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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Juni 2005; 15:21
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EU/Verfassung/Debatte:

> Sieg des Chauvinismus

Zu den Beiträgen "Zwentendorfer Allueren" und "Wir Lemminge und die EU" in
akin 17/05 (akin-pd 7.6.2005)

Wie fast alle namhaften Gruenen in Oesterreich, Deutschland und Frankreich
und sogar so mancher aus der PDS bin ich selbstverstaendlich aus einer Art
"modernen Vernunft" heraus FUeR diese "EU-Verfassung", die, und das weiss
leider fast niemand, keine "Verfassung" (eines Superstaates) ist, sondern
ein "Verfassungs-Vertrag" (zwischen gleichberechtigten EU-Staaten), eine
etwas verunglueckte Formulierung dafuer, dass Europa mehr zusammenruecken,
sich besser organisieren und demokratischer funktionieren soll.

An diesem "Verfassungs-Vertrag" haben Tausende mitgewirkt. Es waren vor
allem Linke. Es war sogar oeffentlich jede(r) EU-Buerger/in aufgefordert,
mitzumachen. Viele haben es ausgenutzt. Dann brauchte der "Vertrag" die
Unterschrift aller EU-Regierungschefs, die zum damaligen Zeitpunkt vor allem
Sozialisten waren, um den Prozess der "Ratifizierung", also der Abstimmungen
in den Parlamenten und Volksabstimmungen, beginnen zu koennen. Nur ein
einziger Regierungschef weigerte sich beharrlich und sehr lange aus
national-chauvinistischen Gruenden zu unterschreiben: Der weit rechts
stehende, konservative Aznar aus Spanien. Als seine Regierung wenige Tage
nach den Madrid-Anschlaegen aus Aerger ueber die damals verbreiteten Luegen
ueber die Hintergruende der Attentate abgewaehlt wurde, unterschrieb endlich
die neue sozialistische spanische Regierung.

Jetzt feiern Bernhard Redl und Fritz Pletzl die Ablehnung des Vertrages als
grossen Sieg der Demokratie. Deshalb muss ich die naive Frage stellen: Wer
hat denn da eigentlich gewonnen? Die Linke? Sicher nicht! Bestimmt nicht der
gesellschaftliche Fortschritt oder Europa! Sicherlich nicht die Demokratie!
Auf gar keinen Fall die Menschen, weder Frauen noch Arbeitslose! Gewonnen
haben der nationalistische Chauvinismus, Auslaenderfeindlichkeit, die von
rechts geschuerte Angst vor "billigen Arbeitskraeften aus Polen". Die dumpfe
Angst vor einem angeblichen Superstaat. Gesiegt haben Populismus und
Propaganda, Meinungsmanipulation und die grosse Dummheit derer, die den
Vertrag weder verstanden noch je gelesen haben oder ihn dogmatisch
uminterpretieren. Wir sollten jetzt von der Gefahr sprechen, dass Europa
wieder in nationalistisch gesinnte Einzelstaaten zerfallen wird. Etwas, das
die Linke angeblich nicht will. Die Ablehnung des "Vertrages" ist nicht ein
"Sieg" der Linken, sondern eine schwere Niederlage der Vernunft und des
Engagements fuer ein besseres Europa!

Das einzige Argument der Verfassungsgegner, das mir als sinnvoll erscheint,
ist, dass die EU-Erweiterung vielleicht zu schnell geht und die EU soviele
Staaten nicht verkraften kann, genauso wie Deutschland die Wiedervereinigung
bis heute wirtschaftlich noch nicht ganz verkraftet hat. Nur, dieser
"Verfassungs-Vertrag" und die Erweiterung sind zwei ganz verschiedene Dinge.
Es ist zwar gut, dass nun ueber die Erweiterung diskutiert wird, aber der
einzelne EU-Buerger kann nichts dafuer. Er wird jetzt aufgrund der Ablehnung
noch viel laenger auf eine Grundrechts-Charta warten muessen, die ihm z.B.
das Recht bringen wuerde, falls ihn seine dumme Regierung (z.B.
schwarz-blau) zu sehr quaelt, bei einer uebergeordneten Behoerde seine
Rechte einfordern zu koennen.

Es ist ein Sieg der Dummheit, der Rechtspopulisten und seiner nuetzlichen
Idioten-Helfershelfer auf Seiten der dogmatischen Linken, zu denen ich ab
sofort auch Bernhard Redl und Fritz Pletzl zaehlen muss. Bravo! Toller Sieg!
Gratuliere! Ein Pyrrhusssieg von Linken, die in ihren (polemischen) Aussagen
immer rechter werden.

