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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. April 2005; 18:58
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Recht/Kommentar der Anderen:
> Die Handlanger der Perversion
Ein Text eines Anwalts an Anwaelte -- aber nicht nur
Am letzten Donnerstag, wurde auf dem Zentralfriedhof (Tor 3, Gruppe 40) ein 
Denkmal enthuellt, das an die Opfer der NS-Justiz erinnern soll. In der 
Gruppe 40 sind 1400 Frauen und Maenner beerdigt, die im Landesgericht und am 
Militaerschiessplatz Kagran hingerichtet wurden. Die Verurteilung durch 
Wiener Gerichte erfolgte meist wegen Widerstands gegen die NS-Diktatur.
Es sei daran erinnert, dass es sich hierbei um zuvorderst von Juristenhand 
geschaffene Opfer des NS-Unrechtsregimes handelt: Blutrichter, die sich 
entweder willfaehrig in den Dienst eines ueberheblichen und nach heutigen 
Begriffen "voellig durchgeknallten" Unrechtsgesetzgebers stellten oder die 
sich - in bester Kelsen-Tradition - in ihrem Tun bzw. Unterlassen hinter dem 
"geltenden Recht" vor der von ihnen selbst mitgetragenen, unmenschlichen 
Realitaet verschanzten.
Aber auch Anwaelte, die sich - aus welchen, vermeintlich oder nicht, hehren 
Motiven auch immer - nicht einer Mitwirkung unter anderem an Strafprozessen 
entzogen, sondern die Delinquenten gegen von vornherein feststehende 
Existenzvernichtungsurteile "verteidigten" und sich so durch ihre 
"Feigenbeblaetterung" der Perversion letztlich daran mitschuldig machten, 
gleichwohl ob gewollt oder nicht. Gelegenheit und Anlass, sich der ohnehin 
viel zu selten gestellten Frage nach der eigenen Positionierung im 
juristischen Berufsalltag auszusetzen: Gerade im mitteleuropaeischen 
Rechtskreis sind es weniger Begriffe wie "Gerechtigkeit", die unser 
Rechtsleben bestimmen, als vielmehr der rechtspositivistische Ansatz, dass 
theoretisch alles Gesetz sein kann, solange es sich hinsichtlich seiner 
Entstehung nur im Rahmen der verfassungsrechtlichen Baugesetze bewegt.
Bedenkt man den mit einer solchen Haltung zwangslaeufig verbundenen 
Wertrelativismus und als dessen Folge aber auch die inhaltliche Beliebigkeit 
jedes Gesetzesrechts, einschliesslich der Grund- und Menschenrechte, so 
erweist sich der Unterschied der gegenwaertigen Rechtsanwendung zu 
derjenigen im Dritten Reich in qualitativer Hinsicht lediglich mehr als ein 
Gradueller. Grund- und Menschenrechte sind demnach keineswegs prinzipiell 
unantastbar; die gegenwaertige oesterreichische Dissensgesetzgebung zeigt, 
wie einfach es ist, sie zumindest zeitweilig ausser Kraft zu setzen.
Die strikte Gesetzesbindung auch der allerhoechsten Verfassungswaechter 
laesst indes auch deren strukturelle Schwaechen erahnen. §7 der 
Rechtsanwaltsordnung verlangt Berufsanwaertern als eine der Voraussetzungen 
fuer ihre Eintragung in die Liste der Rechtsanwaelte die Ablegung folgenden 
"ciceronischen" Eides in die Haende des Rechtsanwaltskammerpraesidenten ab: 
"Ich gelobe bei meinem Gewissen und bei meiner staatsbuergerlichen Ehre, der 
Republik Oesterreich treu zu sein, die Grundgesetze sowie alle anderen 
Gesetze und gueltigen Vorschriften unverbruechlich zu beobachten und meine 
Pflichten als Rechtsanwalt gewissenhaft zu erfuellen." Damit ist klar, dass 
auch rechtsanwaltliches Handeln sich im Rahmen des geltenden Rechts zu 
halten hat - das aber keine wie auch immer geartete clausula rebus sic 
stantibus (1) enthaelt.
Wie oft kommt es vor, dass nicht das menschliche Beduerfnis des Klienten die 
eigenen Aktionsmoeglichkeiten bestimmt, sondern vielmehr die allzu 
restriktiv gezogenen gesetzlichen Grenzen?
Wer hat nicht schon dem auslaendischen Klienten eine 
Familienzusammenfuehrung "ausgeredet", wohl wissend, dass in Wahrheit die 
grundrechtsverbuergte Achtung des Familienlebens ein weitaus hoeherwertiges 
Rechtsgut darstellt als jene bloss abstrakten "oeffentlichen Rechtsgueter", 
zu deren vorgeblichem Schutz es Familiennachzugsquoten gibt?
Wird nicht eigentlich "Zivilcourage" regelmaessig mit der blossen Ausuebung 
ohnehin eingeraeumter Rechte verwechselt? Freilich - Zivilcourage kann ein 
bestimmendes Motiv dafuer sein, die Juristenlaufbahn oder gar den 
Anwaltsberuf einzuschlagen. Gluecklich wird man damit aber kaum werden 
koennen, denn praktisch betrachtet sind Zivilcourage (im eigentlichen Sinne) 
und Juristerei miteinander kaum in Einklang zu bringen.
Man wird sehr schnell merken, wie der bei Schoenwetterlage so leicht 
beschworene Rechtsethos flugs an seine Grenzen gelangt. Und lediglich 
Gleichgueltigkeit, "professionelle Distanz" oder aber unter Umstaenden auch 
Berufsethos vermoegen einem darueber hinwegzuhelfen, dass man nur selten auf 
der (zumeist keineswegs offenkundigen) moralisch richtigen Seite zu stehen 
kommt.
Jeder, auch der bestialischste Verbrecher hat ein Anrecht auf die 
bestmoegliche Verteidigung, und sei es um den Preis seines Freispruchs. Die 
Funktion des Anwalts im Rechtsstaat besteht darin, einen Kraefteausgleich 
zwischen den beteiligten Interessen zu schaffen - sei es nun zwischen 
einander im Prozess gegenueber stehenden Privatleuten, oder sei es, wie etwa 
im Strafrecht, zwischen dem gern als "uebermaechtig" bezeichneten Staat auf 
der einen und dem "Rechtsunterworfenen" auf der anderen Seite.
Und es geht aber auch nicht bloss um die Frage "schuldig" oder "nicht 
schuldig", sondern auch darum, dass "wenn schuldig, dann wie sehr".
Fiat iustitia, pereat mundus! (2)
Auf dem ersten Blick wirkt ein solches, potenziell dem eigenen 
Rechtsempfinden diametral entgegengesetzes, professionelles Auftreten 
pervers.
Indes nimmt der Blick auf die Alternativen dazu ihm schnell jegliche 
Perversion: Denn die Alternativen koennten nur darin bestehen, wiederum 
Prozesse abzufuehren, in denen - wie waehrend des NS-Unrechtsregimes - die 
Urteile jeweils schon vorab feststehen und die daran beteiligten Juristinnen 
und Juristen letztlich nicht mehr sind als willfaehrige Handlanger 
gesetzgewordener Perversion.
Einer Perversion, die allein im Wien des Dritten Reiches mindestens 1400 
Menschen unter dem Schaffott in der Landesgerichtsstrasse oder am Kagraner 
Militaerschiessplatz das Leben kostete.
Ihnen allen zum Gedenken.
(Aussendung Roland HERMANN, Kanzlei Wolfgang RAINER/stark gek.)
*
Anm. akin:
(1) clausula rebus sic stantibus: meint die Erwartung von 
vertragschliessenden Parteien, dass sich das Verhaeltnis zwischen Leistung 
und Gegenleistung bis zur spaeteren Vertragserfuellung nicht wesentlich 
aendert, z.B. durch unvorhersehbare Ereignisse.
(2) Bedeutung: Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt (darueber) 
zugrunde gehen! oder auch: Gerechtigkeit muss sein oder die Welt geht 
zugrunde!
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