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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. September 2005; 13:26
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Kommentare der Anderen/Venezuela:
> Der rote Hugo und seine Feinde
Die Auseinandersetzungen um Hugo Chavez muten bizarr an. Unlaengst zeigte 
sich Venezuelas Praesident an der Seite von Revolutionsfuehrer Fidel Castro 
auf Kuba. Gewandet in olivgruene Uniform hielt er auf der Karibikinsel eine 
seiner beruechtigt ausfuehrlichen Reden ueber Kapitalismus, Jesus und den 
Sozialismus. Die Reaktion aus den USA kam postwendend. Allerdings schickte 
diesmal nicht US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine Warnung an 
Chavez, sondern Pat Robertson, ein Fernsehprediger mit hoher Einschaltquote. 
Der regte unverbluemt die Beseitigung des venezolanischen Praesidenten an.
Das US-amerikanische Aussenministerium verurteilte den Mordaufruf des 
einflussreichen Evangelisten. Doch Venezuelas roter Hugo, ein begnadeter 
Populist und Selbstdarsteller, liess sich die dargebotene Chance nicht 
entgehen: Im venezolanischen Fernsehen sprach er von einem «Akt des 
Terrorismus» und forderte die Auslieferung des US-amerikanischen 
Hass-Predigers an die Justiz seines Landes. Auch der gerade in Venezuela 
weilende US-amerikanische Buergerrechtler Jesse Jackson nannte die 
Aeusserungen Robertsons «unmoralisch und illegitim».
Wie kaum ein anderer polarisiert Chavez derzeit die Politik in Nord- und 
Suedamerika. Dabei liefert Venezuela weiterhin zuverlaessig die 
ausgehandelten Oelmengen nach Nordamerika -- dies dank der gestiegenen 
Nachfrage zu sehr, sehr guten Preisen. Den Zorn Washingtons fordert der 
charismatische Politiker allein deswegen heraus, weil er hartnaeckig von 
einer solidarischeren Gesellschaft spricht und die Freihandelspolitik des 
noerdlichen Kapitalismus im Widerspruch dazu sieht. Als gewaehlter 
Praesident ueberstand er 2002 einen Putschversuch und gewann auch das von 
der Opposition geforderte Abwahlreferendum im letzten Jahr deutlich.
Venezuela ist der fuenftgroesste Oelproduzent der Erde und verdient 
Milliarden an dem Geschaeft. Viele der 25 Millionen Einwohnerinnen haben 
aber die laengste Zeit wenig von diesem Reichtum gesehen. Chavez kam an die 
Regierung, um dies zu aendern. Den Marginalisierten hat der Volkstribun --  
ein Offizier, der aus einer indigen-amerikanischen Lehrerfamilie stammt --  
Stimme und Hoffnung gegeben. Im Ausland mag man sich ueber seine mitunter 
reichlich ausladenden Weltverbesserungstiraden mokieren. Tatsache ist, dass 
Chavez, der auch gerne im Jogginganzug vor die Kamera tritt, die unteren 
Schichten ueberzeugt. Und ohne deren permanente Mobilisierung und aktive 
Mitarbeit waere das Experiment in Venezuela laengst gescheitert. Und so 
wandern nun einige Millionen der venezolanischen Erdoelmilliarden in die 
Armutsbekaempfung, Alphabetisierung und Gesundheitsversorgung Mittelloser.
Allerdings ist Chavez auch innerhalb der suedamerikanischen Linken nicht 
unumstritten. So manch alter Weggefaehrte seiner «bolivarischen Revolution» 
hat sich von ihm abgewandt. Viele wuerden sich weniger Personenkult und mehr 
innerparteiliche Demokratie wuenschen. Doch unbestreitbar ist, dass seine 
Regierung fuer das Soziale einer Demokratie einiges zustande bringt. Mit 
Unterstuetzung des Staates wurden privatwirtschaftlich als unrentabel 
geltende Industriebetriebe von den Belegschaften uebernommen. Brachliegende 
Laendereien wurden an Besitzlose verteilt. Einige Aktivistinnen moegen sich 
als Speerspitze einer neuen marxistischen Arbeiterbewegung begreifen; andere 
werden sich eher als stolze Kleinbauern und UnternehmerInnen betrachten, 
deren solides Fundament die Botschaft Christi bildet.
Wohin der Prozess in Venezuela treibt, ist durchaus offen. Vieles erfolgt in 
schlichter Reaktion auf das Versagen des alten Nationalstaats und der 
mangelhaften kapitalistischen Selbstregulation. Und warum sollten nicht im 
Austausch gegen Oel 25.000 kubanische Aerzte und Lehrkraefte in Venezuela 
arbeiten? Welches Marktgesetz verbietet das? Wer nicht ideologisch voellig 
verblendet ist, wird darin einen vernuenftigen Deal sehen. Chavez' Regierung 
konnte die Staatskrise von 2002/2003 nur ueberwinden, weil viele 
Venezolanerinnen eine alternative Entwicklung, eine Korrektur des alten 
korrupten Systems wuenschen. Nur Hassprediger koennen das nicht anerkennen.
Trotz vieler in- und auslaendischer Stoermanoever wird die Wirtschaft 
Venezuelas 2005 um geschaetzte sieben Prozent wachsen. Chavez wettert im 
Grossen gegen Neoliberalismus und Kapitalismus. Im Kleinen fordert er --  
neben neuen Jobs -- eine nicht unbedingt antikapitalistisch gedachte 
suedamerikanische Marktintegration. Dabei tut er viel, um in der Region 
Verbuendete zu finden. Argentinien half er bei der Umwuchtung der 
Staatsschuld, mit Brasilien und Argentinien wurde eine gemeinsame 
Erdoelunternehmung gegruendet. Seit dem 24. Juli ist Telesur auf 
Probebetrieb. Das «CNN Suedamerikas» wurde von Venezuela, Kuba, Argentinien, 
Uruguay und Brasilien initiiert. Zum Verdruss vieler im Norden weiss auch 
der kleine Hugo aus Caracas um die Bedeutung kultureller Hegemonie.
(Andreas Fanizadeh, WoZ, 1.9.2005)
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