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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Oktober 2005; 17:06
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Frankreich/Proteste:

> Temporaere Clowns

Eine Million Menschen demonstrierte letzte Woche gegen die buergerliche
Regierung. Diese bleibt unbeeindruckt.

Der Clown ist mit ausgestreckten Armen und Beinen an einem kreisfoermigen
Geruest festgebunden. «Manpower» steht darueber geschrieben und erinnert an
das Logo der gleichnamigen Temporaerfirma. Immer wieder wird der
Festgebundene mit Fliegenwedeln gepeinigt, waehrend ihm die Peruecke ins
Gesicht rutscht. «Testen Sie Ihre Flexibilitaet», ist unter dem Geruest zu
lesen. Der ganze Aufbau steht auf Raedern und wird von mehreren
Perueckentraegern in schweren Ketten und mit roten Clownnasen gezogen. Diese
Agitprop-Aktion haben sich junge Temporaerangestellte und PraktikantInnen
ausgedacht, die fuer November zu einem erstmaligen landesweiten Streik der
temporaer Beschaeftigten aufrufen: Ihr Status werde hemmungslos missbraucht,
um junge Arbeitssuchende zu kostenloser oder unterbezahlter Taetigkeit zu
noetigen.

Gewerkschaften gegen Villepin

Viele solcher Einlagen praegten am Dienstag den Pariser Protestzug, der rund
100 000 Menschen auf die Beine brachte. Die Polizei hatte zunaechst von 30
000 gesprochen, musste ihre Zahl jedoch zum Abend auf 75 000 korrigieren.
Fuer die organisierenden Gewerkschaften und die Boulevardzeitung «Le
Parisien» waren es dagegen immer noch doppelt so viele. In ganz Frankreich
demonstrierte am Dienstag letzter Woche eine Million Menschen. Zu den
beliebtesten Motiven in den Protestmaerschen gehoerte die vom
buergerlich-konservativen Regierungslager immer wieder angekuendigte Reform
des Arbeitsgesetzes. Ein zylinderhut-tragender Demonstrant der
Angestelltengewerkschaft CGC etwa trug ein zerfleddertes Exemplar des Code
du travail vor sich her, aus dem er immer wieder Seiten herausriss und vor
sich her streute, wenn er das rote Buch nicht gerade mit einem Plastikhammer
bearbeitete.

Die Protestzuege in ueber 150 franzoesischen Staedten fielen auf den Tag der
ersten Sitzung der Nationalversammlung nach der parlamentarischen
Sommerpause. Zur Demonstration aufgerufen hatten ausnahmsweise alle
Gewerkschaften gemeinsam sowie eine Reihe von Buergerinitiativen. In Paris
waren die meisten DemonstrantInnen Mitglieder der linken Gewerkschaft CGT.

Konkreter Ausloeser fuer die Demonstration waren die mitten im Hochsommer
durch das Kabinett unter Premierminister Dominique de Villepin beschlossenen
Reformen im Arbeitsrecht. Dazu gehoert unter dem Titel
«Neueinstellungsvertrag» die Abschaffung des Kuendigungsschutzes waehrend
der ersten zwei Jahre des Arbeitsverhaeltnisses -- zunaechst fuer kleinere
und mittlere Betriebe anwendbar. Der neue Vertragstyp, der die
Beschaeftigung ankurbeln soll, fuehrt nach Ansicht von KritikerInnen dazu,
dass verbriefte Rechte der Beschaeftigten nur noch Makulatur sind. So hat
man zwar weiterhin das Recht, unbezahlte Ueberstunden und Sonntagsarbeit zu
verweigern, doch gleichzeitig koennen solche Verweigerer in den ersten zwei
Jahren eines Arbeitsverhaeltnisses ohne Angabe von Gruenden entlassen
werden. Premier Villepin ist derzeit daran, aehnliche Bestimmungen auch fuer
Betriebe mit mehr als zwanzig Beschaeftigten zu kreieren.

Villepin gegen Sarkozy

Ausserdem hat die Regierung im August auch beschlossen, die Richtlinien fuer
die Arbeitsaemter drastisch zu verschaerfen: Arbeitslose muessen seitdem
schneller mit finanziellen Sanktionen wie Kuerzung oder Streichung der
Unterstuetzungsleistungen rechnen. Der Druck zur Annahme von
Arbeitsangeboten auch zu unguenstigen Bedingungen wird erhoeht.

An den Demonstrationen wurde jedoch auch generell die soziale Misere
thematisiert: der anhaltende Kaufkraftverlust, die steigenden Mieten oder
die Massenentlassungen wie juengst bei Hewlett Packard in Grenoble.

Die Unzufriedenheit ist in grossen Teilen der Bevoelkerung verbreitet. Dies
belegen auch Umfragen, welche eine breite Zustimmung zu den juengsten
Protestaktionen ausdruecken. Die vorherige Regierung unter dem extrem
unpopulaeren Premier Jean-Pierre Raffarin musste zwar nach dem Misserfolg
der Regierung beim EU-Referendum vom 29. Mai abtreten. Doch nachdem Raffarin
in die Wueste geschickt worden ist, hat das neue Kabinett unter Dominique de
Villepin den bisherigen neoliberalen Kurs noch verschaerft - im Namen des
«Krieges gegen die Arbeitslosigkeit». Villepin steht dabei im Wettlauf mit
seinem wirtschaftsliberalen Herausforderer und Innenminister Nicolas
Sarkozy, der sich wie Villepin auf die Praesidentschaftskandidatur im
Fruehling 2007 vorbereitet und von seinem Regierungsamt aus Villepin
angreift, als sei er der Oppositionsfuehrer von rechts.
(Bernhard Schmid, WoZ 40/05)


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