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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Juni 2005; 13:31
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akin-pd-Variante (28.6.2005)
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Debatte/Demokratie:
Nachfolgend ein letzter Beitrag zur Debatte unter anderem zwischen Thomas
Herzel und dem Gegenstandpunkt. Letzterer repliziert dabei auf mehrere von
Herzels bisher in der akin erschienenen Stellungnahmen zur Debatte um das
Wesen der Demokratie.
Zum besseren Verstaendnis:
Die Herzel-Zitate am Anfang jedes neuen Abschnitts sind zwischen Sternderln
gestellt. Nachfolgender Text wurde sehr stark gekuerzt. Bei Interesse
schicken wir gerne den Volltext von 9 Seiten als pdf-File zu.
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Die Demokratie in den Augen eines Anbeters: Heilig!
Teil 2
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Kritik - an der Demokratie - muss konstruktiv sein!
TH:*Gar nichts habe ich gegen eine - zumindest halbwegs - fundierte Kritik
an Demokratien, demokratischen Einrichtungen, Verfassungsgesetzen,
Wahlgesetzen und mehr. Von mir aus soll ruhig einer die Tatsache bemaengeln,
dass z.B. so mancher arme Afghane fuer die Stimmabgabe "gezwungen" war,
zig-Kilometer auf einem Esel zu reiten. Aber das, was der Gegenstandpunkt
von sich gegeben hat, war keine "Kritik", sondern oberflaechlich
pauschalisierendes Geschwaetz.*
Es war fuer T.H. offenbar eine neue Erfahrung, von der er sich noch immer
nicht erholt hat: Eine fundierte Kritik kann doch tatsaechlich eine
begruendete Absage an ihr Objekt formulieren! Wer haette das gedacht!
Zugegeben, das widerspricht dem gaengigen Dogma, wonach Kritik zwangslaeufig
konstruktiv zu sein haette, also vor allem von der Sorge um ihre Zielscheibe
getrieben sein muesste und daher nur Verbesserungsvorschlaege abzuliefern
haette. Allerdings - so lueckenlos wird dies Dogma auch wieder nicht
vertreten, nicht von T.H. und nicht von den gleichgesinnten Moderatoren der
oeffentlichen demokratischen Gesinnungswirtschaft: Weder gegenueber dem
abgewickelten realen Sozialismus noch, sagen wir mal, aktuell gegenueber dem
islamischen Fundamentalismus war das dogmatische Verlangen nach
ausschliesslich konstruktiver Kritik ein grassierendes. Der Imperativ, man
duerfe die genannten Positionen hoechstens kritisieren, um ihnen weiter zu
helfen, wurde nirgends vernommen! Diese Pflicht zur unbedingten
Parteilichkeit, zur bedingungslosen Treue, die gilt nur gegenueber "unserer"
Staatsform. So moechte die freieste aller moeglichen Ordnungen, sehr
dogmatisch, das unbedingte und unbeirrbare Bekenntnis zu ihr zur
Diskussionsgrundlage erheben. Die kritische Haltung in diesem Sinn -
hundertfuenfzigprozentig dafuer und deswegen jederzeit bereit, ja geradezu
verpflichtet, Kleinigkeiten zu bekritteln - die ist in der Tat weit
verbreitet, wenn nicht die Manier des Mitmachens schlechthin. Die Demokratie
erwartet von ihren Mitlaeufern, dass sie beim Mitmachen meckern, und stellt
zu diesem Zweck eigene Abteilungen in ihrem Herrschaftsgefuege zur
Verfuegung, eine komplette Oeffentlichkeit und die sogenannte(n)
Oppositionspartei(en). Die sind daher nicht, wie es das Fremdwort nahelegt,
dagegen - die moechten bloss selber drankommen.
DEMOKRATIE und HERRSCHAFT
TH:*"Demokratie ist das Mittel der Herrschaft" schreibt der Gegenstandpunkt.
