen Subjekts ist der Notwendigkeit der
Vertragstreue geschuldet. Wenn der Vertragspartner sich nicht darauf
verlassen kann, dass diese Treue trotz der Unwaegbarkeiten innenpolitischer
Veraenderungen gewaehrleistet ist, waere jeglicher Vertrag mit einem Staat
unmoeglich. Das ist auch einer der Gruende, warum die deutsche rotgruene
Regierung unfaehig war, den Atomausstieg zu realisieren -- denn die BRD
hatte Vertraege mit dem Nuklearbusiness, die zwar von schwarzgelben
Regierungen geschlossen worden waren, die sie aber nichtsdestotrotz
einhalten mussten.

Eine juristische Frage, ...

Tatsaechlich ist es so einfach aber auch wieder nicht. Erstens tauchen immer
wieder Voelkerrechtler auf, die sagen, dass Vertraege oft genug einfach
durch historische Tatsachen ueberholt werden und dann nicht mehr als in
Kraft befindlich zu gelten haben -- man erinnere sich an diesbezuegliche
Meldungen betreffs einzelner Bestimmungen des Staatsvertrags von Wien. Und
auch das ist richtig: Vertraege, die durch Wegfall des Vertragsgegenstands,
dem voelligen Desinteresse der Vertragspartner an einer Aufrechterhaltung
oder weil sie zumindest einem Partner wurscht geworden sind, weil dieser bei
Vertragsverletzung keine Konsequenzen mehr fuerchtet, sind als de facto
ungueltig anzusehen. Das ist die vielzitierte normative Kraft des
Faktischen.

Folglich muss man zweitens feststellen, dass das Voelkerrecht alles andere
als sakrosankt ist. Speziell maechtige Staaten wie die USA oder Russland
brechen staendig Vertraege oder ratifizieren sie nicht, wodurch diese keinen
Rueckhalt in der nationalen Gesetzgebung und Rechtssprechung haben und damit
niemals Rechtswirksamkeit erlangen koennen..

Drittens koennte man im konkreten Fall die provokante Frage stellen, ob
Bundesregierung und Parlament nicht selbst bereits das Konkordat gebrochen
haben -- die christlichen Feiertage sind naemlich nicht nur gesetzlich
definiert, sondern auch im Konkordat abgesichert: Die Aufhebung des
8.Dezembers als Feiertag fuer weite Teile der Handelsbetriebe ist sicher
nicht als konkordatskonform anzusehen.

Zuletzt und vor allem ist fraglich, was hoeher steht: Die Unterschrift eines
Putschisten oder die doch ach so heilige buergerliche Demokratie. Denn von
oesterreichischer Bundesregierung und dem Parlament wurde der Vertrag zwar
nach 1945 mehrmals durch Zusatzvereinbarungen mit dem Vatikan bestaetigt
(zuletzt 1995), meines Wissens wurde der urspruengliche Vertrag aber in
buergerlich-demokratischen Zeiten niemals ratifiziert -- was auch nicht
verwunderlich ist, denn die Notwendigkeit einer Verfassungsmehrheit ist
ziemlich wahrscheinlich. Eventuell koennte der VfGH sogar der Meinung sein,
dass eine Ratifikation auch ein Plebiszit verlange. Die Bundesverfassung
sowohl in der geltenden als auch in der Fassung von 1929 (die fuer den
Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung relevant ist) kennt keine klaren
Feststellungen ueber das Verhaeltnis von Staat und Kirche. Durch die
Defintion des Machtmonopols beim Souveraen (also dem Wahlvolk) kann aber
sehr wohl der Ausschluss der Kirche aus der Machteinflussnahme angenommen
werden -- immerhin handelt der Vatikan hier nicht nur als
Voelkerrechtssubjekt, sondern vor allem als Religionsgemeinschaft. Was
ausserdem gegenueber den anderen Religionsgemeinschaften und den Atheisten
als Bruch der diesbezueglichen Nichtdiskrimierungsbestimmungen ausgelegt
werden kann. D.h., dass sehr wohl durch das Konkordat eine Totalaenderung
der Verfassung angenommen werden kann oder zumindest strittig ist -- was
wiederum bei einer Ratifikation eine Volksabstimmung noetig machen wuerde.

Andersherum wird auch ein Schuh daraus: Es ist naemlich sehr fraglich, ob
nach den Praemissen des buergerlich-demokratischen Systems das Konkordat
ueberhaupt jemals als in Kraft getreten gelten darf, auch weil es sich eben
um einen Vertrag handelt, der als verfassungsaendernd angesehen werden muss.
Eine faktische Akzeptanz durch Nichtdiskussion alleine kann wohl keine
rechtliche Grundlage darstellen. Auch die sogenannte Ratifikation der
klerikalfaschistischen Putschregierung 1933 in illegitimer Berufung auf das
kriegswirtschaftliche Ermaechtigungsgesetz darf wohl in einer
buergerlich-demokratischen Rechtsordnung nicht schlagend sein.

... aber vor allem eine politische!

Das Ganze jetzt aber ernsthaft auf einer juristischen Ebene zu diskutieren
ist ohnehin muessig -- denn es kann wohl nicht rechtens sein, dass ein 72
Jahre alter Vertrag (und damit oesterreichischer Rechtsbestand, der
angeblich vom Souveraen zu bestimmen ist) nicht diskutiert und auch
abgeschafft werden kann. Man kann doch nicht einfach behaupten, dieses
Regelwerk sei einmal aufgestellt worden und gelte jetzt fuer ewig. Dann
koennte man ja gleich wieder einen Habsburger auf den Thron setzen, da deren
Herrschaftsanspruch so wohl auch legitim waere.

Es ist also eine politische Frage, die auch politisch diskutiert werden
muss. Diese Frage des Konkordats wird allerdings wohl auch deswegen ungern
aufgegriffen, weil in der oesterreichischen Innenpolitik die reaktionaeren
Eliten froh sind ueber die de facto-Akzeptanz der Staatskirche, waehrend die
maessig fortschrittlichen Eliten sich entweder vor einer moeglichen de
jure-Festschreibung fuerchten oder -- und das wird wohl ausschlaggebend
sein -- vor dem Zorn der katholischen Fundamentalisten, um deren Stimmen ja
alle Parteien buhlen.

Solange aber niemand diese Thematik ernsthaft diskutiert, bleibt Oesterreich
auch weiterhin ein Staat mit einem schlampigen Verhaeltnis zu einer
Religionsgemeinschaft, die sich immer noch als Amtskirche versteht und damit
Staatskirche meint.

Selbst wenn man also eine Rechtskonformitaet des Konkordats annehmen will,
stellt sich doch sehr die Frage, ob dieses sakrosankt zu sein hat. Dass man
von Seiten der katholischen Kirche, die sich ja bekanntlich fuer
Heiligsprechungen zustaendig fuehlt, der Meinung ist, dass alles, was sie
fuer richtig haelt, auch fuer die Ewigkeit richtig sein muss, darf das wohl
fuer einen demokratischen Rechtsstaat nicht gelten. Wenn man sich aber
anschaut, wie die hiesigen Polit-Eliten auch nur auf eine geringfuegige
Andeutung einer Debatte reagieren, muss man schon fragen duerfen, welches
Demokratieverstaendnis sich in den heiligen Hallen des Parlaments
breitgemacht hat.
*Bernhard Redl*


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