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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Oktober 2005; 18:21
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Kasachstan/USA/Schweiz:
> Kasachgate
Auf Genfer Bankkonten liegen Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern aus
Oeldeals. Was tun damit?
«Basel, 31.August 2005 - Sehr geehrte Frau Bundesraetin, Duerfen wir Sie auf
einen Fall hinweisen, der unseres Erachtens eine Intervention der Schweiz
verlangt? - Die Kasachstan-Koalition» Der Fall ist 120 Millionen US-Dollar
schwer. Wer bei solchen Betraegen mit leisen Worten bittet und nicht
fordert, der weiss: Die Sache ist heikel.
Es geht um Korruptionsgelder auf Schweizer Bankkonten, das Schreiben stammt
von der Kasachstan-Koalition. Die Gruppe von kasachischen nichtstaatlichen
Organisationen, unterstuetzt von der "Aktion Finanzplatz Schweiz", moechte,
dass die Gelder den Buergerinnen und Buergern von Kasachstan zugute kommen.
Ein Brief, eine Bitte -- in einem der groessten Korruptionsfaelle der
US-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte.
Es begann Anfang der neunziger Jahre. Die Sowjetunion war eben auseinander
gebrochen, und in den neu entstandenen Staaten rund um das Kaspische Meer
begannen die neuen Machthaber mit Elan, nach Bodenschaetzen zu suchen. Und
mit Erfolg; In Kasachstan stiess man auf Oelfelder beinahe so gross wie jene
in Saudi-Arabien. Das US-Aussenministerium prognostizierte, Kasachstan werde
bis 2015 unter die Top Ten der Oelproduzenten vorstossen. Es roch nach
Arbeit und Geschaeft, auch fuer die grossen Oelkonzerne der USA. Das Problem
war nur: Wie gelangt man in das junge Land, das von Praesident Nursultan
Nasarbajew ziemlich autokratisch gefuehrt wurde? Wie sicherte man sich
Bohrlizenzen?
Die Antwort hatte einen Namen: James Giffen, genannt «the bagman» -- der
Handlungsreisende. Der heute 64-jaehrige Sohn eines Tuchhaendlers verbrachte
sein halbes Leben in Zentralasien. Zuerst als Anwalt fuer allgemeine
Handelsgeschaefte mit der Sowjetunion, dann als Experte fuer Oelfoerderung
und schliesslich als Investmentbanker mit einer eigenen Bank: Mercator. Laut
dem Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg pendelte er 150mal in die
Sowjetunion und traf sich ab und zu mit Staatschef Michail Gorbatschow oder
anderen Parteigroessen wie dem jetzigen kasachischen Praesidenten
Nasarbajew. Kurz: Giffen kannte sie alle -- obschon er kaum Russisch sprach.
Mit der Zeit aenderte sich sein Status. Der Geschaeftsmann Giffen wurde zum
Berater -- und damit zum begehrten Wissenstraeger.
Verbuergt ist die Aussage von Ed Chow, einem Manager beim Oelgiganten
Chevron, der sagte: «Es war in den neunziger Jahren unmoeglich, an einen
kasachischen Minister zu gelangen, ohne ueber Giffen zu gehen -- vor allem
fuer eine amerikanische Firma.» Zunaechst beriet Giffen den Oelgiganten
Chevron, dann die Regierung von Kasachstan, dann alle gleichzeitig.
Nasarbajew -- der «Boss», wie ihn Giffen nannte -- machte ihn zum
Botschafter mit einem kasachischen Pass.
Andere Oelfirmen klopften bei Giffen an, er faedelte fast alle
Milliardendeals zwischen ihnen und der kasachischen Regierung ein und
wickelte die Geschaefte ueber seine Bank ab. Alleine zwischen 1995 und 2000
kassierte er regulaer 67 Millionen Dollar an Honoraren. Giffen, ein
Whiskeyliebhaber, hatte nicht nur Freude am Verdienen, sondern auch am
Ausgeben. 1998 kaufte er in einem Genfer Juwelierladen Schmuck fuer eine
halbe Million Dollar. Praesident Nasarbajew schenkte er ein 80
000-Dollar-Speedboat.
