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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Mai 2005; 16:50
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Medien:
> TATblatt 1988-2005
Das ehemals beruechtigste Organ der ausserparlamentarischen Linken existiert 
nur mehr eine Ausgabe lang. Ein Nachruf auf eine mutige Idee.
Lang ist es her. Uni-Streik 1987 in Oesterreich. Irgendwie kam da die Idee 
auf, dass man es satt habe, medial immer nur von den buergerlichen Kraeften 
mit Infos versorgt zu werden. Politische Positionen, die 
ausserparlamentarisch, abseits des Mainstreams waren, kamen einfach nicht 
vor -- vielleicht ein wenig in der Volksstimme, aber die war halt auch nur 
das Blatt einer Partei, die gerne im Parlament gewesen waere, wenn sie nur 
jemand gewaehlt haette. Von der angepassten, schon roechelnden SP-Zeitung AZ 
ganz zu schweigen. Freies Radio war sowieso verboten und das Internet als 
politisches Instrument war auch noch nicht vorhanden. Daneben gab es nur 
kleine, schneckenmaessig langsame und daher kaum fuer Mobilisierung und 
schnelle Reaktion geeignete Medien wie die monatliche "MoZ" oder unsere 
woechentliche, aber noch kleinere akin.
Eigentlich war das, was man dagegen tun wollte, von Anfang an zum Scheitern 
verurteilt. Aber viele Dinge, die zum Anfang an zum Scheitern verurteilt 
waren, wurden spaeter Erfolge -- wenn man nur wirklich ueberzeugt ist, von 
dem was man tut, und die historische Situation passt und man auch noch ein 
bisserl Glueck hat, wird das Unmoegliche ploetzlich moeglich.
Die unmoegliche Idee war eine linke, basisorientierte Tageszeitung in 
Oesterreich zu etablieren. Schon bald war man sich aber klar, dass eine 
Tageszeitung doch, allein was den Druck anging, eine zu teure Variante 
gewesen waere und so proklamierte man das Projekt einer "Zweitageszeitung", 
die dreimal in der Woche erscheinen sollte.
Namensideen wurden gewaelzt. "Echo" war ein Vorschlag. Aber "Echos" gab es 
schon zuviele. "Prisma" war dann ein Vorschlag, der sich lange hielt. 
Letztlich einigte man sich auf "TATblatt". Es sollte eine Symbiose des 
"Tagblatt"-Gedankens und dem Bewusstsein ausdruecken, dass es keine Zeitung 
fuer Konsumenten sein sollte, sondern fuer Leute, die auch taetig werden 
wollen, um hierzulande und auf der Welt etwas zu veraendern.
Nun hatte das Kind einen Namen, aber das Geld fuer das Projekt durch 
Spenden, Subskriptionsabos und "Bausteine" aufzutreiben, war doch 
schwieriger als gedacht. So wurde -- in Anlehnung an die Anfaenge der 
bundesdeutschen "taz" -- angefangen, Null-Nummern in groesserem Abstand zu 
produzieren. Um aber anzudeuten, dass das vielleicht doch ein laengerer 
Prozess werden koennte -- soviel war nach dem ersten Enthusisasmus schon 
klar --, andererseits aber auch eine gewisse Absehbarkeit der echten 
Zweitageszeitung zu postulieren, entschied man sich in der Numerierung 
dieser nun zweiwoechentlich erscheinen sollenden "Null-Nummern" fuer eine 
Art Countdown. Und so war in der ersten Ausgabe mit der Nummer "-101" im 
Editorial zu lesen: "Der Countdown laeuft, von Minus 101 bis 0... ohne damit 
sagen zu wollen, dass es noch vier Jahre dauern wird bis zur 
zweitaegiglichen Erscheinungsweise."
Seit dieser im Oktober 1988 im mittlerweile ja leider nur mehr 
mythenumrankten Beisel-Buero-Club "Rotstilzchen" produzierte Ausgabe sind 17 
Jahre vergangen. Zur "zweitaegiglichen" Erscheinungsweise kam es nie. Als 
fuenf Jahre vergangen waren, erschien die "Plusminus-0-Nummer" mit der 
Schlagzeile "Keine Panik". Panik war sicher auch nicht angebracht, denn das 
Blatt fuehrte zwar schon laengst nicht mehr den Untertitel "Projekt 
Zweitageszeitung" im Titel, hatte aber seine zweiwoechentliche 
Erscheinungsweise einigermassen durchgehalten und war durchaus etabliert. 
Druck und LayOut waren -- im Gegensatz zu den Anfaengen, wo sie der akin 
Konkurrenz machten -- durchaus angenehm. Auch die Inhalte waren ziemlich 
brauchbar. Dass es aber wohl nicht mehr das werden konnte, was einmal 
geplant war, war damals schon klar.
In den letzten Jahren erschien das TATblatt aber immer seltener, zuletzt 
monatlich und selbst das konnte nicht immer durchgehalten werden (Warum und 
Wieso: siehe Kasten.).
Und jetzt das Ende eines engagierten Zeitungsprojekts, dass nie erwachsen, 
nie das schnelle Medium werden konnte, das es sein wollte. Immerhin kann man 
ihm aber doch eine gewisse historische Bedeutung zumessen, schliesslich 
diente es lange Zeit als Gottseibeiuns der oesterreichischen Innenpolitik. 
Durch die Publikation von Bekennerschreiben kleinerer Anschlaege und das 
Eben-nicht-Verteufeln solcher Aktionen etc. war es sehr beliebt als 
Schreckgespenst bei der Rechten. Sozialdemokraten und Gruene ergingen sich 
in wahren Distanzierungsorgien vom TATblatt, nur um ja nicht irgendwie in 
Verbindung gebracht zu werden. Fast waere 1995 sogar ein Innenminister ueber 
das TATblatt gestolpert -- allerdings leider nicht, weil es ihn kritisiert 
hatte, sondern weil man Caspar Einem wegen einer Spende als dem TATblatt 
nahestehend verteufelte. So hatten sich die TATblattis, wie sie sich selbst 
nannten, sich wohl auch nicht die innenpolitische Wirksamkeit vorgestellt, 
aber immerhin wurde das Blatt danach eine Zeitlang den Handverkaeufern fast 
aus der Hand gerissen -- das TATblatt zu kaufen, galt ploetzlich als schicke 
Protestform oder man las es, weil man sich endlich einmal so richtig vor 
diesen radikalen Linken gruseln wollte. So funktioniert Public Relation --  
wenn es Absicht gewesen waere... An den Inhalten des TATblatts waren aber 
diese neuen Leser wohl nur bedingt interessiert und so war dieser Hype auch 
bald wieder vorbei.
Fusionsplaene
Hier nicht unerwaehnt darf auch jene Episode bleiben, wo die akin mit dem 
TATblatt quasi verlobt war. Im Fruehjahr 1993 meinten beide Redaktionen, 
dass die Unterschiede zwischen unseren Blaettern so gross doch nicht seien 
und dass man zwecks Synergie-Effekten ueber eine Zusammenlegung diskutieren 
sollte. Es erschien sinnvoll, nutzten wird doch meist die selben Quellen, 
bekamen die selben Artikel zugeschickt und schrieben auch fleissig 
voneinander ab. Natuerlich war klar, dass der Altersunterschied zwischen der 
immerhin schon 19 Jahre alten Tante akin und dem noch nicht mal 
fuenfjaehrigen TATblatt enorm war. Auch war nicht so ganz klar, ob es eher 
eine Liebesheirat oder doch eine Vernunftehe war, die da versprochen wurde. 
Aber man wollte ueber diese Dinge hinwegsehen und ging das Ganze auch mit 
grossem Ernst an. Das Publikum von akin und TATblatt wurde ausfuehrlich mit 
Fragebogen drangsaliert, ob ein Fusionsblatt auf Interesse stossen und was 
man sich von ihm erwarten wuerde. Die ruecklaufenden Frageboegen wurden nach 
allen Regeln der statistisch-soziologischen Kunst ausgewertet und es kam ein 
groesstenteils positives Echo von der gemeinsamen Leserschaft zu diesem 
Projekt. Allein: Die akin fuerchtete zu sehr um ihre Identitaet. Und 
waehrend die TATblattis die Fusion schon fuer beschlossen hielten -- und das 
auch so publizierten --, fuehrten wir uns ein wenig ueberfahren und die 
alten Aengste kamen wieder hoch, dass das, was uns an der akin wichtig war 
(vor allem das offene Forum, das den TATblattis ja leider nur in sehr..., 
na, sagen wir es klar heraus: ideologisch stark eingeengter Form vorstellbar 
war), zu verlieren. Und dann gab es auch noch bei der akin diesen 
praepotenten Typen, den sie scherzhalber "Chefredakteur" nannten, der um 
seine Machtposition zitterte, die einer strikten kollektiven Kontrolle 
haette weichen muessen. Ja, ich geb´s zu, waere ich ein bisserl weniger 
egoman gewesen, gaebe es heute vielleicht ein akin-TATblatt unter neuem 
Namen. Rueckblickend betrachtet glaube ich aber auch heute noch, dass die 
Fusion keine gute Idee gewesen waere.
So platzte die Liaison und wir liessen es bleiben. Man vereinbarte "nur noch 
gute Freunde" sein zu wollen und ging von da an wieder getrennte Wege. Aber 
das mit den guten Freunden hatte schon auch noch weiterhin funtioniert. 
Sicher, man hat sich in den letzten Jahren vielleicht ein bisserl aus den 
Augen verloren. Auch ein gewisses Konkurrenzdenken konnte nie ganz 
abgestritten werden. Dennoch waren wir doch auch immer ein bisserl besorgt 
um das zunehmend siecher werdende TATblatt.
Jetzt stirbt das TATblatt endgueltig. Man war nicht immer eine Meinung, aber 
es war doch einmal ein ehrgeiziges Projekt mit guten Ideen. Und so bin ich 
jetzt doch ein bisserl traurig.
Auch deswegen, weil ich trotz Internet immer noch der Ansicht bin, dass eine 
linke Tageszeitung schon was Feines waere.
*Bernhard Redl*
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Kasten:
Aussendung des TATblatts:
> Verlustwarnung!
7500 Seiten sind genug!
Nach 17 Jahren, fast 320 Ausgaben und ueber 7500 produzierten Seiten des 
TATblatts ist es einfach genug: Ende Juni bringen wir das letzte TATblatt 
unter die Leute...
Unregelmaessige Erscheinungsabstaende haben es vielleicht bereits 
vorhersehbar gemacht: Das TATblatt wird eingestellt. Was als Projekt der 
schnellen Gegeninformation nach dem StudentInnenstreik 1987/88 begonnen hat, 
hat sich im Zeitalter der Informationsuebertragung in Millisekunden 
ueberlebt.
Das TATblatt tritt nicht ab ohne Resuemee: Ende Juni erscheint eine letzte 
Ausgabe, in der wir 17 Jahre politische Existenz in einer radikalen Linken 
nachvollziehbar machen wollen; in der wir unsere subjektiven Erfolge wie 
Misserfolge darstellen wollen.
Wir wuenschen uns jede Menge Beitraege von LeserInnen, SympathisantInnen, 
KritikerInnen.... Keine Jubelbeitraege und keine Kondolenzschreiben, sondern 
subjektive Beitraege zur Darstellungen einer subjektivistischen Dissidenz in 
einer Ordnung der 24-Normalalltags-Kontroll- und Verwertungsgesellschaft.
Vor allem aber wollen wir, dass ihr eure Dauerauftraege, eure Spenden etc. 
fuer das TATblatt einstellt; sie am besten anderen Initiativen im 
linksradikalen Spektrum zur Verfuegung stellt.
Welche erst kuerzlich gespendet oder das TATblatt abonniert haben, bekommen 
quasi unverbrauchte Gelder zurueck. Wie das funktionieren kann, erfaehrt ihr 
im letzten TATblatt.
Redaktionsschluss fuer die letzte Ausgabe ist der 6. Juni 2005. Wir hoffen 
wirklich auf viele Reaktionen...
http://www.tatblatt.net
TATblatt@blackbox.net
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