Das ist nichts als ein voellig bedeutungsloser, dumm verallgemeinernder
Satz, der erstens die Bedeutung des Wortes "Demokratie" verkennt und
zweitens die Tatsache, dass die Demokratie ja kein "Mittel" der "Herrschaft"
sein KANN. Man koennte - genauer - sagen, dass es in der Demokratie
"Gruppen, Konzerne, ..." gibt, die "in" der Demokratie "Moeglichkeiten
nutzen" um Herrschaft auszuueben. Ich lade auch dazu ein, konkret solche
Leute, Konzerne zu benennen und ihnen e-mails zu schreiben, aber: Was hat
das mit "Demokratie" zu tun? Der Gegenstandpunkt muesste erst den Beweis
dafuer erbringen, dass die gleichen Gruppen, Konzerne ... nicht auch in
undemokratischen Systemen existieren und dort andere, bessere
"Moeglichkeiten" nutzen koennten.*
Die Bedeutung des Wortes "Volks-Herrschaft" haelt zumindest die Existenz von
Herrschaft fest. Die Abwesenheit von Herrschaft wird durch die
Zusammensetzung "demos-kratos" gerade nicht formuliert. Es wird darin als
das Subjekt der Herrschaft das Volk benannt, und das ist
erklaerungsbeduerftig. Wenn das Volk herrscht, worueber herrscht es denn
dann? Und wer wird beherrscht? Wie allgemein bekannt, herrschen in der
Demokratie Parlament und Regierung, indem sie Gesetzbuecher machen, die fuer
die gesamte Gemeinde gelten, wobei Zuwiderhandlung bestraft wird. Diese
Instanzen sind aber so hoeflich, das von ihnen regierte Volk als den
eigentlichen Souveraen und Auftraggeber ihres Wirkens vorstellig zu machen,
von dem die "Macht" "ausgeht", wie das in der oesterreichischen Verfassung
so schoen heisst - jene Macht, die nie mehr zurueckkommt und dauerhaft bei
den genannten Organen verbleibt. Die Aufloesung des Widerspruchs, dass
Herrscher und Beherrschte identisch sein sollen - aber ohne dass sich die
Herrschaft verfluechtigt, ueberfluessig wird! -, die liegt darin, dass die
Herrschaft von den Untertanen gewollt wird, dass die Beherrschten also
dafuer sind, von einer Instanz, die alle Gewalt bei sich monopolisiert,
Vorschriften aufgedrueckt zu kriegen. (Warum dem so ist, ist eine andere
Frage: Die Regierten muessen sich zu dem Fehler vorarbeiten, den nationalen
Kapitalismus und die Klassengesellschaft, den modernen "Standort" also als
ihren gemeinsamen Besitzstand zu betrachten, der eine starke obrigkeitliche
Hand braucht. Und indem die Untertanen periodisch bei Wahlen die Machthaber
ausdruecklich ermaechtigen, lernen wir schon in der Schule, dass im Fall der
Demokratie von "Herrschaft" eigentlich nicht mehr gesprochen werden kann.)
T.H. will nicht weltfremd wirken, er konzediert, dass es "in der Demokratie"
"Gruppen, Konzerne" geben mag, die womoeglich Herrschaft ausueben - und dann
folgt ein bizarres "Argument": Das kann mit Demokratie nichts zu tun haben,
das kann man der Demokratie nicht ankreiden - es sei denn, man koennte
"nachweisen", dass jene Subjekte nicht auch in nicht-demokratischen Systemen
existieren und noch besser dran waeren?! Jenseits der diffusen
Gedankenfigur: Wenn in der Demokratie und auch in anderen Systemen
gleichermassen Herrschaft stattfindet, ist doch nur gesagt, dass die
Demokratie und die anderen Systeme etwas gemeinsam haben, das dann eben
allen vorzuwerfen ist. Der leicht dadaistische Zwischenschritt - "Ich lade
auch dazu ein, konkret solche Leute, Konzerne zu benennen und ihnen e-mails
zu schreiben" - hat auch viel mit Demokratie zu tun: Mit der
Wahnvorstellung, man koennte und sollte mit Machthabern von gleich zu gleich
im Diskurs verkehren.
TH: *Der Gegenstandpunkt widerspricht sich selbst, wenn er andauernd von den
in Demokratien(?) - "beherrschten Untertanen" spricht, weil gerade die
angesprochenen Wahlen in Afghanistan und der Ukraine die allerallerersten
Schritte sind, dass die afghanischen Untertanen von der Feudalherrschaft,
auch der der Taliban, und die ukrainischen Untertanen von der Herrschaft der
russischen Zentralbuerokratie loskommen. Der Gegenstandpunkt bekaempft also
seine eigenen Ansichten!!! Und das soll ich ernst nehmen?*
Es macht sich bei T.H. wieder eine hochgradige Lese- bzw.
Gedaechtnisschwaeche bemerkbar: Der GegenStandpunkt hat nie behauptet, die
Leute in Afghanistan und in der Ukraine waeren neulich ausgerechnet ueber
die Wahlen die Herrschaft ueber sich und damit ihre Stellung als Untertanen
losgeworden oder sie haetten immerhin einen ersten Schritt dazu getan; da
will jemand offenbar dem GegenStandpunkt seine Ansichten unterjubeln, um
dann grossspurig einen "Widerspruch" zu konstruieren. Die Leute in
Afghanistan sind per Bombenkrieg die Herrschaft der Taliban losgeworden und
der Herrschaft eines Ami-Statthalters unterstellt worden, der sich ohne
US-Armee schaetzungsweise gerade noch zehn Minuten an der Macht halten
koennte; und den durften sie anschliessend sogar waehlen. In der Ukraine ist
den USA und der EU der von ihnen betriebene "Regimewechsel" sogar ohne Krieg
gelungen. Das ist alles. (So der offizielle Fachausdruck: Die Betonung liegt
auf Regime-Wechsel - Alt-Herrschaft weg, Neu-Herrschaft da!)
Frau waehlt und hat dadurch nichts zu melden (1): Weiss er ueberhaupt...
TH: *Wenn ich nur daran denke, wie lange und hart die Frauen z.B. in
Grossbritannien fuer ihr Wahlrecht gekaempft haben. Was versteht der
Gegenstandpunkt ueberhaupt unter einem "Wahlakt" (siehe oben...)? Hat er
sich mit irgendwelchen Wahlgesetzen auseinandergesetzt? Weiss er, wie
Mandate berechnet und vergeben werden? Wie sich eine Regierung bildet? Weiss
er, dass das in jeder Demokratie ziemlich anders ist? Hat er auch nur den
kleinsten Schimmer ueber Bundes-, Landes- und Gemeindegesetze und Verteilung
von Kompetenzen und Finanzen?*
Der Hinweis, dass fuer das Wahlrecht gekaempft wurde, bezieht sich auf
dessen Durchsetzung, er weicht dem Streit darueber, wofuer da gekaempft
wurde, ein wenig aus. Die Hypothese, wonach der praktische, kaempferische
Einsatz fuer eine Sache deren Nutzen fuer die Kaempfer unwidersprechlich
beweist, die stimmt halt nicht. Zum historischen Durchbruch des Wahlrechts
hat uebrigens das Benehmen der arbeitenden Klassen waehrend des Ersten
Weltkriegs entscheidend beigetragen: Die Proletarier aller beteiligten
Laender hatten nicht fuer sich, sondern an den diversen Fronten lang und
hart fuer ihre Vaterlaender gekaempft, sich beim wechselseitigen Umbringen
verheizen lassen und darueber bewiesen, dass auf sie Verlass war, dass sie
gar nicht die vaterlandslosen Typen waren, als die sie von der
kommunistischen Arbeiterbewegung gezeichnet wurden. Dafuer wurden sie in
manchen Laendern gewissermassen mit dem Wahlrecht "belohnt". (Welche Staaten
fallen da drunter? Wer es fuer wichtig haelt, moege sich informieren. Und,
jawohl, es gibt verschiedene Methoden, Stimmen zusammenzuzaehlen und in
Mandate umzurechnen. Die Kompetenzverteilung auf Gebietskoerperschaften ist
ebenfalls national verschieden. Da aendert aber auch nichts an der
Entscheidung, die der Waehler trifft, wenn er sein Kreuz macht.)
Frau waehlt und hat dadurch nichts zu melden (2):
Gut so! Wahl ist Fremdbestimmung!
