**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Oktober 2005; 18:26
**********************************************************

Afghanistan:

> Der Schatten der achtziger Jahre

Bei den Wahlen hat es sich gezeigt: Die afghanische Linke ist tief
gespalten.


«Eine Stimme fuer Nurulhak Ulumi ist eine Stimme fuer Gesetzlichkeit,
nationale Einheit und Souveraenitaet» warb der Kandidat auf seinen Plakaten.
Dass er zur Nationalen Vereinigten Partei (NUP) gehoert, der derzeit wohl
staerksten Linkspartei Afghanistans, steht nicht auf den Postern. Parteien,
zudem eine, die ihre Wurzeln in der prosowjetischen und von 1978 bis 1992
herrschenden Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) hat, sind nicht
sehr populaer im Land. Bei der afghanischen Parlamentswahl am 18. September,
deren Stimmenauszaehlung noch bis Anfang Oktober dauern wird, zaehlten
Persoenlichkeiten mehr als Programme oder Parteizugehoerigkeit.

Selbst Ulumis erbittertste Gegner in der frueheren suedafghanischen
Taliban-Hochburg Kandahar erwarten, dass der 64-jaehrige ehemalige General
den Einzug in das 249 Sitze starke Unterhaus schaffen wird. Er kann sich
sowohl auf eine starke Anhaengerschaft in seinem Baraksai-Stamm, einem der
groessten in der Kandaharer Gegend, als auch auf die fruehere
DVPA-Anhaengerschaft stuetzen. Sein Hauptkonkurrent unter den Baraksai wirft
Ulumi vor, als Supergouvemeur Suedafghanistans Ende der neunziger Jahre fuer
militaerische Aktionen gegen die Bevoelkerung verantwortlich gewesen zu
sein. Bisherige Berichte von Menschenrechtsorganisationen bieten dafuer
jedoch keinen Beleg, so dass Ulumi diese Vorwuerfe zurueckweisen kann.

68 ParlamentskandidatInnen hat Ulumis Partei landesweit ins Rennen
geschickt, darunter 20 Frauen. Programmatisch hat die Partei ihre
kommunistische Ausrichtung aufgegeben und bewegt sich auf moderat linkem
Kurs. Sie betont soziale Gerechtigkeit, die Gleichheit der Geschlechter und
die Foerderung aller Wirtschaftssektoren, also nicht nur des privaten.
Gleichzeitig bekennt sie sich aber auch zum «freien Markt» und nimmt nicht
direkt Stellung gegen die von der Regierung betriebenen weitgehenden
Privatisierungen im ausgedehnten Staatssektor.

Ulumi hofft, dass aus seiner Partei sieben KandidatInnen den Sprung ins
Unterhaus schaffen. Dort will er jene Abgeordneten um sich scharen, die er
als «demokratische Opposition» bezeichnet. Doch das wird nicht leicht sein.
Trotz programmatischer Naehe sind die Linke und das linksdemokratische
Spektrum in Afghanistan stark zersplittert. Dabei spielt die
DVPA-Vergangenheit eine zentrale Rolle. Eine Reihe der neuen
linksdemokratischen Parteien -- zu denen fruehere maoistische Gruppen,
liberale Stammesfuehrer und auch viele fruehere DVPA-Basismitglieder
zaehlen -- lehnen die Zusammenarbeit mit frueheren DVPA-Fuehrern ab. Denn
sie machen sie politisch fuer die massiven Menschenrechtsverletzungen
waehrend der sowjetischen Besatzungszeit verantwortlich, in der ein bis zwei
Millionen Menschen starben und fast sechs Millionen zu Fluechtlingen wurden.
Sie argumentieren, dass Ulumi und andere fruehere Politbueromitglieder fuer
breite Bevoelkerungskreise unwaehlbar bleiben. Ihre Kandidatur ermoegliche
es den Fundamentalisten, die demokratische Opposition pauschal als
«Kommunisten» abzuqualifizieren.

Die National-Demokratische Front (NDF) - ein Zusammenschluss neuer
Parteien - nimmt nur Parteien auf, die nicht von frueheren Politbuero- oder
Zentralkomiteemitgliedern der DVPA gefuehrt werden. Fuenf dieser inzwischen
dreizehn Parteien werden aber von frueheren DVPA-Funktionaeren der mittleren
Ebene geleitet. Das fuehrt ebenfalls zu Konflikten. Sarif Naseri, ein
ehemaliger Maoist, der seit 1979 den sowjetischen Einmarsch mit der Waffe in
der Hand bekaempft hatte und heute die Nationale Stammessolidaritaetspartei
fuehrt, empoert sich beispielsweise ueber den NDF-Kollegen Asef Baktasch von
der Nationalen Fortschrittspartei, der in einer Fernsehdiskussion ohne zu
relativieren sagte: «Wir sind stolz auf unsere Vergangenheit.» Trotz
monatelanger Bemuehungen gelang es der NDF nicht, ihre Listen abzustimmen.
So kandidierten in Kabul nicht weniger als sechs NDF-Parteivorsitzende
faktisch gegeneinander. Immerhin gab es in den Provinzen einzelne
Absprachen.

Aber auch die aus der DVPA stammende Linke ist tief gespalten, und daran ist
Ulumi nicht ganz schuldlos. Vor zwei Jahren hatten 22 linke Gruppen von
inner- und ausserhalb der frueheren DVPA nach Vorarbeiten im Exil eine
Kommission gebildet, die auf die Gruendung einer neuen, einheitlichen
Linkspartei hinarbeiten sollte. Doch Ulumi startete einen Alleingang. Drei
Viertel der beteiligten Gruppen zogen sich danach zurueck -- und
konstituierten sich zu eigenen Parteien. Die drei wichtigsten -- gefuehrt
von ehemaligen DVPA-Ministem -- unterstuetzten sich in der Wahl gegenseitig.
Im Zwist zwischen dieser Dreiergruppe und Ulumi widerspiegeln sich die
beiden Fraktionen Chalk (Volk) und Partschani (Banner), die die DVPA schon
in den achtziger Jahren innerlich zerrissen hatten.

Trotzdem muessen Linke und Linksdemokratinnen im Parlament miteinander
auskommen. «Wir werden nur eine kleine Gruppe stellen», meint Sebghatullah
Sandschar, Chef der sehr aktiven Republikanischen Partei. «Gegen die
Fundamentalisten, die wohl in der Mehrheit sein werden, ist Solidaritaet ein
muss."
(Jan Heller, Kabul, WoZ 39/05)

***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin