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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. September 2005; 13:31
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Staat/Religion/Glosse:

> Bei uns in Bagdad

Warum ein irakischer Gottesstaat nicht das eigentliche Problem darstellt

Ob die von der irakischen Regierung vorgeschlagene Verfassung eine Mehrheit
bekommt, wird wohl von der Frage abhaengen, ob die projektierte Form des
Foederalismus beim Referendum akzeptiert wird. Mehr Aufregung loeste
allerdings im Westen die Bindung an den Islam als Rechtsquelle aus. Doch
ganz so absurd ist das ja nicht mal -- wenn ich mir die Gottesbezuege in
diversen Verfassungen, aber auch in Statements von Regierungschefs (nicht
zuletzt des amerikanischen) ansehe, so ist buergerliche Demokratie (wie sie
real existiert) und Theokratismus durchaus vereinbar. Mit Demokratie in
einem saekularem, individual-buergerrechtlichen Sinne natuerlich nicht, aber
die existiert im Westen ja so auch nicht. Denn wenn ich hoere, dass Darwins
Erkenntnisse an amerikanischen Schulen in manchen Bundesstaaten immer noch
nicht als Stand der Wissenschaft anerkannt werden, schreckt mich der
theokratische Ansatz im Irak nicht wirklich. Oder man erinnere sich an die
durchaus nicht dezenten Kraefte, die die EU-Verfassung vergoettlichen
wollten! Oder man stelle sich vor, die OeVP haette eine
Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat und koennte machen, was sie wollte...

Es gibt nur zwei relevante Unterschiede -- aber die sind nicht unerheblich.
Zum einen: Die westlichen buergerlichen Demokratien erkennen alle
einigermassen die Religionsfreiheit an und respektieren ansatzweise auch
ueber den privaten Bereich hinaus diese (wenn auch mit faktischer
Bevorzugung des verschiedenen Geschmacksrichtungen des Christentums).

Zweitens steht nicht der Koran oder Allah, sondern der Islam als
Rechtsquelle im irakischen Verfassungsentwurf. Und das ist deutlich etwas
anderes. Immerhin ist der Koran als Rechtsquelle sehr prominent auch in
einer Verfassung definiert, an den man im ersten Moment gar nicht denkt: in
Libyen. Nur: Irgendwelche Mullahs haben dort noch weniger im Staat zu reden
als bei uns die Pfaffen, denn die Auslegung des Korans ist faktisch allein
die Sache des Revolutionsfuehrers -- praktisch ist Libyen eine saekulare
Theokratie.

Ist aber der Islam -- also die Religion selbst -- Rechtsquelle, wird es
spannend, denn dann unterliegt die Ausdeutung des Koran den religioesen,
nicht den staatlichen Autoritaeten. D.h. zweierlei: erstens sind damit die
Vorstellungen von buergerlicher Demokratie, Frauenrechten, einer Reihe
anderer Menschenrechte etc. vollkommen obsolet. Zum anderen sind die
islamischen Religionsgemeinschaften speziell im irak nicht nur in sunnitisch
und schiitisch gespalten, sondern auch in einen ganzen Zoo sunnitischer und
schiitischer Sekten und Stroemungen, von denen eine jede
Absolutheitsanspruch hat. Das bedeutet, dass die Formulierung, kein Gesetz
duerfe dem Islam widersprechen, absurd ist, wenn der Islam in seinen
verschiedenen Versionen sich selbst widerspricht. Das wiederum kann
verschiedene Folgen haben: die Autoritaeten einigen sich oder werden durch
Pfruende ruhiggestellt und es entsteht ein autoritaerer, aber korrupter
Gottestaat; oder der Islam faellt als Rechtsquelle in eine vollkommene
Bedeutungslosigkeit, weil keine gueltige Auslegung zu bekommen ist; oder
aber (was unter den gegenwaertigen nationalen als auch globalen Bedingungen
am wahrscheinlichsten ist) ein vollkommen instabiles Rechtssystem entsteht,
das weder buergerliche Demokratie noch einen funktionierenden Staatsapparat
gewaehrleisten kann. Ueber kurz oder lang wird der Irak damit wohl solange
herumschlingern, bis ein neuer starker Mann kommt, der das alles unter
Kontrolle bringt, womit wir wieder beim Stand von Saddam Hussein waeren.

Die Rueckkehr der Hohepriester

Aber das ist noch nicht das eigentliche Problem. Die irakische Entwicklung
ist ja nur die letzte in einer ganzen Reihe erloesungsorientierter
politischer Tendenzen hin zu einer Rueckkehr zu islamisch/islamistisch
gepraegten Politikvorstellungen in Asien und Afrika in den letzten 20 oder
30 Jahren. Und mit dieser ganzen religioesen Wahnhaftigkeit drueben wird es
hueben, hier bei uns, dann wirklich auch heikel. Denn in dieser Situation
erstarkt in Europa das politische Christentum -- interessanterweise naemlich
sowohl in der Abwehrhaltung gegen den Islam, als auch in Anlehnung an eine
Abkehr von saekularen Staatsmodellen. Die durchaus verstaendlichen
Bemuehungen christlicher Kirchenvertreter, zum Dialog mit dem Islam
anzutreten, verstaerken dabei prompt den Trend zu einer Rueckkehr der
Religion in die Politik. Ploetzlich erscheinen kirchliche Kreise
christlicher und islamischer Praegung mit einer Art Vermittlungsfunktion auf
der politischen Ebene und zementieren damit den fuer sie erwuenschten
Effekt, dass ihre eigene Wichtigkeit betont wird. Die Kirchen, die an der
ganzen Malaise ueber die Jahrhunderte hinweg nicht ganz unschuldig sind,
tauchen da ploetzlich als Wunderheiler auf. Gerade die Aussage, dass doch
alle Weltreligionen gemeinsam nichts anderes als den Frieden wollten, ist
eine Selbstempfehlung der Religionsgemeinschaften als Problemloeser. Eine
naive Unterstuetzung fortschrittlicher Kreise solcher "Dialoge", die trotz
guten Willens mancher Beteiligter nichts anderes sind als Propaganda eines
Weltverbandes der Gottesglaeubigen, sollte im Lichte dieser Ueberlegungen
doch etwas vorsichtiger angegangen werden.

Im Irak wie anderswo auf der Welt drehen sich die Konflikte nicht um die
Religion. Wenn es den Menschen oekonomisch gut geht, sind ihnen Dinge wie
Religion oder Ethnie ziemlich egal. Wenn es ihnen aber schlecht geht und es
kommt jemand, der ihre Wut gerne fuer seine Ziele ausnuetzen moechte, ist
die Religion ein seit Jahrtausenden erprobter Transmissionsriemen -- egal,
wie die angebetete Gottheit gerade heisst. Die Probleme dieser Welt muss man
anderswo suchen. Solange man sie sich mit Weihrauchschwaden verschleiern und
mit Gebetsteppichen zudecken laesst, wird man sie nicht loesen.
*Bernhard Redl*


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