TH: *Warum, zum Teufel, sollte die Frau im "Wahlakt" ueber ihre
"Lebensumstaende" abstimmen? Ueber die soll sie doch selbst entscheiden,
oder? Ob sie lieber in der Stadt oder am Land lebt? Einen grossen oder
kleinen Mann liebt? Kinder hat? Lieber in einer Baeckerei oder in einem
Restaurant arbeitet? Also bitte, ich persoenlich haette absolut keine Lust,
dass irgendeine Partei mir vorschreibt, ob ich jetzt halbtags oder ganztags
arbeiten gehen moechte. Das will ich selbst entscheiden! Und tu ich
uebrigens auch!*
Die Wahl ist also die Zustimmung zur Fremdbestimmung. Wer waehlt,
ermaechtigt in der Tat "irgendeine Partei", ihm Vorschriften zu machen, und
zwar ueber alle Materien, die der Gesetzgeber fuer relevant haelt. Stimmt
auffallend; Glueckwunsch! Und wen frau liebt, bleibt tatsaechlich ihr
ueberlassen. Aber ueber alle Pflichten, die der Gesetzgeber an Liebe,
Beziehung, Ehe und Nachwuchs knuepfen will, ist laengst entschieden, bevor
sie sich verliebt. Den Zwang, eine bestimmte Arbeit zu verrichten, kennt die
Demokratie nicht. Der waere kontraproduktiv fuer die Tugend der
"Flexibilitaet". Dafuer kennt sie den flaechendeckenden Zwang zum
Geldverdienen, der wird durch die erzdemokratische Einrichtung des Eigentums
und durch die demokratische Verpflichtung auf ein gesetzliches
Zahlungsmittel eingerichtet. Auf Basis dieses Zwangs darf sich jeder voellig
frei genau den Job auswaehlen, den er gerade findet, sofern ihm einer
angeboten wird. Dieser Zwang hat in der vordemokratischen Phase seiner
Etablierung die Arbeitskraefte buchstaeblich ruiniert - und damit den Nutzen
der Benutzer der Arbeitskraft in Frage gestellt. Seither ist die Arbeitszeit
Gegenstand der Gesetzgebung - durch die diesbezueglichen demokratischen
Reformen der letzten Jahre wurde uebrigens der klassische Achtstundentag
wieder abgeschafft.
Frau waehlt und hat dadurch etwas zu melden (3): Negativ! Wahl kann Abwahl
sein!
TH: *Auf der anderen Seite entscheidet die Frau im Wahlakt sehr wohl ueber
manche "Lebensumstaende": Sie kann diejenige Partei waehlen, die ihren
Ansichten am besten entspricht. Damit entscheidet sie auch ueber Dinge wie
Mindestloehne oder Kindergeld (sollte dafuer am besten FPOe waehlen!!!) und
vieles andere. Aber das Wichtigste - und demokratisch essentielle - am
"Wahlakt" ist, dass die Bevoelkerung dort eine Regierung abwaehlen kann. Und
das ist nur in einer Demokratie moeglich. Und das passiert auch wie z.B.
kuerzlich in Spanien, weil die (konservative) Regierung die Bevoelkerung
ueber die Drahtzieher der Attentate von Madrid belogen hatte. Sie kann auch
der Regierung das "Regieren" erschweren wie derzeit in Deutschland, wo die
SPD-Waehler aus Enttaeuschung darueber, dass die SPD ihre Ideale verraet,
bei den Regionalwahlen daheim bleiben.*
Nein: Wenn frau Parteien waehlt, dann entscheidet Waehlerin ueber gar
nichts. "Entscheiden" - eine beschoenigende Bezeichnung fuer Regieren oder
Herrschen - tun die gewaehlten Parteien, ueber Kindergeld ebenso wie
allfaellige Mindestloehne. Wenn fuer T.H. "das Wichtigste - und demokratisch
essentielle - am "Wahlakt"" darin liegt, dass die Bevoelkerung zwar ueber
keine einzige Materie positiv bestimmen, aber eine negative Entscheidung
ueber das Personal faellen und die Regierung abwaehlen kann, muss der
Vollstaendigkeit halber erwaehnt werden, dass der "Preis" fuer diese tolle
demokratische Moeglichkeit die Machtuebernahme durch eine neue Regierung
ist - und der steht der Waehler dann genau so ohnmaechtig gegenueber wie
vorher der abgewaehlten. In Nordrhein-Westfalen hat der Waehler in der Tat
neulich die SPD-dominierte Regionalregierung abgewaehlt, und eine
CDU-dominierte hingewaehlt - klar, fuer die Machthaber ist das schon
essentiell. Aber darf man fragen, fuer wen sonst? Wem nuetzt das? Ausser der
CDU? Was hat der Waehler denn davon? In der Tat, bei den Anhaengern der
Demokratie gilt das als tolle Sache, aber wo liegt denn nun der Vorteil fuer
den Waehler, wenn sich die Figuren an der Macht abwechseln? Vranitzky -
Klima - Schuessel, oder Kohl - Schroeder - ev. Merkel, wieso ist das eine
Errungenschaft und worin besteht sie? Waehler darf seine Enttaeuschung ueber
die Machthaber konstruktiv betaetigen, so dass sich an den Prinzipien der
Machtausuebung gerade nichts aendert!
In der Demokratie haben "andere" "das Sagen". Stimmt. Warum soll man das
befuerworten?
TH: *Ich konnte aus diesen Ausfuehrungen nur ableiten, dass es sich um keine
(vielleicht tatsaechlich notwendige) Kritik an demokratischen Einrichtungen
handelt, sondern dass die dogmatische Linke unfaehig ist, "Demokratie" zu
verstehen bzw. demokratische Entscheidungen und Entscheidungsfindungen zu
akzeptieren. Sie kapiert nicht, dass es das "Wesen" der Demokratie ist, dass
dort auch andere Gruppen das Sagen haben koennen. Diese Linke moechte am
liebsten putschen und der ganzen Welt ihren Willen aufzwingen. Und sie ist
insofern schlimmer (und gefaehrlicher) als die religioese Rechte!*
Warum soll man denn "demokratische Entscheidungen und
Entscheidungsfindungen" "akzeptieren" - blanko und unbedingt, also
unabhaengig davon, worin sie bestehen? Weil alles demokratisch
Beschlossene - wieder unabhaengig davon, worum es geht - heilig und
unkritisierbar ist? Weil man in der Demokratie ohnehin ueber alles folgenlos
noergeln darf? Warum soll man den von T.H. ausgegebenen Vorschriften fuer's
Kritisieren folgen, wonach man einzelne "Entscheidungen" oder
"Einrichtungen" vielleicht, aber die verantwortliche Demokratie selber nie
und nimmer beanstanden darf? Warum soll man sich zum Demokratie-Idealisten
verbloeden, der fuer alles, was ihm an den demokratisch herbeigefuehrten
Zustaenden nicht passt, Suendenboecke sucht und findet?
In der Demokratie haben andere "das Sagen", hat T.H. entdeckt - nebenbei:
nicht nur "auch" und potentiell, sondern ziemlich generell. (Das trifft
uebrigens auf jede Diktatur ebenso zu.) So einen Zustand, in dem andere
diktieren, bezeichnet man normalerweise auch als die Existenz von
Herrschaft. Warum soll man da pauschal dafuer sein? Warum soll man die
demokratisch institutionalisierte Fremdbestimmung auch noch feiern? Die
naheliegende Konsequenz aus der Entdeckung von Herrschaft und der eigenen
unangenehmen Betroffenheit besteht nebenbei nicht darin, deswegen gleich
selber an die gerade kritisierte Macht kommen zu wollen. Die Konsequenz
besteht zunaechst mal in einer Frage: Worum geht es in so einem Laden?
Insgesamt und ueberhaupt?
Verbrechen Kommunismus: Sind Leichen Argumente?
TH: *Ich erinnere einmal mehr daran: Es war die dogmatische Linke, die uns
Verbrecherregimes beschert hat, die zu den fuerchterlichsten und brutalsten
Diktaturen der Menschheitsgeschichte gehoerten. Wenn so eine dogmatische
Linke ueber "Demokratie" herumfaselt, noch dazu so oberflaechlich und banal,
dann schrillen bei mir alle Alarmglocken!!!! Darueber sollten wir
diskutieren!!!! Ist diese Linke tatsaechlich "demokratisch"? Weiss sie was
das ist? Was sie sich darunter vorstellt? Warum ist es so schief gelaufen?
Wieso habt Ihr so eine Abneigung gegen diese Diskussion? Diese Linke hat mit
"Demokratie" nichts am Hut! Sie kritisiert nicht die Wahlen in der Ukraine
und in Afghanistan, weil ihr die Rechte des Einzelnen so wichtig sind,
sondern weil sie gegen absolut alles ist, was aus dem Westen kommt bzw. was
der Westen ist, alles dogmatisch ablehnt, was mit Kapitalismus und USA zu
tun hat. Das ist der eigentliche Hintergrund, warum der Gegenstandpunkt
gegen die Entwicklungen in Afghanistan und Ukraine auftritt und er schert
sich einen Dreck um die tatsaechlichen Wuensche der Afghanen und Ukrainer!*
Ja die "fuerchterlichsten und brutalsten Diktaturen der
Menschheitsgeschichte"! Klar, wer die Demokratie kritisiert, ist ein
Verbrecher. Und dann will er auch noch mit Verbrechern ueber ihre Verbrechen
diskutieren - das ist ja soooo lieb! Die Frage, wann und inwiefern brutale
Verhaeltnisse gleichbedeutend mit unwiderlegbaren Argumenten sind, die
entscheidet ein Demokratiefanatiker mit einem Faible fuer die vom Westen
definierten "tatsaechlichen Wuensche der Afghanen und Ukrainer" streng nach
dem Verursacher: Die Leichen, die den Weg demokratischer Staaten bei ihrem
Kreuzzug fuer Demokratie pflastern, koennen also nicht gegen die Demokratie
sprechen. Auch nicht die Millionen, die jaehrlich durch die von den
maechtigen Demokratien globalisierte Marktwirtschaft verrecken.
Zu Zeiten des Kolonialismus durfte sich ein engagierter europaeischer
Untertan die auswaertigen Gemetzel seiner Nationen u.a. im Wege der Rettung
der unsterblichen Seele der heidnischen "Einzelnen" einleuchten lassen, die
also nur im eigenen Interesse massakriert wurden. Heute darf sich der
mitdenkende Demokrat an den Sprachregelungen der heutigen Machthaber
ergoetzen und die "Rechte der Einzelnen" - verbreitet mit Feuer und Schwert,
sofern sich keine innere Opposition findet - fuer eine feine Sache halten.
Die Ex-DDR: Eine konstruktive Kritik an der Demokratie
TH: *Die Wirklichkeit ist aber noch schlimmer. Ich glaube, es ist bekannt,
dass es auch in der DDR sogenannte "Wahlen" gab! Und genau diese Wahlen
waren jene Farce, von der der Gegenstandpunkt redet: Genau dort war die
"Demokratie" jenes "Mittel" der Herrschaft! Genau damals MUSSTEN Untertanen
Stimmen abgeben, die wirklich nichts und wieder nichts bedeuteten. Und in
China oder Nordkorea wird es wohl nicht viel anders sein. Fragt doch den
Gegenstandpunkt nach seinem Verhaeltnis zu den "Wahlen" in Kuba, China und
der Ex-DDR! Und das allerschlimmste: die dogmatische Linke hat es immer
wieder geschafft, sich selbst bzw. ihr System als so "demokratisch" zu
verkaufen. Es war nichts als Lug und Betrug. Wie kann man das noch immer
nachbeten???? Nehmt es doch endlich zur Kenntnis: "linksdogmatisch" und
"demokratisch" vertragen sich einfach nicht, haben nie und werden auch nie
und nimma und schon gar nicht jemals "basisdemokratisch" sein!*
T.H. moechte gern den GegenStandpunkt und die Ex-DDR sowie etliche andere
Staaten, die die USA derzeit zu ihrem Feind erklaert haben, unter dem Titel
"dogmatische Linke" in einen Topf werfen, um so vergangene und aktuelle
Feindbilder der maechtigsten demokratischen Herrschaft zu nutzen, mit der
sich ein braver demokratischer Untertan also ohne viel Bedenken gemein
macht. Und das, auch ohne die Lage in China oder Nordkorea geprueft zu
haben: Dort "wird es wohl nicht viel anders sein"(!) - der Ami-Praesident
hat was gegen die dortigen Herrscher und will denen seinen Willen
aufzwingen, das genuegt. Wie gesagt, irgendwie untertaenig, so eine
Geisteshaltung.
Zu den Wahlen in der Ex-DDR. Ein sachlicher Vergleich ohne Feindbild und
Hetze ergibt folgenden Befund: Auch in der DDR gab es mehr als eine Partei.
Die SED hat die Parteien des sogenannten antifaschistischen Blocks unter
ihrer Fuehrung zu einer Volksfront zusammengeschlossen. Die
politisch-ideologischen und programmatischen Differenzen dieser
Blockparteien waren ungefaehr so gross wie die Differenzen der Blockparteien
im demokratischen Westen, wo sich jede mit jeder problemlos in einer
Koalition zusammenschliessen kann. In Bezug auf den politischen Pluralismus
haben sich die Systeme also nicht gross unterschieden: Die DDR-Parteien
waren - Ueberraschung! - fuer das drueben damals existierende
realsozialistische System, so wie die im Westen fuer das hier von den USA
installierte demokratisch-marktwirtschaftliche eingetreten sind. Wie im
Westen waren auch im Osten nur konstruktive politische und gesellschaftliche
Kraefte zugelassen, die positiv oder neutral zum System standen, wie etwa
die Kirchen. Systemfeindliche Kraefte waren nicht erlaubt, so wie etwa die
KPD zuerst vom deutschen Faschismus und nachher von der westdeutschen
Demokratie verboten wurde. Der Unterschied liegt woanders. In der DDR galten
die Wahlen als relativ fad, weil schon vorher feststand, dass die
Blockpartei SED gewinnt. Im Westen bzw. nun in Gesamtdeutschland sind Wahlen
hingegen einige Stunden - bis zur abgesicherten Hochrechnung - viel
spannender, aber nur fuer die Kandidaten und alle mit ihnen Fuehlenden, weil
nicht von vornherein klar ist, ob die demokratische Blockpartei CDU/CSU oder
die demokratische Blockpartei SPD gewinnt. Oder ob womoeglich eine Koalition
ansteht. Die Stimmen der Untertanen hingegen hatten bzw. haben in DDR und
BRD eine grosse und identische Bedeutung: Zustimmung. "Waehlen heisst, sich"
(zum System) "bekennen" - so lautete ein Slogan in der DDR. Ziemlich
ehrlich.
Das System in der DDR war, was T.H beim GegenStandpunkt so schmerzlich
vermisst, naemlich eine konstruktive Kritik an der Demokratie. Wie T.H. und
wie so ziemlich jede Dumpfbacke seit dem vorvorigen Jahrhundert war auch die
SED faelschlicherweise felsenfest vom Nutzen der wahren Volks-Herrschaft
fuer die Beherrschten ueberzeugt, hat diesen Nutzen auf Seiten der
mehrheitlich doch arbeitenden Menschheit vermisst und daraus die Konsequenz
gezogen. Die SED hat ihren Laden immer damit legitimiert, dass in den
westlichen Demokratien gar nicht wirklich das Volk herrsche, dass die
Demokratie da "Lug und Betrug" sei, weil eigentlich die oekonomisch
maechtigen "Gruppen, Konzerne" das Sagen haetten, zum Schaden der
werktaetigen Massen. Die Politik der Schroeder-Regierung nimmt sich
uebrigens wie das gezielte Bestreben aus, diese SED-Position zu
verifizieren. Im Unterschied zu T.H. hat die SED allerdings nicht, und das
muss man ihr anrechnen, dazu aufgefordert, diesen "Gruppen, Konzernen"
Briefe zu schreiben, sondern sie hat das grosse Privateigentum an den
Produktionsmitteln abgeschafft, um wahre Demokratie zu ermoeglichen.
*Herbert Auinger, Gegenstandpunkt*
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Die akin schliesst hiermit die Demokratiedebatte, weil eine Fortfuehrung
fuer das p.t. Publikum nach dem Sommer nicht mehr nachvollziehbar erscheint.
Sollten im Herbst Texte zu uns kommen, die zum Thema neue Gedanken
beinhalten, konzis sind und auch ohne Vorkenntnisse der bisherigen Texte
verstaendlich, werden wir sie jedoch selbstverstaendlich abdrucken.
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