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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2005; 13:29
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Zur Debatte um den Verfassungsvertrag (speziell zum Beitrag von Thomas 
Herzel: "Sieg des Chauvinismus", akin-pd 14.6.2005) erhielten wir zwei 
Reaktionen:
> Nicht gelesen
Langsam verdichtet sich mein Verdacht, dass die gluehendsten Verteidiger des 
Europaeischen Verfassungsvertrages (EVV) selbigen nicht gelesen und/oder 
verstanden haben.
Auch Thomas Herzel bemueht sich viel erfolgreicher um Polemik, als um 
Erklaerungen. Dazu einige Kostproben (Achtung: Beipacktext beachten!):
1) Th. H.: "An diesem Verfassungsvertrag haben Tausende mitgewirkt".
Abgesehen davon, dass die Art der Mitwirkung nicht definiert wird 
(Information, Anhoerung, Deliberation, Mitbestimmung): Die 
"Zivilgesellschaft" in Gestalt einiger ausgewaehlter NGO´s wurde nur 
einmal - am 24. und 25.6.2002 - im Konvent gehoert(!!). Der Wirtschafts- und 
Sozialausschuss veranstaltete acht Diskussionsrunden mit handverlesenen 
Vertretern der Zivilgesellschaft. Vom 9. bis 12.7.2002 fand ein 
Europaeischer Jugendkonvent statt. Der Konvent und das zustaendige 
Praesidiumsmitglied Jean-Luc Dehaene haben keinen kontinuierlichen Dialog 
gewaehrleistet.
2) Th. H.: "(der Buerger) wird aufgrund der Ablehnung... noch viel laenger 
auf eine Grundrechts-Charta warten muessen, die ... das Recht bringen 
wuerde, falls ihn seine dumme Regierung (...) zu sehr quaelt, bei einer 
uebergeordneten Behoerde seine Rechte einfordern zu koennen."
Diese (bewusst?) falsche Aussage ist oft zu hoeren, wird aber durch 
staendige Wiederholung nicht wahrer. Neben dem beschraenkten 
Anwendungsbereich der Charta (II-111) bilden die Grundsaetze kein Recht, auf 
das sich der Einzelne vor Gericht berufen kann. Mit Art. II-112 (6) wird 
verhindert, dass vor allem im sozialrechtlichen Bereich mit Erfolg ein 
Gewaehrleistungsstandard geltend gemacht wird, der ueber das nationale Recht 
hinausgehen koennte. Soziale Grundrechte sind auf die Ausgestaltung und 
Beschraenkung durch den Gesetzgeber angewiesen. Sie sind daher nicht absolut 
gewaehrleistet, sondern stehen unter entsprechenden Gesetzesvorbehalten.
3) Th. H.: " Wenn man aber mehr Demokratie will, sollte man bedenken: Die 
Wahlbeteiligung und das Basiswissen derer, die zur Abstimmung schreiten. Man 
muesste jeden EU-Buerger dazu zwingen, jede Seite des Vertragstextes 
ausfuehrlich zu lesen...."
Interessant, dass auch Thomas Herzel (wie vor kurzer Zeit schon Voggenhuber, 
Lunacek, Einem u.a.) nicht in der Lage ist, Republik von Demokratie zu 
unterscheiden. Befallen vom Schumpeter-Syndrom vergisst er, dass politisches 
Wissen fuer eine Demokratie eine zwar wuenschenswerte, aber keine notwendige 
Voraussetzung ist - worueber eine Reihe von berufsmaessigen 
"Repraesentanten" sicher erleichtert und froh sind. Eine "politische 
Aufnahmepruefung" gibt es in Demokratien nicht (allerdings: leider auch 
nicht fuer jene, die staendig und faelschlicherweise behaupten, uns zu 
vertreten!!).
Ausfuehrungen zu Thomas Herzels Ansichten ueber "lebendige Basisdemokratie" 
waeren nur dann sinnvoll, wenn er sich zuerst entsprechendes Grundwissen 
aneignet. Ich werde ihn aber sicher nicht "dazu zwingen" - das waere 
anti-demokratisch.
