**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. November 2005; 18:30
**********************************************************

Nach(k)wahlbetrachtungen:

> Eine Frage des Stils

Die Wiener Gemeinderatswahlen sind geschlagen -- lustigerweise sind
eigentlich alle Rathausfraktionen Verlierer und Gewinner gleichermassen:
SPOe und Gruene haben gewonnen, hatten sich aber mehr erwartet. Die FPOe hat
formal massiv verloren, war aber aus einer ziemlichen aussichtlosen Position
gestartet. Die OeVP hat trotz einer miesen Situation auf Bundesebene doch
noch einiges dazugewonnen, zugegeben -- aber ehrlich: Sieger sehen anders
aus. Nur das BZOe hat weder verloren noch gewonnen -- Totgeburten koennen
nichts verlieren.

Drei Wochen ist das jetzt her, der Staub hat sich gelegt. Die erhoffte
Regierungskrise nach der FPOe-Wiederauferstehung ist bislang ausgeblieben
und auf Landesebene gilt wieder das klassische: "Alles Haeupl!"

Aber sollten man sich angesichts der Ergebnisse nicht doch Gedanken machen?
Jetzt will ich mal zwei Dinge wild durcheinandermixen, die dem ersten
Anschein nach nichts miteinander zu tun haben: Das Gerangel in Wien um Platz
2 und die franzoesischen Unruhen. Zugegeben, es ist ein wenig gewagt, aber
doch haben sie etwas gemeinsam: Das vollstaendige Versagen der Linken, die
frustrierten Massen anzusprechen.

Der Reihe nach: Wer am Abend des 23.Oktobers sich die gruene Wahlfeier
angesehen hat, dem musste eigentlich das Kotzen kommen: Gruene Schickis,
frustriert darueber, dass sie keine 20% eingefahren haben, wie sie im
hochpiekfeinen Palais Auersperg Sekt schluerfen -- das Geld, das dort an
einem Abend verpulvert wurde, ist locker ein akin-Jahresbudget. Aber genau
das entspricht dem Stil, den die Gruenen heute in der Oeffentlichkeit
praesentieren: Eine Seitenblicke-Partei, die zwar in ihrem Programm durchaus
einiges sozial Engagiertes zu bieten hatte (spuerbare Anhebung der
Sozialhilfe etc.), aber das nicht nur nicht denjenigen vermitteln konnte,
die davon profitieren wuerden, sondern das gar nicht erst wollte. So sah
dann auch das Wahlergebnis aus: In den meisten gut betuchteren Bezirken
waren die Gruenen stark -- vor allem dort, wo ein juengeres, urbanes, gut
ausgebildetes Publikum logiert. Zum einen vielleicht auch deswegen, weil
diese Menschen sich noch an ihre vielleicht nicht ganz so gut bemittelten
Studententage erinnern koennen, zum Teil aber auch sicher deswegen, weil die
Gruenen -- aehnlich der OeVP -- ihnen vermitteln konnte: "Wir sind wie ihr!"

Das koennen die Gruenen offensichtlich aber nicht den "Hacklern"
vermitteln -- mit Abstand die schlechtesten Ergebnisse erhielten sie in
Favoriten und Simmering, am beinharten Grund derjenigen, fuer die das gruene
Programm doch am ehesten geeignet scheint. Ebenso bekommt dort die OeVP kein
Bein auf den Boden, dafuer haben die Sozialdemokraten und die FPOe
abgesahnt.

Ja, richtig, das sind alles keine Ueberraschungen, bei den letzten Wahlen
war es nicht viel anders -- aber warum ist das so? Warum kann eine Partei,
die das noch am ehesten sozial orientierte Programm bietet, dort nicht
punkten? Warum punktet ein Strache? Das liegt nicht am Rassismus. Der
Rassismus ist ein Symptom -- wenn es den Menschen dreckig geht und man zeigt
ihnen einen Feind, der sich leicht hauen laesst, dann tun sie das auch. Es
geht darum, dass im Auftreten einer politischen Funktionaersclique
glaubwuerdig Wut und Mut dargestellt werden muss -- die Gruenen schrieben
den Mut auf ihre Plakate, aber ihr Auftreten war halt nicht besonders mutig.
Von Wut gar nicht zu reden.

