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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. April 2005; 19:09
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Philippinen:
> Mord im Morgengrauen
Auf der Insel Jolo herrscht erneut Krieg. Der Friedensvertrag von 1996 ist
Makulatur.
Seit Februar liefern sich bewaffnete Verbaende muslimischer
Widerstandsgruppen auf der suedphilippinischen Insel Jolo in der Sulu-See
wieder heftige Gefechte mit Regierungstruppen. Bis zum 5. Maerz waren laut
offiziellen Angaben ueber 51000 Menschen obdachlos geworden und befanden
sich auf der Flucht. Nur ein Teil von ihnen konnte in Evakuierungszentren
verpflegt werden. Annaehernd 200 Tote sind bislang zu beklagen. Praesidentin
Gloria Macapagal-Arroyo droht «den Terroristen» aufs Neue mit ihrer
«Ausmerzung» und fordert fuer diesen Kampf
Sondervollmachten.Buergerrechtsorganisationen sprechen von einer
Katastrophe. «Notstandsmassnahmen und Sondervollmachten fuerdie Praesidentin
tragen nicht im Geringsten dazu bei, den Konflikt in Sulu zu loesen»,
kritisiert Girlie Padilla, Generalsekretaerin der Oekumenischen Bewegung
fuer Gerechtigkeit und Frieden. Die ohnehin schlechte Situation wuerde sich
noch verschlimmem. Arroyos Menschenrechtspolitik sei ein Armutszeugnis. «Und
wer garantiert uns», so Padilla, «dass Sondervollmachten nicht wieder
missbraucht werden?»
Erbost ueber die neue Eskalation der Gewalt ist auch Hussin Amin,
Kongressabgeordneter aus Sulu. Praesenz zeige die Regierung meist nur in
Uniformen, anstatt notwendige zivile Anliegen zu unterstuetzen. Amin und
sein Stab haben errechnet, dass der 35 Jahre andauernde bewaffnete Konflikt,
von menschlichem Leid und materiellen Zerstoerungen abgesehen, exorbitante
Kosten verursachte. Allein von 1970 bis 1996 habe die Regierung 76
Milliarden Pesos (umgerechnet etwa 1,1 Milliarden Euro) buchstaeblich
verpulvert.
Leben im Ausnahmezustand
Seit 1970 forderten die Buergerkriege in Sulu und auf der
suedphilippinischen Hauptinsel Mindanao etwa 150 000 Tote. Mehrere
zehntausend Fluechtlinge setzten sich in den nahe gelegenen ost-malaysischen
Bundesstaat Sabah ab, wo noch heute ein Grossteil von ihnen lebt. Neben Aceh
im Norden der indonesischen Insel Sumatra sind Mindanao und der
Sulu-Archipel die aeltesten Konfliktregioncn Suedostasiens. Jahrhunderte
waehrender Kolonialismus - erst Spanien und von 1898 bis 1946 die USA - und
die systematische Kolonisierung der Suedphilippinen mit Siedlerinnen aus den
noerdlichen und zentralen Landesteilen sorgten fuer reichlich sozialen
Zuendstoff. Letztlich geht es um Land - beziehungsweise um die
Wiedergewinnung gewaltsam oder mit Hilfe juristischer Finessen angeeigneter
Besitzrechte. Die muslimischen Moros betrachten Mindanao und den
Sulu-Archipel als ihre Heimat, die indigenen, nichtmuslimischen Bergvoelker
sehen in dem Gebiet das Stammland ihrer Ahnen, und die erst waehrend der
US-amerikanischen Kolonialherrschaft zugewanderten oder dort angesiedelten
christlichen Bauern und Baeuerinnen betrachten ihren Besitz als
rechtmaessig, da sie seitdem den Grund und Boden bestellen.
Maximale Chancen
Dabei hatte noch vor einem Jahrzehnt vieles besser ausgeschcn. Nach zaehen
Verhandlungen waren die Unterhaendler der Zentralregierung in Manila und der
Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) unter ihrem Vorsitzenden Nur Misuari
uebereingekommen, ein endgueltiges Friedensabkommen fuer die Region zu
vereinbaren. Am 2. September 1996 unterschrieben der damalige Praesident,
der fruehcrc General Fidel Ramos, und Misuari einen Vertrag, der ein schon
1976 in Libyen ausgehandeltes Abkommen ersetzen sollte. In einem Interview
mit dem Autor zeigte Misuari damals ueberschwaengliche Freude; endlich, so
der MNLF-Chef, «erhaelt der Frieden maximale Chancen».
Vier Kernpunkte beinhaltete die Friedensregelung von 1996. Erstens: Ein
suedphilippinischer Rat fuer Frieden und Entwicklung sollte die Interessen
der muslimischen, christlichen und indigenen Bevoelkerungsgruppen vertreten
sowie die politische und wirtschaftliche Verwaltung von insgesamt dreizehn
Provinzen und neun Staedten uebernehmen. Zweitens: Die heute knapp sechzig
Mitgliedstaaten zaehlende Organisation der Islamischen Konferenz sollte
saemtliche Schritte in Richtung Autonomie ueberwachen und fuer
internationale Unterstuetzung der Friedens- und Entwicklungszone in den
Suedphilippinen werben. Drittens: Eine nur aus vier Provinzen bestehende
autonome Region in Muslim-Mindanao entstand, wobei zu einem spaeteren, nicht
genau festgelegten Termin in einem Plebiszit ueber deren endgueltigen Status
entschieden werden sollte. Und viertens galt es, 7500 Kaempfer des
bewaffneten Arms der MNLF in die regulaeren Streitkraefte und die Polizei zu
integrieren.
Doch das Friedensabkommen liess entscheidende Punkte offen. So blieben die
Modalitaeten der Einbindung der Kaempfer in die Armee unklar. Und die
Zentralregierung behielt die Finanzhoheit, sodass die von der MNLF
erstrittene (Teil-)Autonomic wirtschaftlich auf toenernen Fuessen stand.
Querelen waren programmiert.
Seit ihrer Gruendung im Jahre 1968 war die MNLF lange die bedeutendste und
schlagkraeftigste Organisation des wiederbelebten muslimischen Widerstands.
Ihr urspruengliches Ziel war die Schaffung eines unabhaengigen Staates, der
Bangsa-Moro-Republik, die neben dem Sulu-Archipel die suedliche Hauptinsel
Mindanao sowie Palawan im Suedwesten umfassen sollte. Doch dieses
Maximalziel war bereits 1976 fallen gelassen worden. Gegen diesen «Verrat
und Kapitulationismus» wandten sich Teile der MNLF, die 1978 als Moro
Islamische Befreiungsfront (MILF) erstmals oeffentlich von sich reden
machten. Die MILF tritt nach wie vor fuer einen unabhaengigen Staat ein, was
ihr immer mehr AnhaengerInnen bringt.
Andauernde Befriedungsversuche
Da die MNLF aus der Sicht Manilas weitgehend befriedet war, stand nunmehr
die politische Zaehmung der MILF auf der Agenda. Mit ihr kam zwar Ende der
neunziger Jahre ein Waffenstillstandsabkommen zustande, doch
Friedensgepraeche, wesentlich von Malaysia gesponsert, schlugen bislang
fehl. Nicht zuletzt deshalb, weil die philippinische Regierung wiederholt
(ehemalige) Generaele als Vermittler einsetzte und das «Problem» letztlich
doch militaerisch zu loesen versuchte.
Kompliziert wird die Situation in den Suedphilippinen zudem durch die
Existenz der Abu Sajjaf. Diese Organisation entstand zu Beginn der neunziger
Jahre auf der Insel Basilan als Islamische Vereinigung. Die Abu Sajjaf,
zeitweilig von philippinischen Militaergeheimdienstlern unterwandert, bietet
der Regierung immer wieder willkommenen Anlass, den gesamten muslimischen
Widerstand zu denunzieren. In Manila und Washington gilt die Gruppe als ein
suedostasiatischcr Ableger von al-Kaida.
"Rebellen jagen"
Ausloeser der erneuten Kaempfe auf Jolo war die Ermordung einer angeblich
mit der MNLF sympathisierenden Familie unweit von Jolo City. Dort
massakrierten im Morgengrauen des l. Februar 2005 Soldaten der
philippinischen Armee Tal Padiwan, einen Lokalpolitiker, mitsamt seiner
Familie. Militaersprecher behaupteten zunaechst, die Padiwans seien bei der
Verfolgung von Einheiten der Abu Sajjaf zufaellig in die Schusslinic
geraten. Als das von AnwohnerInnen vehement bestritten wurde, schob das
Militaer eine andere Version nach. Derzufolge habe Tal Padiwan Soldaten mit
einer Schusswaffe bedroht, als diese ihn vor seinem Haus um Trinkwasser
gebeten haetten. Der gewaltsame Tod der Padiwan-Familie fuehrte zur raschen
Eskalation der Gewalt. Am 6. Februar beschossen MNLF-Einheiten unter
Fuehrung von Ustaz Habier Malik, einem Misuari-Loyalistcn und anerkannten
religioesen Fuehrer in der Region, einen Armeepostcn in Panamao. Zirka 5000
Regierungstruppen wurden daraufhin in die Region abkommandiert, um «800
Rebellen zu jagen».
(Rainer Weming, WoZ 16/05)
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