Die Bezeichnung "partizipative Demokratie" (Art. I-47) ist eine semantische 
Fehlgeburt, da es sich bestensfalls um die schwammige Formulierung fuer ein 
Petitionsrecht handelt. Uebrigens ist die Kommission nicht verpflichtet, 
taetig zu werden. Der Herzel´sche Vergleich mit der Schweiz ist also voellig 
falsch.
Mit den besten Genesungswuenschen fuer politisches Bewusstsein an Thomas 
Herzel
*Dietmar Koehler*
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> Kein nuetzlicher Idiot
Als einer, der schon Anfang der 1970er Jahre fuer ein "Vereintes Europa" 
eingetreten ist, der 1994 mit Voggenhuber "fuer ein soziales Europa, aber 
gegen diese Maastricht-EU" landauf landab getrommelt hat, als einer, der 
fuer eine oesterreichische Volksabstimmung geworben, unterschrieben und 
demonstriert hat, als einer der auch in Holland und Italien an der 
Informationskampagne mit gearbeitet hat und als einer, der sich ueber die 
franzoesische und niederlaendische Ablehnung sehr gefreut hat muss ich mich 
nicht von Thomas Herzl als Dummkopf, und Nuetzlicher-Idioten-Helfer 
beschimpfen lassen.
Ich habe nicht nur die Jubelbroschuere des Bundeskanzleramtes sondern den 
ganzen Verfassungsvertrag gelesen, ich habe auch den vorherigen Entwurf 
gelesen. Ich habe vor allem wegen des Demokratiedefizites, wegen der 
militaerischen Implikationen und wegen der beschoenigenden 
Verschleierungstaktik dutzende Artikel und Leserbriefe geschrieben.
Allein die Tatsache, dass die Demokratiedefizite auf dem Weg vom Entwurf zum 
Vertrag noch wesentlich vergroessert wurden, ueberzeugt mich, dass meine 
Kritik zu Recht bestand und weiterhin besteht.
Natuerlich kann man sagen, dass in diesem Vertrag manche Dinge besser sind 
als im Vertrag von Nizza, die Grundfrage ist aber, ob als Verfassung besser 
sind als das, was wir jetzt in Oesterreich und anderen Staaten als 
Grundgesetz haben.
Ein Beispiel: Alle EU Mitgliedsstaaten haben die Genfer Konvention 
unterschrieben und sind Mitglieder der Europ. Menschenrechtscharta. Die 
individuellen Rechte sind auch jetzt schon - nach langen, muehsamen 
Prozeduren und fast unueberwindbaren Huerden - einklagbar. Die Regierungen 
durchloechern und biegen sie hin und her wie sie es gerade brauchen 
(Asylrecht). Wo ist da der fulminante Fortschritt mit einer EU-Verfassung, 
wenn die einklagbaren Rechte wieder nach Prozeduren stattfinden, die von 
diesen unfaehigen oder unwilligen Ministern im Rat beschlossen werden??
Man kann auch einige Punkte finden, die ganz gut sind, aber die Verbesserung 
der Antidiskriminierung zu begruessen bei GLEICHZEITIGER Ablehnung des 
neoliberalen Wettbewerbsfetischismus, der die Chancen der 
Nichtdiskriminierten generell dezimiert, ist leider nicht moeglich. Und eine 
Aenderung einer Verfassung ist ziemlich unrealistisch.
Nur weil die Rechten - aus ganz anderen Gruenden - auch NEIN sagen, muss ich 
mich nicht der Meinung von Grossmachtsuechtigen und 
Militaer-Industrie-Komplexlern und Mitlaeufern anschliessen und darf mir 
meine eigene Meinung bilden!! Nach der Diktion von Thomas Herzl sind Rechts 
und Links klar definierte Positionen: Da sind Stalin und Milosevic ebenso 
links wie Blair, Vranitzky, Randa und Schroeder?? Wo bitte stehen dann 
Dubcek, Lafontaine und Gysi?? Und sind Schuessel, Chirac, Kohl, Hitler und 
Dollfuss alle in ein und derselben rechten Schublade?? Das ist wirkliche 
Dummheit! Das politische Spektrum ist viel bunter, die Farbenlehre wird aber 
immer auch als Camouflage missbraucht, vor allem durch Opportunisten in 
Umbruchszeiten.
*Robert Reischer*
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