Wenn jetzt Gruene ueber das Wieder-Erstarken der FPOe entsetzt sind, muss
man ihnen daher schon sagen: "Ihr seid schon auch mitschuldig daran." Und
gerade den Linken innerhalb der Gruenen muss man sagen: "Warum versucht ihr
nicht eure Schickimicki-Wahlkaempfer von ihrem hohen Ross herunterzuholen?"
Denn man hat genau gar nichts aus dieser Wahl gelernt: Dieses Wochenende
waehlte die gruene Wiener Basis ihre Landesliste fuer die
Nationalratswahlen -- und prompt wurde die photogene Oeko-Tante zur
Spitzenkandidatin gewaehlt, die man sich eher beim Spargelessen mit Andreas
Khol vorstellen kann, als in Favoriten in einem kleinen Tschoch bei einem
Bier. Dass die Umwelt vor die Hunde geht, ist sicher nicht unwichtig. Aber
jetzt gehts ans Eingemachte, es geht um massive Verarmungstendenzen, um den
Verteilungskampf. Das sind die brennenden Themen der Zeit.

Jetzt ist es mir im Grunde scheissegal, wie gut die Gruenen abschneiden.
Aber es ist gerade diese Partei, die viel linkes Potential aufsaugt. Und
dieses Potential haette die Aufgabe, Unmut zu formulieren ueber die
Umstaende im Land, in der EU, in der Welt. Es braeuchte Menschen, die zu den
aermeren Schichten sagen: "Das ist ein Scheisssystem! Und nicht die
Auslaender sind schuld, dass es euch dreckig geht und ihr Angst vor dem
Morgen habt. Denn Dragana und Mehmet hackeln mit euch gemeinsam und haben
meistens noch beschissenere Wohnungen als ihr! Ja, ihr habt recht, wenn ihr
auf die Sozialschmarotzer schimpft, aber die wohnen nicht in der selben
Strasse wie ihr, sondern in den Villenvierteln in Doebling und Hietzing!"

Ich hoer schon: "Aber nicht doch diese alten Klassenkampfparolen!" Und mit
schreckgeweiteten Augen wuerden Glawischnigg und Co. ihre Koalitionschancen
schwinden sehen, traeten Gruene wirklich so auf. Den Josefstaedter
Bezirksvorsteher koennte man damit vergessen.

Aber man kann eine Welt damit gewinnen! Nein, nicht die Stimmen in den
Arbeiterbezirken meine ich, ich meine, dass man damit Einfluss auf das
Denken der Menschen ausueben kann. Denn wenn die nichtetablierten linken
Kleingrueppchen das sagen, hoert ihnen keiner zu, aber die Gruenen sind im
Fernsehen und sie haben noch genug Leute, die tatsaechlich bereit waeren, so
einen Protest zu formulieren. Nur diese Leute sind erstens nicht in den
Spitzengremien und zweitens gefangen in der Parteidisziplin. Von der
SPOe-Linken kann man sich keinen Protest mehr erwarten, die orientieren sich
daran, dass ihre Partei wieder den Kanzler stellen will, aber die Gruenen
haben noch ein Potential und damit eine Verantwortung.

In Frankreich brennen die Vorstaedte. Vorausgegangen sind massive, ueber
Jahrzehnte hinweg immer wieder eintretende Wahlerfolge der Rechten. Kaum
glaubte man die Front National einigermassen in die Schranken verwiesen zu
haben, schlaegt Le Pen Jospin bei den Praesidentschaftswahlen. Die
etablierte Linke hat dagegen kein Konzept, sie spricht die Sprache der
Menschen einfach nicht -- weder die der Le Pen-Waehler noch die der
Minderheitenangehoerigen, gegen die die extreme Rechte hetzt.

Und jetzt zuenden wildgewordene Menschen, die sich einfach nur angeschissen
fuehlen, voellig entpolitisiert in den Ghettos sogar Kindergaerten an -- das
ist der Hass, die blanke Wut, die sich gegen alles richtet, was ihnen in die
Quere kommt. Das sind keine Fundamentalisten und keine Systemkritiker und
keine Faschisten oder sonstwas, das sind nur Menschen mit einer ueber
Jahrzehnte aufgestaute Wut, die sich jetzt entlaedt. Und die franzoesische
Politik will immer noch nicht verstehen, was sie da angerichtet hat.

Protest muss formuliert werden! Redet nicht grossspurig von der
"Globalisierung" oder von "Modernisierungsverlierern"! Mit
Gucci-Taeschchen-Rhethorik ist es nicht gemacht. Redet vom Kapitalismus!
Redet von den Grenzen zwischen oben und unten! Redet von der Armut, die
bewusst gemacht wird.

Straches Wahlergebnis ist ein Signal. Das muss die etablierte Linke
begreifen! Da gibt es ein Pulverfass und das ist nicht nur geladen mit
Molotow-Cocktails, sondern mit einem Zerfall der Gesellschaft in Ghettos und
Gated Communities. Noch ist es nicht soweit, dass diese Bombe hochgeht, noch
schaut alles irgendwie ertraeglich aus bei uns. Aber schaut nicht weg: Die
Lunte brennt bereits!
*Bernhard Redl*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin