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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Mai 2005; 17:29
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Medien:
> Vom Mondaenen zur Globalisierungskritik
Seit 10 Jahren erscheint "Le Monde diplomatique" auch in deutscher Sprache.
Zeit fuer einen Rueckblick auf die erstaunliche Karriere einer
Zeitungsbeilage.
«Le Monde diplomatique» (LMd), 1954 vom «Le Monde»-Gruender Hubert
Beuve-Méry aus der Taufe gehoben, war bis Ende der sechziger Jahre noch die
duenne Beilage der Pariser Abendzeitung «Le Monde». Diese Beilage war, wie
ihr Name andeutet, fuer die diplomatische Sphaere zustaendig. Das bedeutete
damals ueberwiegend, Empfaenge in diversen Botschaften der franzoesischen
Hauptstadt anzukuendigen und ansonsten den Terminkalender des Pariser
Aussenministeriums zu begleiten: Staatsbesuche, hohe Gaeste und offizielle
Termine mit Foto. Noch nach dem Mai 1968, als das Pariser Pflaster heisser
geworden war und sich die Interessen eines Teils der juengeren Generation
vom Mondaenen eher zur Weltrevolution verlagert hatten, waren fuer diese
Rubriken zwei feste Seiten reserviert.
In den siebziger Jahren kam der Einschnitt: Die Zeitung, von ihren Fans
liebevoll «Le Diplo» genannt, schnitt die alten Zoepfe ab. Unter der neuen
Leitung des im Mai 2005 verstorbenen Claude Julien wurden damals
verschiedene Stroemungen der antikolonialistischen, antiimperialistischen
Linken tonangebend. Die «internationalen» Themen, denen sich das Blatt
weiterhin widmete, erschienen als «tiers-mondisme»
(Dritte-Welt-Solidaritaet), Entkolonialisierung und Befreiungskampf im
Blatt. Dabei vermied «Le Monde diplomatique» es aber zu allen Zeiten, zum
Partei- oder festen Stroemungsblatt zu werden. Die Seitenzahl wuchs von 8 im
Jahr 1954 auf 36 im Jahr 1979.
Neben marxistisch beeinflussten Denkrichtungen fanden sich aber auch damals
immer noch andere Orientierungen im Blatt. Ihre wichtigste war der so
genannte Linksgaullismus, der sich im urspruenglichen
antifaschistischrepublikanischen Ideal des 1970 verstorbenen Generals und
Praesidenten Charles de Gaulle wiedererkannte und vor allem dessen
Aussenpolitik fortsetzen wollte. An der internationalen Orientierung des --
innenpolitisch konservativen und im Mai 68 von der Linken angefeindeten --
Staatschefs interessierte vor allem die kritische Distanz zu den USA. Diese
kam etwa in der beruehmten «Rede von Phnom Penh» zum Ausdruck, in welcher
Charles de Gaulle den Vietnamkrieg der USA kritisierte. Die franzoesische
Republik, die einige Jahre frueher selbst in Indochina Krieg gefuehrt hatte,
versuchte sich damals als Buendnispartner der jungen Nationalstaaten in den
frisch entkolonialisierten Laendern anzubieten. Dadurch sollten einige
Fehler der Kolonialvergangenheit, die damals eben erst zu Ende ging,
korrigiert, oder jedenfalls sollte einem deswegen drohenden Einflussverlust
in Afrika und Asien vorgebeugt werden. Auf hohem intellektuellem Niveau und
mit praezisen Kenntnissender internationalen Politik ausgestattet,
verkoerperte vor allem der langjaehrige LMd-Journalist Paul-Marie de la
Gorce diesen «gaullisme de gauche». Er verstarb am l. Dezember vorigen
Jahres, und die Zeitung beklagte mit seinem Tod den Verlust eines
profilierten Autors.
