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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. September 2005; 15:56
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Moderne Zeiten/Gesunde Geschaefte:

> Die Alki-Kartei

Die "Vorsorgeuntersuchung Neu" sorgt vor allem bei Versicherungen und
Arbeitgebern vor

Wer glaubt, sein Arztbesuch unterliegt der aerztlichen Schweigepflicht irrt
gewaltig. Ab 1. Oktober landen zusaetzliche sensible Gesundheitsdaten auch
bei den Sozialversicherungen (in Vorarlberg und Tirol schon seit Sommer).

Mit der "Vorsorgeuntersuchung Neu" wurde ein buerokratisches Monster
geschaffen, das nicht dadurch ertraeglicher wird, dass Teile davon schon in
der Vergangenheit der Meldepflicht unterlagen. Eine Fuelle hochsensibler
Gesundheitsdaten sollen in einer zentralen Kartei landen und stehen zum
Zugriff fremder Unternehmen bereit.

Auf 207 Seiten wird nicht nur detalliert dokumentiert, welche Untersuchungen
im Detail zu fuehren sind, sondern auch was alles an die
Sozialversicherungen zu melden ist und wie die vom Patienten beantworteten
Fragen zu bewerten sind. Selbst Formulierungen zum Patientengespraech werden
wortwoertlich vorgegeben.

Damit dient die Vorsorgeuntersuchung offenbar weniger dem Patienten sondern
liefert personenbezogenes Datenmaterial fuer die Optimierung (sprich
Streichung) von Gesundheitsleistungen.

Erstmalig wird mit der zentralen elektronischen Verarbeitung der
Untersuchungsergebnisse und des Ergebisses eines "Alkoholfragebogens" der
Zugriff fuer eine unueberschaubare Zahl von Einrichtungen geschaffen, deren
vorrangiges Ziel nicht die Verbesserung der Gesundheit des Patienten ist,
sondern die Reduktion der eigenen Kosten oder die Verminderung von
Leistungen.

Zugriff haben Betriebsarzt und Privatversicherungen theoretisch nur, wenn
der Betroffene "freiwillig" zustimmt. Eine von vielen Politikern immer
wieder zynisch beschworene Freiwilligkeit, die mittlerweile ueberhaupt nicht
mehr freiwillig ist, wird sie doch bei jeder Privatversicherung und auch bei
Bewerbungsgespraechen automatisch abverlangt. Ohne Zustimmung keine
Versicherung, mit Zustimmung keine Leistung, hat doch damit die private
Krankenversicherung alle Rechte solange in alten Gesundheitsdaten
herumzustoebern, bis sie Gruende fuer die Ablehnung teurer Therapien findet.
Krankheitsbilder, die schon vor Versicherungsabschluss vorlagen sind vom
Versicherungsschutz ausgenommen.

Aus einer Versicherungsgemeinschaft wird nur mehr ein Sparverein fuer
Versicherungsunternehmen.

Die zentrale Alkoholikerdatei

Mit der Vorsorgeuntersuchung Neu hat das Gesundheitsministerium auch gleich
eine zentrale Alkoholikerdatei geschaffen. Zwar verbleiben die
Detailerhebungen beim Arzt, aus allen Fragen wird jedoch ein Punktewert
zwischen 0 und 40 Punkten. Werden mehr als 7 Punkte erreicht (Maenner, 4 bei
Frauen), gilt die untersuchte Person schon als "auffaellig" und somit
alkoholgefaehrdet.

Trinkt eine Frau taeglich zum Abendessen ein Achtel Rotwein (Frage A1) und
seltener als einmal im Monat, etwa bei einer Party mehr als sechs "Glas
Alkohol", das entspricht einem Aperitiv, zwei Achtel Wein, einem kleinen
Bier und einem doppelten "Verdauungsschnaps" (Frage A3), dann wird sie als
auffaellig registriert. Maenner haben noch eine Gnadenfrist, hat jedoch ein
Verwandter in den letzten 12 Monaten Sorgen zum Alkoholkonsum geaeussert
(was immer das sein mag) (Frage A10), liegt der Betroffene auch schon
darueber (9 Punkte) und ist als auffaellig zu registrieren.

Abgesehen von der dubiosen Alkoholikerkenntzahl enthaelt das Meldeformular
noch jede Menge weiterer problematischer oder ueberfluessiger Kennzahlen. So
ist nicht nachvollziehbar welchem Zweck die personenbezogene Meldung der
Paradontitis-Risikoklasse, des BodyMassIndex, des Blutdrucks oder des
Cholesterinwerts dienen soll. Auch kann nicht wirklich nachvollzogen werden,
welchen Nutzen ein Sozialversicherungsbuerokrat aus der Kenntnis meines
Glukose-, Nitrit-, Eiweiss- oder Blutanteils im Harn ziehen koennte.