Dass man so viel weiss ueber Giffen, hat mit den Ereignissen im Jahr 2003 zu
tun. Es war das Jahr, als Giffens Stern vergluehte. Die Genfer
Staatsanwaltschaft hatte 1999 -- nach einem Tipp aus Belgien -- wegen
Geldwaescherei zu ermitteln begonnen. Im Zentrum standen zwoelf Konten auf
Schweizer Banken. Man stiess auf die Namen Giffen und Nasarbajew und
orientierte die USA, die daraufhin ein Rechtshilfegesuch stellten. Das
Bundesamt fuer Justiz liess den USA Akten zukommen. Das war das Ende. Am 30.
Maerz 2003 wurde James Giffen am Kennedy International Airport in New York
verhaftet.
Die Anklage lautete auf Bestechung von auslaendischen Regierungen. Die
zwoelf Konten in Genf gehoerten neben Nasarbajew dem kasachischen
Oelminister und anderen hohen Funktionaeren. Laut dem New Yorker
Staatsanwalt soll Giffen 84 Millionen Dollar auf diese geheimen Konten
umgeleitet und im Gegenzug lukrative Bohrrechte fuer Amoco, Mobil, Phillips
Petroleum und Texaco erhalten haben.
Giffen drohen 88 Jahre Haft. Allerdings ist der Prozess inzwischen
unterbrochen worden. Giffen bezahlte eine Million Dollar Kaution und ist auf
freiem Fuss. Der Staatsanwalt sagt, noch nie habe er einen Fall gehabt, bei
dem so viele Zeugen ihre Angst geaeussert haetten, mit den Behoerden zu
sprechen.
Der Prozessunterbruch hat mit der geschickten Strategie der Verteidigung zu
tun. Diese beantragte, im Prozess Akten von Gespraechen zwischen Giffen und
fuenfzehn ehemaligen US-Behoerdenmitgliedem zuzulassen, unter ihnen
Aussenminister James Baker und CIA-Direktor Robert Gates. Die Akten sollen
zeigen, dass Giffen nicht Initiator, sondern Ausfuehrender war und in seinem
Tun von den Geheimdiensten ermutigt wurde.
Die Argumentation ist plausibel: Giffens enge Kontakte zur Machtzentrale in
Washington sind schon heute belegt. Als die USA erfuhren, dass Kasachstan
sich mit dem Gedanken trug, einige MIG-Kampfflugzeuge nach Nordkorea und in
den Iran zu verkaufen, fragte man Giffen an, ob er nicht intervenieren
koenne. Giffen reiste nach Kasachstan, und die MiGs blieben am Boden.
Und immer wieder Halliburton
Vor dem zustaendigen New Yorker Gericht sagte Giffens Anwalt William
Schwanz: «Euer Ehren, wir werden Beweise fuer die Verflechtungen vorlegen.»
Prozessbeobachter Wayne Madsen schreibt auf seiner Homepage, die Kontakte
liefen unter anderem ueber den Oelkonzern Halliburton, an dessen Spitze Dick
Cheney stand. Cheney, unter George Bush nun Vizepraesident, hat sich laut
der «New York Times» in Sachen Genfer-Konten-Affare selber ebenfalls mit
Stabsmitarbeitern von Kasachstans Praesident Nasarbajew getroffen.
Kasachstan. Fuenfzehn Millionen Einwohnerinnen, flaechenmaessig das
neuntgroesste Land der Welt. Von den Petrodollars gelangt kaum etwas bis zur
Bevoelkerung: Vierzig Prozent der KasachInnen leben unterhalb der
Armutsgrenze. Bei den letzten Wahlen kam die Partei des Praesidenten auf 43
Prozent. Weitere neunzehn Prozent entfielen auf die Partei seiner Tochter.
Auf dem Korruptionsindex der Antibestechungsorganisation Transparency
International fungiert Kasachstan auf Rang 122 von 146.
Dagegen moechten verschiedene nichtstaatliche Organisationen in Kasachstan
etwas unternehmen. Sie heissen Public Committee Against Corruption oder For
a Fair Kazakhstan und haben ein Ziel: die Zivilgesellschaft staerken. Doch
das kostet, und an diesem Punkt kommt die Aktion Finanzplatz Schweiz (AFP)
ins Spiel. «Die in Genf eingefrorenen Gelder gehoeren dem kasachischen Volk.
Deshalb moechten wir, dass die Millionen in einen Fonds geleitet werden, der
Projekte zur Staerkung der kasachischen Gesellschaft unterstuetzt», sagt
Stefan Howald von der AFP. Denkbar waere die Foerderung von unabhaengigen
Journalistenschulen oder juristischen Ausbildungsstaetten.
Die Schweiz hat bereits Erfahrung mit Fonds aus konfisziertem Geld. Zum
Beispiel in Nigeria, wo mit den Potentatenmillionen des Abacha-Clans nur
Weltbank-Projekte finanziert werden (vgl. Seite 2). Die Schweizer Regierung
und nichtstaatliche Organisationen bestimmen dabei mit, welche Expertinnen
die Realisierung der Projekte kontrollieren, Auch in Peru half die Schweiz
mit, einen Fonds zu schaffen. Die kasachische Regierung habe signalisiert,
dass ein solcher Fonds durchaus moeglich sei, sagt Howald. Die derzeitige
Unterbrechung im US-Prozess sei die ideale Gelegenheit, um politisch etwas
in dieser Richtung vorzuspuren. Jetzt haette die Schweizer Aussenministerin
etwas Handlungsspielraum.
Beim Eidgenoessischen Departement fuer auswaertige Angelegenheiten heisst
es, zuerst muesse die Justiz die laufenden Verfahren abschliessen, Aber man
teile das grundsaetzliche Anliegen, eingefrorene Gelder zurueckzufuehren.
Vor kurzem hat die internationale Rueckfuehrungsdebatte eine neue Grundlage
erhalten. Der Artikel 51 der Uno-Antikorruptionskonvention sieht vor,
sichergestellte Vermoegenswerte ins Ursprungsland zu transferieren. Die
Konvention tritt am 14. Dezember dieses Jahres in Kraft, die Schweiz hat sie
unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert.
Nur, die grosse Frage lautet: Was gilt im Fall «Kasachgate» als
Ursprungsland? Und wer darf ueber das Geld verfuegen? Was passiert, wenn
Giffen verurteilt wird? Was, wenn er freikommt?
Die Opfer
«Entscheidend wird die Beantwortung der Frage sein, wer das Opfer ist», sagt
Howald. «Wir sind der Ansicht, dass die Bestechungsgelder Teil des
Kaufpreises fuer die Oellizenzen waren. Damit gehoeren sie nach Kasachstan.»
Denkbar waere aber auch die Argumentation, dass die Oelfirmen die
Geschaedigten sind, weil die Bestechungsmillionen versteckt und zusaetzlich
zum vereinbarten Kaufpreis angefallen sind. Der Prozess in New York wird
fuer die Opferfrage entscheidend sein.
Einige Opfer sind allerdings bereits heute benennbar. Zum Beispiel der
Journalist Sergei Duwanow. Er schrieb in Kasachstan ueber die Genfer
Schmiergeldkonten und landete im Gefaengnis. Oder Lira Baisetowa, die
Chefredaktorin der Oppositionszeitung «Respublika». Sie sprach mit dem
frueheren Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa ueber die Angelegenheit und
veroeffentlichte das Interview. Kurz darauf wurde ihre Tochter entfuehrt und
ermordet. Vor kurzem schlossen die Behoerden «Respublika». Laut Intemetforen
war die Genfer Bankkonten-Affaere in Kasachstan letztes Jahr das
beherrschende innenpolitische Thema.
Bundesraetin Micheline Calmy-Rey antwortete auf den Brief der
Kasachstan-Koalition, die Schweiz suche zusammen mit den Partnern in
Kasachstan und den USA einen Weg, die Gelder den rechtmaessigen Eigentuemern
zurueckzugeben.
So toent Diplomatie.
In Kasachstan finden diesen Winter Praesidentenwahlen statt. Die Verfassung
haette Nasarbajew erlaubt, noch ein Jahr zuzuwarten. Er bittet aber bereits
jetzt an die Urnen, im Dezember, einen Monat bevor in New York James Giffens
Prozess wieder aufgenommen wird.
Das ist Politik.
(Marc Badertscher, WoZ 39/2005 / bearb.)
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