Der «Linksgaullismus» hat sich historisch ueberlebt. Aber auch heute findet
sich -- bereits durch die Zusammensetzung der hauptamtlichen Redaktion
gewaehrleistet -- eine Spannbreite politischer Positionen, die von eher
republikanisch-sozialstaatlichen, am seit 1789 entwickelten franzoesischen
Nationalstaatsmodell orientierten Stroemungen ueber
undogmatisch-marxistische Autorinnen bis zu eher an sozialen Basisbewegungen
orientierten Positionen reicht.
Eine gemeinsame Klammer bildet dabei die Ablehnung des Neoliberalismus. Ihm
halten einige Redaktorinnen, wie Bernard Cassen und Anne-Cécile Robert, die
Idee einer moeglichen Rueckkehr zum historischen Klassenkompromiss auf der
Grundlage nationalstaatlicher Kontrolle ueber die Oekonomie entgegen.
Anderen geht es eher um die Solidaritaet mit sozialen Bewegungen und
Kaempfen. Serge Halimi, der auch an der traditionell linken Universitaet
Paris 8 unterrichtet, verknuepft eine eher libertaer-antiautoritaere
Position mit einem stark akzentuierten Bezug auf die Sozialwissenschaft
Pierre Bourdieus.
Der wohl groesste historische Erfolg von «Le Monde diplomatique» besteht
darin, 1997/1998 ein gesellschaftliches Netzwerk «neuen Typs» lanciert zu
haben. Auf einen Leitartikel des Direktors Ignacio Ramonet mit dem Titel
«Die Maerkte entwaffnen», in dem dieser zur Gruendung einer Art
Neoliberalismus-kritischen Initiative aufrief, folgte die Gruendung einer
Organisation, die anfaenglich nur in Frankreich entstand und jetzt in ueber
vierzig Laender existiert: Attac, die «Aktion fuer eine Besteuerung der
Finanzmaerkte zur Hilfe der Buerger». Auch innerhalb der Attac findet sich
eine aehnliche Positionsvielfalt wieder wie innerhalb des LMd, welcher
Geburtshilfe fuer diesen Dachverband der Neoliberalismus- und
Globalisierungskritiker leistete. Mit ueber 20.000 Einzelmitgliedem und rund
1000 Kollektivmitgliedschaften von Organisationen -- oftmals
Gewerkschaftssektionen -- ist Attac heute die groesste
ausserparlamentarische Initiative in Frankreich.
(Bemard Schmid, WoZ 19/2005 / gek.)
*
Kasten:
> Le MONDE diplomatique
Le MONDE diplomatique erscheint derzeit in 11 verschiedenen Sprachen. Die
einzelnen Ausgaben unterscheiden sich voneinander deutlich -- unter anderem
deswegen, weil eine einfache Uebersetzung in unterschiedlichen kulturellen
Kontexten nur bedingt verstaendlich waere. Auch werden die Texte nicht mehr
alle aus der franzoesischen Ausgabe uebersetzt, sondern zumeist aus den
Originalsprachen, die mittlerweile vielfaeltig sind. Auch Erscheinungsweise
und Format der "Mutterzeitungen", die die LMd als Beilage fuehren, haben
natuerlich einen Einfluss auf die einzelnen Ausgaben.
Die deutsche Ausgabe liegt der deutschen "tageszeitung" (vormals "taz"), der
Schweizer "WoZ" und dem "Luxemburger Tageblatt" als Monatszeitung bei.
Die Aktiengesellschaft Le Monde diplomatique SA gehoert zu 51% der
Muttergesellschaft Le Monde SA. Die restlichen 49% der Aktien teilen sich
einerseits die JournalistInnen von "Le Monde diplomatique" (Association
Gunter Holzmann, 24%) und andererseits die LeserInnen (Association des Amis
du Monde diplomatique, 25%). Der Direktor der achtkoepfigen Redaktion wird
von den JournalistInnen gewaehlt. (WoZ, LMd/akin)
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