Tatsaechlich sind diese Daten aber fuer Privatversicherungen buchstaeblich
Gold wert, lassen sie auf fruehe Krankheitssymptome schliessen. Werden diese
schon vor Versicherungsbeginn diagnostisziert, besteht kein
Versicherungsschutz.

Der Fragebogen befindet sich im eklatanten Widerspruch zum EU-Verbot der
Speicherung sensibler Daten. Gesundheitsdaten duerfen nur unter ganz
wenigen, genau definierten Bedingungen verwendet werden, etwa zu
Heilungszwecken. Die Befriedigung des Kontrollbeduerfnisses mancher
Politiker oder die Reduktion der Leistungspflicht von Versicherungen faellt
sicher nicht darunter.

Das Gefaehrdungspotential dieser zentralen Datensammlung geht noch ueber die
Bildungsdokumentation hinaus und kann Menschen in ihrer wirtschaftlichen und
sozialen Entwicklung massiv gefaehrden. Selbst wenn diese Daten
statistischen Wert haben wuerden, was angesichts des Augenblickscharakters
vieler Daten zweifelhaft ist, ergibt sich keine Notwendigkeit einer
personenbezogenen Meldung und Speicherung.

Wie gegensteuern?

Aerzten, die Meldungen zur Vorsorgeuntersuchung abgeben, sollte bewusst
sein, dass ihre Daten zentral von den verschiedensten Einrichtungen abrufbar
sind und massiv in das wirtschaftliche und soziale Leben des Patienten
eingreifen. Die Angaben sollten somit auch in Hinblick auf diese Eingriffe
gemacht werden und etwa bei der Alkoholikerkennziffer -- nach Aufklaerung
des Patienten -- sollte immer der Wert 0 ("Null") eingetragen werden. Jeder
vernuenftige Arzt wird weitere Informationen und Handlungen vermeiden, die
einem potentiell Suchtkranken sein wirtschaftliches Weiterkommen erschweren
und gerade dadurch weiter in die Sucht treiben.

Keine Bedenken gaebe es, wenn ausschliesslich die Tatsache der
Vorsorgeuntersuchung durch den Arzt gemeldet wird. Dies ist fuer die
Verrechnung zweckmaessig und sinnvoll und soll auch Doppeluntersuchungen
vermeiden helfen. Diese Abrechnungsdaten duerften jedoch nicht als
Gesundheitsinformationen betrachtet werden und duerfen keinesfalls an
Privatversicherer beauskunftet werden. Ansonsten wuerde die Gefahr bestehen,
dass allein aus der Tatsache, dass eine Vorsorgeuntersuchung durchgefuehrt
wurde Druck auf den Antragsteller ausgeuebt wird, die Daten "freiwillig" vom
Hausarzt zu beschaffen.

Sowohl die Tatsache, dass jemend einen Arzt konsultiert hat, als auch die
Ergebnisse der Konsultation sollten Privatsache bleiben und unter die
strengste Geheimhaltung fallen.

Grundsaetzlich waere es zu begruessen, wenn Aerzte einen Beitrag zur
Suchtpraevention leisten. Dies soll aber nicht dazu fuehren, dass die
Menschen -- wie nunmehr geplant -- in einer zentralen Suchtkartei landen.
Der Meldebogen zur Vorsorgeuntersuchung muesste radikal entbuerokratisiert
werden und von allen gesundheitsbezogenen Informationen entlastet werden.

Nur wenn die Menschen Vertrauen zur absoluten Schweigepflicht des Arztes
haben, werden sie bereit sein fruehzeitig und offen ueber alle medizinischen
Probleme zu sprechen und somit beitragen das Gesundheitsniveau zu erhoehen.
Nur zu verschiegenen Aerzten gehen die Menschen freiwillig. Aerzte und
Aerztevertreter sollten bei ihren Verhandlungen zur Finanzierung der
Leistungen staerker als bisher auf diesen Schutz der Intimsphaere achten.

Menschen, die bisher an einer Vorsorgeuntersuchung teilnahmen sollten
jedenfalls Auskunft ueber die bei der Sozialversicherung gespeicherten Daten
verlangen und deren Loeschung unter Hinweis auf die EU-Richtlinie
Datenschutz begehren. Die ARGE DATEN bietet betroffenen Personen
Unterstuetzung bei diesen Verfahren an.

Patienten, die jetzt zur Vorsorgeuntersuchung gehen, sollten sich jede
einzelne Information auf dem Meldebogen erklaeren lassen und nur eine
Meldung unterschreiben, die durchschnittliche bzw. unauffaellige Daten
enthaelt. (ARGE DATEN/gek.)

Quelle:
http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-E-RATING&s=40093bcj



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