Es gibt dabei eine Schwierigkeit Bernhard Redls Kommentar z.B. ueberhaupt zu
beantworten: Er sagt einfach nichts aus. Ausser die ueblichen Vorurteile und
Propagandasaetze a la "die boesen Herrschenden" ist nichts da. Lauter irrige
Annahmen ueber Vertragsformulierungen, die kaum einer ausser ihm selbst
herauslesen kann. Diese Vorurteile kommen dadurch zustande, weil oft
wesentliche Zusammenhaenge ausser Acht gelassen werden: Zum Beispiel dass
die holprigen Formulierungen im Vertragstext nichts mit Schwammigkeit oder
absichtlicher "Boeswilligkeit gegen das Stimmvieh" zu tun hat, sondern
damit, dass bei so grosser Sprachenvielfalt in Europa es unendlich schwierig
war, Formulierungen fuer diese Charta zu finden, die in allen Sprachen auch
das gleiche bedeuten.

In dieser Charta nimmt uebrigens das Soziale viel mehr Raum ein als die
Wirtschaft. Bis jetzt war Europa naemlich nichts als ein Staatenbund mit
freien Warenverkehr. Der Vertrag haette aus Europa eine kulturelle,
demokratische, vielfaeltige und soziale "Gemeinschaft" gemacht. Aber nein,
darauf muessen wir jetzt leider warten, weil ein paar spinnerte Linke sich
mit erzrechten Volltrotteln zusammengetan haben, um Europa engstirnig in den
Magen zu treten. Die Linke hat sich leider ein aeusserst dummes Eigentor
geschossen! Sie hat gesiegt! Gewonnen gegen sich selbst und ihre eigenen
Ansichten!

O.K. Fuer mehr Demokratie bin ich auch! Wenn man aber mehr Demokratie will
(und darunter vor allem Volksabstimmungen versteht wie in der Schweiz, dem
konservativsten Land Westeuropas, ein Punkt uebrigens, in dem sich ein
Bernhard Redl mit einem Joerg Haider trifft), dann sollte man folgendes
bedenken: Die Wahlbeteiligung und das Basiswissen derer, die zur Abstimmung
schreiten. Man muesste jede(n) EU-Buerger/In dazu zwingen, jede Seite des
Vertragstextes ausfuehrlich zu lesen und mindestens 10 Diskussion
mitzumachen und 20 Dokus anzuschauen. Und dann muss man ihn/sie noch dazu
zwingen, auch tatsaechlich abzustimmen. Das waere vielleicht lebendige
Basisdemokratie. Die gibt es aber nicht. Jetzt haben wir aber die Situation,
dass ein paar paranoide erzrechte Populisten und einige nichtsnutzige
dogmatische Linkspopulisten, die in Frankreich nicht mehr als eine
3%-Bedeutung haben, einen jahrzehntelangen, gesellschaftspolitisch aeusserst
notwendigen Prozess aufgehalten haben, der dazu fuehren haette koennen, dass
fuer rund 500 Millionen Erdbewohner/innen Menschenrechte selbstverstaendlich
geworden waeren, die in den meisten Staaten der Erde noch immer mit Fuessen
getreten werden. Ja, so ist das! Das nennt Bernhard Redl "Demokratie"! Was
fuer eine Weisheit! Ich aber kann dazu nur sagen: grenzenlose dogmatische
Ignoranz. Tut mir Leid, aber eine bessere Bezeichnung faellt mir wirklich
nicht ein!

Fritz Pletzl ist noch schlimmer: Obwohl aelter und nicht mehr ganz so
aggressiv wie damals gegen "die da oben", ist er noch immer polemisch und
voller Theorien. Theorien zu allem und jeden, alles in den Topf, laessig
vermixt, cool vermantscht, und heraus kommt die Zuckerpaste der
Formulierungen der Lemminge und Leitviecher, Machteliten und Schluchten, in
die wir von Bruessel aus gestuerzt werden oder uns gleich selber stuerzen.
Und sowas behaupten wir solange wir koennen. Der allgemeine Lebenstandard in
den neuen Laendern wie Ungarn oder Polen steigt zwar stark an und den Leuten
geht es endlich immer besser nachdem sie unfreiwillig vom zentralistisch
gesinnten real existierenden Sozialismus der dogmatischen Linken in eine
entsetzliche Armut gestuerzt wurden. Aber gut, ignorieren wir es doch,
bleiben wir bei spinnerten Theorien, ist doch viel schoener! (Nebenbei
bemerkt: Saetze a la "Bruessel ist die Hauptstadt der Kapitalistenlobby"
findet man zuhauf bei der extremen Rechten.)

Aber auch ich habe meine Theorien: Was will die dogmatische Linke ueberhaupt
mit ihrem heroischen Kampf gegen die EU? In einer Zeit, in der der real
existierende Sozialismus einen ganzen Balkan in einen wahnsinnigen Krieg mit
Schlachtfeldern, Massenmorden und unzaehligen Toten gestuerzt hat und genau
das gleiche mit der Sowjetunion passiert ist, die nur funktioniert hat
solange der KGB und der stalinistische Panzerterror jede kulturelle
Eigenheit seiner vielen Voelker bestialisch unterdrueckt hat, kann ich nur
eins herauslesen: Die dogmatische Linke ist schlicht eifersuechtig darauf,
dass die EU ein weitaus besserer, freierer und demokratischerer
"Staatenbund" sein wird als sie, diese dogmatische Linke, je zusammenbringen
koennte.

*Thomas Herzel (gek.)*


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