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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. April 2005; 18:13
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Tschechien/Geschichte:
> Vom KZ zur Schweinefarm
Das Problem der ehemaligen Roma- und Sintikonzentrationslager auf dem 
Territorium der Tschechischen Republik
Derzeit ist in Bruessel in einem Saal des Europaparlaments eine 
Photo-Ausstellung ueber die Geschichte des Roma-Konzentrationslagers Lety 
nahe der Stadt Pěsek in der heutigen tschechischen Republik statt. Dazu 
erhielten wir vom Gruenen EP-Club einen historischen Abriss.
Wer die Entstehung der Roma-und-Sinti-Konzentrationslager auf dem 
Territorium der damaligen Protektorats Boehmen und Maehren verstehen will, 
hat sich die historischen Zusammenhaenge ihrer Entstehung zu 
vergegenwaertigen.
Aus den Erinnerungen meiner Eltern weiss ich, dass meine Romavorfahren in 
Oesterreich-Ungarn zwar in Armut lebten, doch sie konnten sich ohne 
systematische Eingriffe des Staates in ihr Leben frei von Ort zu Ort 
bewegen.
Eine Wende trat vor dem Ausbruch des zweiten Weltkriegs ein. Der 
tschechische Historiker Ctibor Necas schrieb, dass am 15. Juli 1927 die 
Nationalversammlung der CSR das sog. Gesetz ueber herumfahrende Zigeuner 
verabschiedete. "Die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes standen im 
Widerspruch zu der verfassungsrechtlich garantierten Gleichberechtigung der 
Buerger der Republik. Sonderpolizeierfassungen, Zigeunerlegitimationen, 
Wanderscheine, und weitere verwaltungsrechtliche Mittel diskriminierten 
besonders wandernde und herumfahrende Roma und Sinti, in einigen Faellen 
liessen sie sich jedoch auch auf die Roma-und-Sintibevoelkerung als Ganzes 
anwenden." Grundlage dieses Gesetzes war eine sog. "gesellschaftliche 
Nachfrage".
Mit diesem Schritt wurde die Tschechoslowakei zum ersten Staat in Europa, 
dessen Regierung eine systematische Loesung der Roma-und-Sintifrage 
einleitete.In den folgenden Jahren fuehrte diese Politik dazu, dass die 
Anti-Roma-und-Sinti-Stimmungen in der Bevoelkerung sich immer mehr 
verschaerften. Das somit entstandene Verzeichnis aller Roma und Sinti sollte 
spaeter eine wirksame Waffe fuer eine weitaus haertere Vorgehensweise gegen 
die Roma und Sinti darstellen.
Im benachbarten Deutschland verordnete Himmler, Reichsfuehrer SS und Chef 
der deutschen Polizei, am 8. Dezember 1938 "das Zigeunerunwesen vom 
rassischen Gesichtspunkt her zu bekaempfen", wobei die "Reichszentrale fuer 
die Bekaempfung des Zigeunerunwesens" die Pflicht hatte, ein Verzeichnis zu 
fuehren und saemtliche "Zigeuner und Zigeunermischlinge" zu erfassen.
In der Tschechoslowakei war eine derartige Erfassung und Ermittlung der Roma 
und Sinti bereits erfolgt.
Am 17. Dezember 1938 - also nach der Besetzung der Sudetengebiete durch 
deutsches Militaer und ihrer Angliederung an das Deutsche Reich - schrieb 
die regierungsnahe tschechoslowakische Tageszeitung Venkov: "In diesen Tagen 
wird und zwar sehr bald etwas geschehen muessen. Anderswo haben sie 
Konzentrationslager fuer politische Uebertreter. Wir werden nicht zu solchen 
Massnahmen greifen. Aber es waere gut Konzentrationslager fuer Zigeuner, 
Landstreicher und handwerkliche Bettler, junge und gesunde, zu errichten. 
Humanitaet muss hier nicht gelten, weil sie zu einseitig waere. (.) Sollte 
die Regierung in dieser Sache einen schnellen Eingriff unternehmen, so wird 
dies der Buergerschaft und der oeffentlichen Moral zugute kommen." 
Tschechische Historiker geben an, dass bereits Ende 1938 die 
Tschecho-Slowakische Regierung eine Sonderdelegation nach Deutschland 
entsandte, um sich ueber die Methoden bei der Fuehrung von Arbeitslagern zu 
informieren.
Als Standorte fuer die Arbeitslager bestimmte die Protektoratsregierung fuer 
Boehmen Lety u Písku und fuer Maehren Hodonín u Kunstátu. Die Roma und Sinti 
wurden verhaftet und ohne Gerichtsurteil zur Arbeit in den Lagern 
"verurteilt".
