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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. November 2005; 18:30
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Nach(k)wahlbetrachtungen:
> Eine Frage des Stils
Die Wiener Gemeinderatswahlen sind geschlagen -- lustigerweise sind 
eigentlich alle Rathausfraktionen Verlierer und Gewinner gleichermassen: 
SPOe und Gruene haben gewonnen, hatten sich aber mehr erwartet. Die FPOe hat 
formal massiv verloren, war aber aus einer ziemlichen aussichtlosen Position 
gestartet. Die OeVP hat trotz einer miesen Situation auf Bundesebene doch 
noch einiges dazugewonnen, zugegeben -- aber ehrlich: Sieger sehen anders 
aus. Nur das BZOe hat weder verloren noch gewonnen -- Totgeburten koennen 
nichts verlieren.
Drei Wochen ist das jetzt her, der Staub hat sich gelegt. Die erhoffte 
Regierungskrise nach der FPOe-Wiederauferstehung ist bislang ausgeblieben 
und auf Landesebene gilt wieder das klassische: "Alles Haeupl!"
Aber sollten man sich angesichts der Ergebnisse nicht doch Gedanken machen? 
Jetzt will ich mal zwei Dinge wild durcheinandermixen, die dem ersten 
Anschein nach nichts miteinander zu tun haben: Das Gerangel in Wien um Platz 
2 und die franzoesischen Unruhen. Zugegeben, es ist ein wenig gewagt, aber 
doch haben sie etwas gemeinsam: Das vollstaendige Versagen der Linken, die 
frustrierten Massen anzusprechen.
Der Reihe nach: Wer am Abend des 23.Oktobers sich die gruene Wahlfeier 
angesehen hat, dem musste eigentlich das Kotzen kommen: Gruene Schickis, 
frustriert darueber, dass sie keine 20% eingefahren haben, wie sie im 
hochpiekfeinen Palais Auersperg Sekt schluerfen -- das Geld, das dort an 
einem Abend verpulvert wurde, ist locker ein akin-Jahresbudget. Aber genau 
das entspricht dem Stil, den die Gruenen heute in der Oeffentlichkeit 
praesentieren: Eine Seitenblicke-Partei, die zwar in ihrem Programm durchaus 
einiges sozial Engagiertes zu bieten hatte (spuerbare Anhebung der 
Sozialhilfe etc.), aber das nicht nur nicht denjenigen vermitteln konnte, 
die davon profitieren wuerden, sondern das gar nicht erst wollte. So sah 
dann auch das Wahlergebnis aus: In den meisten gut betuchteren Bezirken 
waren die Gruenen stark -- vor allem dort, wo ein juengeres, urbanes, gut 
ausgebildetes Publikum logiert. Zum einen vielleicht auch deswegen, weil 
diese Menschen sich noch an ihre vielleicht nicht ganz so gut bemittelten 
Studententage erinnern koennen, zum Teil aber auch sicher deswegen, weil die 
Gruenen -- aehnlich der OeVP -- ihnen vermitteln konnte: "Wir sind wie ihr!"
Das koennen die Gruenen offensichtlich aber nicht den "Hacklern" 
vermitteln -- mit Abstand die schlechtesten Ergebnisse erhielten sie in 
Favoriten und Simmering, am beinharten Grund derjenigen, fuer die das gruene 
Programm doch am ehesten geeignet scheint. Ebenso bekommt dort die OeVP kein 
Bein auf den Boden, dafuer haben die Sozialdemokraten und die FPOe 
abgesahnt.
Ja, richtig, das sind alles keine Ueberraschungen, bei den letzten Wahlen 
war es nicht viel anders -- aber warum ist das so? Warum kann eine Partei, 
die das noch am ehesten sozial orientierte Programm bietet, dort nicht 
punkten? Warum punktet ein Strache? Das liegt nicht am Rassismus. Der 
Rassismus ist ein Symptom -- wenn es den Menschen dreckig geht und man zeigt 
ihnen einen Feind, der sich leicht hauen laesst, dann tun sie das auch. Es 
geht darum, dass im Auftreten einer politischen Funktionaersclique 
glaubwuerdig Wut und Mut dargestellt werden muss -- die Gruenen schrieben 
den Mut auf ihre Plakate, aber ihr Auftreten war halt nicht besonders mutig. 
Von Wut gar nicht zu reden.
Wenn jetzt Gruene ueber das Wieder-Erstarken der FPOe entsetzt sind, muss 
man ihnen daher schon sagen: "Ihr seid schon auch mitschuldig daran." Und 
gerade den Linken innerhalb der Gruenen muss man sagen: "Warum versucht ihr 
nicht eure Schickimicki-Wahlkaempfer von ihrem hohen Ross herunterzuholen?" 
Denn man hat genau gar nichts aus dieser Wahl gelernt: Dieses Wochenende 
waehlte die gruene Wiener Basis ihre Landesliste fuer die 
Nationalratswahlen -- und prompt wurde die photogene Oeko-Tante zur 
Spitzenkandidatin gewaehlt, die man sich eher beim Spargelessen mit Andreas 
Khol vorstellen kann, als in Favoriten in einem kleinen Tschoch bei einem 
Bier. Dass die Umwelt vor die Hunde geht, ist sicher nicht unwichtig. Aber 
jetzt gehts ans Eingemachte, es geht um massive Verarmungstendenzen, um den 
Verteilungskampf. Das sind die brennenden Themen der Zeit.
Jetzt ist es mir im Grunde scheissegal, wie gut die Gruenen abschneiden. 
Aber es ist gerade diese Partei, die viel linkes Potential aufsaugt. Und 
dieses Potential haette die Aufgabe, Unmut zu formulieren ueber die 
Umstaende im Land, in der EU, in der Welt. Es braeuchte Menschen, die zu den 
aermeren Schichten sagen: "Das ist ein Scheisssystem! Und nicht die 
Auslaender sind schuld, dass es euch dreckig geht und ihr Angst vor dem 
Morgen habt. Denn Dragana und Mehmet hackeln mit euch gemeinsam und haben 
meistens noch beschissenere Wohnungen als ihr! Ja, ihr habt recht, wenn ihr 
auf die Sozialschmarotzer schimpft, aber die wohnen nicht in der selben 
Strasse wie ihr, sondern in den Villenvierteln in Doebling und Hietzing!"
Ich hoer schon: "Aber nicht doch diese alten Klassenkampfparolen!" Und mit 
schreckgeweiteten Augen wuerden Glawischnigg und Co. ihre Koalitionschancen 
schwinden sehen, traeten Gruene wirklich so auf. Den Josefstaedter 
Bezirksvorsteher koennte man damit vergessen.
Aber man kann eine Welt damit gewinnen! Nein, nicht die Stimmen in den 
Arbeiterbezirken meine ich, ich meine, dass man damit Einfluss auf das 
Denken der Menschen ausueben kann. Denn wenn die nichtetablierten linken 
Kleingrueppchen das sagen, hoert ihnen keiner zu, aber die Gruenen sind im 
Fernsehen und sie haben noch genug Leute, die tatsaechlich bereit waeren, so 
einen Protest zu formulieren. Nur diese Leute sind erstens nicht in den 
Spitzengremien und zweitens gefangen in der Parteidisziplin. Von der 
SPOe-Linken kann man sich keinen Protest mehr erwarten, die orientieren sich 
daran, dass ihre Partei wieder den Kanzler stellen will, aber die Gruenen 
haben noch ein Potential und damit eine Verantwortung.
In Frankreich brennen die Vorstaedte. Vorausgegangen sind massive, ueber 
Jahrzehnte hinweg immer wieder eintretende Wahlerfolge der Rechten. Kaum 
glaubte man die Front National einigermassen in die Schranken verwiesen zu 
haben, schlaegt Le Pen Jospin bei den Praesidentschaftswahlen. Die 
etablierte Linke hat dagegen kein Konzept, sie spricht die Sprache der 
Menschen einfach nicht -- weder die der Le Pen-Waehler noch die der 
Minderheitenangehoerigen, gegen die die extreme Rechte hetzt.
Und jetzt zuenden wildgewordene Menschen, die sich einfach nur angeschissen 
fuehlen, voellig entpolitisiert in den Ghettos sogar Kindergaerten an -- das 
ist der Hass, die blanke Wut, die sich gegen alles richtet, was ihnen in die 
Quere kommt. Das sind keine Fundamentalisten und keine Systemkritiker und 
keine Faschisten oder sonstwas, das sind nur Menschen mit einer ueber 
Jahrzehnte aufgestaute Wut, die sich jetzt entlaedt. Und die franzoesische 
Politik will immer noch nicht verstehen, was sie da angerichtet hat.
Protest muss formuliert werden! Redet nicht grossspurig von der 
"Globalisierung" oder von "Modernisierungsverlierern"! Mit 
Gucci-Taeschchen-Rhethorik ist es nicht gemacht. Redet vom Kapitalismus! 
Redet von den Grenzen zwischen oben und unten! Redet von der Armut, die 
bewusst gemacht wird.
Straches Wahlergebnis ist ein Signal. Das muss die etablierte Linke 
begreifen! Da gibt es ein Pulverfass und das ist nicht nur geladen mit 
Molotow-Cocktails, sondern mit einem Zerfall der Gesellschaft in Ghettos und 
Gated Communities. Noch ist es nicht soweit, dass diese Bombe hochgeht, noch 
schaut alles irgendwie ertraeglich aus bei uns. Aber schaut nicht weg: Die 
Lunte brennt bereits!
*Bernhard Redl*
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