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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Oktober 2005; 18:02
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Das Letzte/Bildung/Moderne Zeiten:

> Die eBay-Uni

Waehrend die Gazetten voll sind von jenem de facto-numerus clausus, der uns
durch Gesetzesaenderungen in Folge eines EuGh-Urteils beschert wurde, haben
auch die Hoehersemestrigen ihre Probleme. Und wie bei den
Immatrikulationsbeschraenkungen stellt sich auch hier die Frage: Wahnsinn
oder Methode?

*

Dieser Tage konnten MitbewohnerInnen, LebensgefaehrtInnen oder KollegInnen
ein spannendes Schauspiel beobachten, das manche belustigt, andere besorgt
zur Kenntnis nahmen: Eine ihnen als sonst recht ausgeglichen bekannte Person
sass am 20. September punkt siebzehn Uhr wie gebannt vor ihrem Computer.
Vorsorglich hatte sie sich vorher schon jegliche Stoerung oder Ansprache
verbeten und eine unter allen Umstaenden frei zu haltende Telefonleitung
gefordert. Der Internetzugang durfte fuer die kommenden Stunden nicht
abreissen! Verwundert nahmen die BeobachterInnen die Instruktionen zur
Kenntnis, auch die im Zwanzigminutentakt wiederkehrenden verzweifelten
Schreie. Um zwanzig Uhr schliesslich wurde die Leitung freigegeben und die
Person kehrte mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck wieder zu ihrem
sozialen Leben zurueck.Tags darauf wiederholte sich der Vorgang in
aehnlicher Weise, nur die Anspannung der Person war noch groesser und die
Niedergeschlagenheit -- diesmal erst um einundzwanzig Uhr -- ebenfalls.

Was war geschehen? War die Person internetsuechtig geworden? Nahm sie an
einer Internetversteigerung oder einem Online-Pokerspiel teil?

Diese Annahmen waren gar nicht so abwegig, denn die Person ist Studierende
am Soziologieinstitut in Wien und musste sich mit hunderten KollegInnen in
eine wahre Internetschlacht begeben, um einige der raren Lehrveranstaltungen
(LVs) zu ergattern.

Das Soziologie Institut Wien bietet ein elektronisches Anmeldesystem fuer
Lehrveranstaltungen an, dass den Studierenden theoretisch zwei Wochen lang
die Moeglichkeit zur Anmeldung bieten sollte. Tatsaechlich aber sind die
angebotenen Lehrveranstaltungen bereits nach 5 Sekunden heillos ausgebucht.
Hier zaehlt einzig der schnellere Mausklick und ein Breitbandanschluss!
Verantwortliche am Institut haben dieses Problem natuerlich laengst erkannt,
und deswegen alle Vorkehrungen getroffen, diese Situation zu entschaerfen.
Wegen des zu erwartenden Ansturmes auf das System wurde es kurzerhand auf
einen anderen Server transferiert. Lehrveranstaltungen wurden gestaffelt zur
Anmeldung freigegeben (40 Minuten Takt), diese wiederum unterteilt in
sogenannte Sunrisephasen (sic!), in der nur zwei Anmeldungen moeglich sind,
und die anschliessende offene Phase, in der Mehrfachanmeldungen moeglich
sind. (im 20 Minuten Takt). Das erfordert erstens ein gruendliches Studium
des Kommentierten Vorlesungsverzeichnisses (KOVO) und der per e-mail
eingetroffenen Anmeldeinformationen. Zweitens einen ausgekluegelten
Notfallsplan, schnell auf eine alternative Lehrveranstaltung ausweichen zu
koennen, falls die erste schon ausgebucht ist.

Konkret bedeutet das waehrend der Anmeldung, dass ein punktgenauer Mausklick
an zwei Lehrveranstaltungen moeglicherweise nur auf einen Wartelistenplatz
fuehrt und die naechste Gelegenheit einer Anmeldung wiederum nur noch zu
ausgebuchten Lehrveranstaltungen fuehrt. Auf dieses Hazardspiel mussten sich
die Studierenden einlassen, irgendeinen Platz zu ergattern, natuerlich
mittlerweile voellig ungeachtet jeder Inhalte oder Interessenschwerpunkte.
Alle loggten sich zur gleichen Zeit wie erwartet ein, doch schaffte der neue
Server auch diesen Ansturm nicht. Nach zwei Stunden des Bangens und Suchens
wurden die Studierenden endlich darueber informiert, dass die Anmeldung auf
den naechsten Tag, auf einen neuen, besseren Server verschoben wird. Den
Ausgang der Geschichte kennen wir.

Mittlerweile ist die Anmeldung auch offiziell vorueber,
Auslastungsstatistiken zeigen, dass nach wie vor die Lehrveranstaltungen
fuer 25 Plaetze mit Wartelisten bis zu 100 Personen ueberfuellt sind. Hier
bleibt entweder das Entgegenkommen der LV-Leiter, generell mehr Leute zu
nehmen oder individuelle Verhandlungen waehrend der ersten Einheit, die an
Dramatik kaum zu ueberbieten sind.

Denn das Soziologie-Institut hat ausreichend Lehrveranstaltungen zur
Verfuegung gestellt, wie versichert wurde, und den Studierenden, die sonst
nicht weiter im verpflichtenden Studienplan kommen, werden Plaetze im
naechsten Semester versprochen.

Bei zweisemestrigen LVs, die nur im Wintersemester angeboten werden, konnte
dieses Problem nur mit der Grosszuegigkeit der LV-leitenden behoben werden,
die Gruppen von nunmehr 40 Leuten und mehr in ihrem Seminar akzeptieren.
Zusaetzliche LVs wurden nicht angeboten.

Ausreichend Plaetze fuer hundert und mehr Studierende pro Jahrgang gab es
auch im vorhergehenden Semester nicht.

Ein dreistuendiges Pflichtseminar fuer einen Jahrgang zum Beispiel wurde im
KOVO ein einziges Mal mit einer Beschraenkung fuer 25 Personen angeboten.
Nach ein paar Sekunden hatten sich alle hundert Studierende
(ueberraschenderweise) dafuer angemeldet. Die KOVO-Vorschau verspricht zwei
weitere im Sommersemester. Bei genauer Rechnung, und dabei noch nicht
diejenigen mitgerechnet, die naechstes Semester die Zugangsvoraussetzung
dafuer erlangen werden, wird vermutlich auch dieses Angebot nicht
ausreichend sein. In jedem Fall steht den Studierenden ein weiterer
Online-Poker bevor. Alleine zu hause vor dem Bildschirm, gebannt im
Anmeldesystem herumklicken, um in der naechsten Runde mitspielen zu koennen.

Der ganz normale Wahnsinn also. Oder handelt es sich doch um eine sehr
gezielte Methode, die Studierenden, die immer noch nicht im Ausleseverfahren
hinausgeprueft wurden, auf einfacherem Wege zu minimieren? Denn irgendwie
muss ja auch ein Soziologie-Institut mit den immer staerker gekuerzten
Ressourcen zurecht kommen, oder?
*Ilse Marschalek*

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Anm.d.Red.: Diese Probleme sind allerdings nicht auf das Soziologie-Institut
beschraenkt, sondern duerften generell zumindest im geistes- und
sozialwissenschaftlichen Bereich eher die Regel denn die Ausnahme sein.
Beispielsweise auf der Politikwissenschaft koennen die Studierenden auch
schon ein schoenes Lied davon singen.

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