Auf Grundlage einer weiteren Erfassungsaktion stellte die Polizei im Jahre 
1940 fest, dass "im Protektorat Boehmen und Maehren 36.696 Roma und Sinti 
lebten, deren daktyloskopischen Karten sich in der Zentrale fuer die Evidenz 
der herumziehenden Zigeuner befanden, und im Weiteren 36.313 Romů, die 
Inhaber von Zigeunerlegitimationen waren."
Am 9. Maerz 1942 "verabschiedet die Protektoratsregierung eine Verordnung 
ueber die praeventive Verbrechensbekaempfung. Gemaess ihren Bestimmungen 
konnte die Kriminalpolizei Schutzhaft auf verbrecherische und asoziale 
Elemente in Sammellagern verhaengen, in welche mit Wirksamkeit vom 1.1.1942 
zum einen Strafarbeitslager in Lety und in Hodonín, zum anderen ehemalige 
Zuchtanstalten in Prag-Růzyn, in Pardubice und in Bruenn verwandelt wurden."
Am 10.7.1942 gab Boehme, der Generalkommandant der nichtuniformierten 
Protektoratspolizei, einen "Befehl zur Bekaempfung des sogenannten 
Zigeunerunwesens heraus", auf dessen Grundlage die Protektoratspolizei eine 
weitere Erfassung der gesamten Roma-und-Sintibevoelkerung vorbereitete. Am 
2.8.1942 wurden durch die Erfassung 6 500 "Zigeuner, Zigeunermischlinge und 
nach Zigeunerart lebende Personen verzeichnet und zugleich wurden an den 
Orten der frueheren Straflager Zigeunerlager", also in Lety und Hodonín 
eingerichtet.
Hierbei ist zu bemerken, dass in den Polizeiverzeichnissen innerhalb von 
zwei Jahren mehr als 30.000 Roma und Sinti verschwanden. Bislang haben die 
Historiker diesen Widerspruch nicht erklaeren koennen.
Die Hauptunterschiede zwischen den Arbeitslagern und den neueingerichteten 
"Zigeunerlagern" bestanden darin, dass in letzeren Personen auf Grundlage 
ihrer Angehoerigkeit zu einer bestimmten "Rasse" verschleppt wurden und die 
Polizei nunmehr nicht nur Maenner ueber 18 Jahre in die Zigeunerlager 
verschleppten, sondern ganze Roma-und-Sintifamilien. Die Lebensbedingungen 
in den Zigeunerlagern entsprachen ihren Vorbildern, den 
nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Ehemalige Gefangene bezeugen 
uebereinstimmend eine grausame Umgangsweise einschliesslich physischer und 
psychischer Quaelerei, Vergewaltigung von Frauen und vorsaetzliche 
gesteuerte Unterernaehrung, Unterkuehlung und Mangel an aerztlicher Hilfe. 
Das Lager war ueber die ganze Zeit seines Bestehens hinweg um das Vierfache 
ueberfuellt.
Die hohe Sterblichkeitsrate beweisen die erhalten gebliebenen historischen 
Materialien, in denen es heisst, dass im Lager Lety von 1309 internierten 
Gefangenen 326 umkamen, davon 241 Kinder, wobei nicht ausgeschlossen werden 
kann, dass die Sterblichkeit noch viel groesser war. Im Lager kamen auch 36 
Saeuglinge auf die Welt. Nicht eins davon hat ueberlebt.
Die Gefangenen der Lager Lety und Hodonín wurden 1942 und 1943 nach 
Auschwitz-Birkenau deportiert. Das Lager Lety wurde im Jahre 1943 dem 
Erdboden gleich gemacht und das Lager Hodonín geraeumt.
Von allen urspruenglichen tschechischen Roma und Sinti, die auf dem 
Territorium des Protektorats lebten, ueberlebten rund 500 den Holocaust.
In den Nachkriegsjahren fand ein einziger Prozess mit einem ehemaligen 
Beschaeftigten der Lager statt, und zwar mit dem ersten Lagerkommandanten 
des Lagers Lety Josef Janovský. Im Jahre 1948 wurde er jedoch 
freigesprochen. Keine der weiteren fuer den Tod von Hunderten von Menschen 
verantwortlichen Personen wurde jemals vor Gericht gestellt.
Die Ueberlebenden fuhren nach dem Krieg zum Ort des ehemaligen Lagers Lety, 
um ihrer Verstorbenen zu gedenken. Dies taten sie bis zum Jahre 1974, als 
die Bezirksverwaltung begann, direkt auf dem ehemaligen Lagergelaende eine 
Grossschweinemast zu errichten, obwohl mehrere ehemalige Gefangenen darauf 
hinwiesen, dass am Ort des Leidens von Opfern des Nazismus gebaut wird. Auf 
dem Gelaende des ehemaligen Lagers Hodonín wurde trotz der Proteste ein 
Erholungszentrum gebaut.
Die gesamte Geschichte beider Lager wurde in der Nachkriegszeit 
verschwiegen. Erst ab Jahre 1973 erschienen Studien des Historikers Ctibor 
Necas ueber das Geschehen in den Lagern, sie waren nur einer engen 
Fachoeffentlichkeit bekannt.
Nach Protesten des amerikanischen Genealogen Paul Polansky und des 
Kongresses der Vereinigten Staaten liess der damalige tschechische 
Praesident Václav Havel im Jahre 1995 neben der Schweinefarm ein kleines 
Denkmal errichten. Die zustaendige Kommission fuer die Auswahl des 
Denkmalprojekts sah es jedoch nicht fuer erforderlich an, sich an die bis 
dahin lebenden ehemaligen Gefangenen zu wenden. Das Denkmal entspricht nicht 
ihren Vorstellungen.
Mein ganzes Leben lebte ich in der Vorstellung, dass Konzentrations- und 
Vernichtungslager im Krieg nur auf dem Territorium von Polen, Deutschland 
und Oesterreich existierten. Meine Eltern, die im Lager Lety gefangen 
gehalten wurden, verschwiegen mir diese Tatsache bis zum Jahre 1997. Sie 
taten dies, weil sie befuerchteten, dass ich noch lebenden ehemaligen 
Aufsehern des Legers etwas antun koennte. Auf Grund einer Publikation des 
Journalisten Markus Pape ueber die Geschichte des Lagers Lety stellte am 4. 
April 1997 eine Gruppe von 20 Intellektuellen Strafanzeige gegen Unbekannt 
und den damals noch lebenden brutalsten Aufseher des Lagers Josef Hejduk. 
Die Ermittlung des Falles uebernahm - auf Veranlassung des damaligen 
Innenministers der Tschechischen Republik - das Amt fuer die Verbrechen des 
Kommunismus. Es stellte die Ermittlungen ein, als im Januar 1999 der letzte 
bis dahin noch lebende ehemalige Lageraufseher starb.
Im Jahre 1997 erfuhr ich von der Existenz der Lager. Dies war der Impuls 
fuer die Gruendung unserer Vereinigung, dem Komitee fuer die Entschaedigung 
des Roma- und Sinti-Holocaust. In Zusammenarbeit mit der Regierung der 
Tschechischen Republik, dem Aussenministerium der Bundesrepublik Deutschland 
und weiteren Organisationen haben wir in den letzten Jahren verschiedene 
Projekte erfolgreich organisiert. Dies sind vor allem Projekte im Bereich 
Bildung und Bewahrung des historischen Gedenkens der tschechischen Roma und 
Sinti, so z.B. alljaehrliche Seminare, welche Fragen des Lebens der 
Roma-und-Sintiminderheit in der Tschechischen Republik aufgreifen 
(Veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Juedischen Gemeinde und unterstuetzt 
von der Heinrich-Boell-Stiftung).
Daraufhin wurden Vertreter des VPORH (Komitee fuer die Entschaedigung des 
Roma-Holocaust) Mitglieder einer Kommission der Tschechischen Republik, 
welche Material fuer die Regierung vorbereitete, das zum Ausgangspunkt fuer 
eine Entscheidung der Regierung ueber das weitere Vorgehen wurde. Die 
Regierung beschloss, dass sie sich der historischen Schuld bewusst ist, 
welche die tschechische Gesellschaft gegenueber den Roma und Sinti aus der 
Zeit des Nazismus hat. Zugleich erklaerte sie jedoch, dass sie aus Mangel an 
Mitteln fuer eine Umsiedlung der umstrittenen Objekte von den Staetten der 
ehemaligen Lager auf geeignetere Orte die ganze Angelegenheit aufschiebt. 
Bis heute haben sich jedoch weder die damalige noch die heutige Regierung 
der Tschechischen Republik mit diesem Problem befasst.
Auf den ersten Blick erscheinen die Lager Lety und Hodonín im Vergleich mit 
Vernichtungslagern wie Auschwitz, bzw. Konzentrationslagern wie Ravensbrueck 
als bedeutungslose Lager. In der Geschichte der heute nur noch geringen Zahl 
der urspruenglichen tschechischen Roma und Sinti haben sie jedoch eine 
immense Bedeutung. In beiden starben Maenner, Frauen und Kinder unter 
schrecklichen Bedingungen. Diejenigen, welche ueberlebten, hat die erlittene 
Pein fuer das ganze Leben gezeichnet. Viele leiden an den physischen und 
psychischen Folgen bis heute. Die urspruengliche Ethnie der tschechischen 
Roma und Sinti ist aus dem oeffentlichen Bewusstsein verschwunden.
*Cenek Ruzicka, Vorsitzender des VPORH*
(stark gekuerzt, der Volltext kann von der akin angefordert werden; die im 
Original vorhandenen Hatscheks und sonstigen Sonderzeichen gingen leider 
grossteils aus technischen Gruenden verloren)
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