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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2005; 13:23
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Irak/Frauen:
> Genitalverstuemmelung im Irak
Ein Bericht des Hilfsvereins WADI (1)
Die Verstuemmelung weiblicher Genitalien ist im Irak zum Thema geworden. Zur 
Zeit wird gerade an einem Aufklaerungsfilm gearbeitet. Selbst die PUK-nahe 
Kurdische Frauenunion machte FGM (female genital mutilation) erst kuerzlich 
zum Thema.
Die Debatte ueber FGM im Nordirak war ein Resultat der frauengefuehrten 
mobilen Teams(2) von Wadi, die seit 2003 Frauen und Kinder in laendlichen 
Regionen Irakisch-Kurdistans unterstuetzen. Nach ueber einem Jahr Betreuung 
durch die Teams hatten die Frauen genuegend Vertrauen zu den 
Mitarbeiterinnen gefasst, um mit diesen ueber FGM reden zu koennen. Wadi 
fuehrte in der Folge im Oktober und November 2004 eine Erhebung in ca. 40 
Doerfern der Region Germian (im suedlichen Nordirak) durch, deren Ergebnis 
zeigte, dass fast 60% der Frauen und Maedchen unter 10 Jahren beschnitten 
worden waren. Es wurden 1544 Frauen befragt, von denen 907 angaben, 
beschnitten worden zu sein. Es wird aber angenommen, dass die Zahl noch 
hoeher ist, da einige, die in dieser Auflistung als Nicht- Beschnittene 
aufscheinen, moeglicherweise noch zu jung sind. Im Nordirak wird vor allem 
die so genannte "Sunna-Beschneidung" praktiziert, bei der manchmal nur die 
Vorhaut der Klitoris eingeritzt oder entfernt wird oder - in den meisten 
Faellen - die Klitoris selbst teilweise oder ganz amputiert wird.
In einigen Doerfern zeigt die Aufklaerung ueber die negativen Folgen 
weiblicher Genitalverstuemmelung jedoch erste Erfolge, wie ein Bericht der 
mobilen Teams in der Region Germian zeigte. In Chala Soork , welches ca. 185 
EinwohnerInnen zaehlt, sind alle Frauen ueber 20 Jahre beschnitten, sowie 
fuenf von 20 Frauen unter 20 Jahren. Seit 2003 wurde niemand mehr 
beschnitten. In Duraji Village, ca. 195 EinwohnerInnen, sind alle Frauen 
ueber 25 Jahren beschnitten, aber keine einzige unter 25 Jahren. Im 
Gespraech sagten die Frauen, sie wuessten Bescheid ueber die Wirkung von FGM 
auf das Sexualleben. Tapa Sauze, 80 EinwohnerInnen, sind jedoch immer noch 
alle Frauen ueber 11 Jahren beschnitten. All diese Doerfer sind sehr arm. 
Problematisch sind vor allem die fehlende oder unhygienische 
Wasserversorgung sowie die unhygienische Bedingungen fuer die Frauen. 
Elektrizitaet fehlt meist ebenso, wie ein Arzt oder eine Schule. 
Insbesondere die laendliche Bevoelkerung konnte bisher nicht vom 
oekonomischen Aufschwung in den kurdischen Staedten profitieren.
Fuer die Mobilen Teams von Wadi ist es oft schwierig die Leute von den 
Gesundheitsrisiken durch FGM zu ueberzeugen, denn viele DorfbewohnerInnen 
glauben, dass FGM ein Gebot des Islam waere. Tatsaechlich handelt es sich 
aber um einen praeislamischen Brauch, der im Koran keinerlei Erwaehnung 
findet. Zudem wird FGM auch keinesfalls in allen muslimischen Laendern 
praktiziert. Eine Charakteristik der islamischen Rechtstradition ist es 
jedoch, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist. So wurden viele 
praeislamische Braeuche im Koran nicht erwaehnt und somit auch nicht 
verboten. Meist wird FGM in Berufung auf einen bestimmten Hadith(3) 
praktiziert, demzufolge Mohammed einer Beschneiderin folgende Anweisung gab: 
"Nehme ein wenig weg, aber zerstoere es nicht. Das ist besser fuer die Frau 
und wird vom Mann bevorzugt." Dieser Hadith wird sehr unterschiedlich 
interpretiert, was das breite Spektrum der Meinungen ueber FGM unter 
MulsimInnen widerspiegelt. Eine Auslegung dieses Hadiths ist die, dass damit 
nur "leichte" Formen von FGM erlaubt wuerden und Exzision sowie 
Infibulation, wie sie etwa im Sudan oder in Somalia praktiziert werden, 
verboten seien.
Von Wadi wird daher vor allem versucht, mit islamischen Geistlichen 
zusammenzuarbeiten - mit einigen Erfolgen. Manche Mullahs halten zwar an 
ihrer Unterstuetzung fuer die Praxis der weiblichen Genitalverstuemmelung 
fest, andere unterstuetzen jedoch die Kampagne gegen FGM. Einige liberale 
sunnitische Geistliche treten oeffentlich gegen FGM auf. Bereits 2001 haben 
einige von ihnen in Suleymaniah eine fatwa (religioeses Gutachten) dagegen 
erlassen. Auch im Fernsehen und Radio gab es Sendungen gegen FGM. Da es auf 
dem Land jedoch oft keine Elektrizitaet gibt, koennen diese Botschaften dort 
nur schwer verbreitet werden.
Auch lokale Autoritaeten beginnen langsam das Thema ernst zu nehmen. 
Mittlerweile ist FGM in Irakisch-Kurdistan strafbar. Wenn eine registrierte 
Hebamme bei einer Beschneidung ertappt wird, wird ihr die Lizenz entzogen. 
Aber die traditionellen "Beschneiderinnen" in den Doerfern gehen ihrem 
Handwerk im Geheimen ihrer Haeuser nach.
(Alicia Allgaeuer, Wadi-Mitarbeiterin, in: Context XXI 1-2/2005/gek.)
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(1) Selbstdarstellung des Vereins Wadi: Gegruendet wurde WADI e. V. im 
Winter 1991 von verschiedenen Gruppen und Personen, die im Laufe des Jahres 
in Irak und Irakisch-Kurdistan Hilfsprojekte unterstuetzt und inititiert 
hatten. Der Zusammenhang von Hilfe vor Ort, die dem Gedanken der Selbsthilfe 
verpflichtet ist, und der Aufklaerung ueber die Ursachen von Unterdrueckung, 
Armut und Flucht steht seitdem im Vordergrund unserer Arbeit. Dabei geht es 
uns nicht um "caritative Hilfe", sondern darum, in solidarischer 
Entwicklungszusammenarbeit die soziale Nachhaltigkeit von Projekten und 
Initiativen foerdern. WADI e. V. unterstuetzt Projekte in: Irakisch 
Kurdistan, Jordanien und Israel/ Palaestina
(2) Frauengefuehrte mobile Teams: Seit 2003 betreuen sechs mobile Teams 
Frauen und Kinder in den Regionen Mossul, Hawler/Arbil, Kirkuk, Suleymaniah, 
Halabja und Germian. Die Teams bestehen aus einer Aerztin und einer 
Krankenschwester, die Gesundheitsberatung und ambulante Untersuchungen 
anbieten, sowie aus einer Sozialarbeiterin bzw. Psychologin, die den Frauen 
in rechtlichen und psychosozialen Fragen zur Seite steht. Die Aufklaerung 
ueber Frauenrechte und die Thematisierung von Gewalt in der Familie tragen 
dazu bei, die gesellschaftliche Stellung von Frauen und Kindern zu staerken. 
Zusaetzlich erhalten besonders beduerftige Familien materielle 
Unterstuetzung in Form von Lebensmitteln, Kleidung und Medizin
(3) Hadithsammlungen: Dokumente, in denen genaue Beschreibungen der Worte 
und Taten des Propheten festgehalten sind, die als Verhaltensmassstab 
gelten. Sie wurden erst nach seinem Tod aufgeschrieben. Es existieren auch 
viele gefaelschte Hadithe, weshalb die genaue Pruefung derselben 
unabkoemmlich ist.
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