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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23.Februar 2005; 8:00
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Kommentar der Anderen:

> Vom gruenen Bellipazifismus

Die Geschichte der friedenspolitischen Positionierung der Gruenen ist ein wenig
die Geschichte meiner eigenen politischen Biographie. Als ich vor zwei
Jahrzehnten mit meinen gruen-alternativen Freunden das Inntal entlangzog, zu
Fuss, mit Leiterwagen, vor allem aber mit viel Idealismus, da war meine Option
noch in Ordnung: Teil einer politischen Bewegung zu sein, die sich radikal von
den "etablierten Parteien" unterscheiden wollte und deren Markenzeichen drei
Grundprinzipien sein sollten: basisdemokratisch, gewaltfrei und solidarisch. In
meiner Dissertation (1988) konnte ich die Gruen-Alternativen noch als "Partei
der Gewaltfreiheit" analysieren und beurteilen.

Basisdemokratisch bedeutete die Einbindung der jungen parlamentarischen Bewegung
in die ausserparlamentarischen Bewegungen - eben auch der friedensbewegten
Kraefte, der Friedensbewegung. Sie konnte sich Anfang der Achtziger Jahre
deutlich als Widerstandsbewegung gegen die NATO-Nachruestung artikulieren, half
den Wehrdienstverweigerern, die Zivildienstkommissionen zu bestehen usw. usf. In
den folgenden Jahren gab es tatsaechlich die vielen Verbindungen zwischen
Anti-Abfangjaeger-Volksbegehren, Oesterreich-ohne-Heer-Initiativen u.ae. Gruene
Abgeordnete wie Doris Pollet-Kammerlander, Severin Renoldner oder Andreas Wabl
verstanden sich als politisches Spielbein im Parlament, deren Standbein die
friedensbewegten Kraefte waren.

Im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte verschwand mehr und mehr die
pazifistische und antimilitaristische Note der Partei, die bezeichnenderweise
den Begriff "alternativ" aus ihrem Namen entfernte. Van der Bellens Aeusserung,
dass Auslandseinsaetze der geplanten EU-Truppen auch ohne ausdrueckliches
UNO-Mandat moeglich sein muessten, markiert den vorlaeufigen Endpunkt eines
langen Marsches in den Pragmatismus, der absehbar in der Regierungsbeteiligung
enden soll. Ende 2004 lobten buergerliche Medien ueberschwaenglich die Abkehr
der gruenen Parlamentspartei von der Neutralitaet. Die Gruenen sind endlich eine
"Kraft der Mitte" geworden, lobte Walter Klier in der Tiroler Tageszeitung am
11. Dezember 2004. "... eine lebhafte politische Randgruppe hat sich in der
politischen Normalitaet etabliert." Der scheidende EU-Kommissar Franz Fischler
sekundierte mit lobenden Worten, weil die Gruenen bereit seien, von der
Neutralitaet abzukehren. Man konnte aus seinen Gedanken lesen, dass er damit
meinte: Endlich sind auch die Gruenen zur "Vernunft" gekommen. Hat aber Immanuel
Kant nicht bereits 1795 in seinem Werk "Vom Ewigen Frieden" gemahnt, Vernunft
nicht mit "Staatsklugheit" zu verwechseln?

Die gegenwaertigen sicherheitspolitischen Positionierungen der gruenen
Parteispitze stellen tatsaechlich eine Abkehr von bislang gueltigen
gruen-alternativen Optionen dar. Juengstes Beispiel: Die beiden gruenen
Abgeordneten Oesterreichs im EU-Parlament - Johannes Voggenhuber und Eva
Lichtenberger - votierten Anfang Jaenner 2005 fuer die EU-Verfassung. Waehrend
friedensbewegte Kraefte die EU-Verfassung als neoliberales Projekt und weiteren
Schritt der Militariserung der EU betrachten, geben gruene Abgeordnete ihren
Sanktus dazu. Oder in der Frage der Zivildienstreform: Die Ideen der gruenen
Zivildienstsprecherin Theresa Haidlmayr entsprechen letztlich den Vorstellungen
der Jungen Volkspartei: Ihre Forderung nach einem sechsmonatigen Zivildienst mit
der Moeglichkeit einer freiwilligen Verlaengerung ist fernab von der
prinzipiellen Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht. Sehr konstruktiv hatte
sich vor einem Jahr Peter Pilz in der Bundesheerreformkommission engagiert.
Zwischen der gruenen Forderung nach Abschaffung des Bundesheeres und der
Bejahung der oesterreichischen Beteiligung an den EU-Battlegroups ist ein
voellige Kehrtwendung. Im gruenen Optionenbericht (Sicher ohne Nato, 1998) wurde
noch Gandhi zitiert: "Wenn in Europa wirklich abgeruestet werden soll, muss eine
Nation damit beginnen und alle damit verbundenen Risiken auf sich nehmen. Wenn
dieser glueckliche Umstand einmal eintreffen wird, dann entfaltet diese Nation
eine Kultur der Gewaltfreiheit, die so hoch sein wird, dass sie ihr eine
universelle Beachtung und Achtung eintragen wird."

Einer der wesentlichen Gruende fuer die Abkehr der Gruenen vom Pazifismus und
Antimilitarismus liegt wohl darin, dass die Verzahnung von Partei-Bewegung - wie
sie am Beginn der Geschichte der Gruen-Alternativen im
Spielbein-Standbein-Theorem angedacht war - laengst bruechig geworden ist.
Partei - zumindest die Parteispitze - und ausserparlamentarische Opposition
haben sich voneinander geloest - oder besser gesagt: die gruene Parteispitze hat
sich von dem verbliebenen Rest friedensbewegter Gruppen und Initiativen in
Oesterreich losgeloest. Wo wird beispielsweise das Friedensvolksbegehren von
gruenen Mandataren unterstuetzt? Wichtiger als das Einverstaendnis mit
antimilitaristischen Kraeften in diesem Land scheint Van der Bellen und Co die
Moeglichkeit zu sein, mit Schwarz eine Koalition vorzubereiten.

Faktum ist: Antmilitaristische und pazifistische Kraefte haben gegenwaertig in
Oesterreich auf parlamentarischer Ebene ihre Buendnispartner verloren. Das neue
gruene Leitmodell kann als Bellipazifismus bezeichnet werden. Am deutlichsten
wird es von der mitregierenden gruenen Fraktion in Deutschland praktiziert. Mit
tatkraeftiger Unterstuetzung von Rot-Gruen wird dort die EU fuer weltweite
Militaereinsaetze aufgeruestet. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswaertigen
Amt von Buendnis90/Gruene hatte mit seinem Diktum, Pazifismus koenne
militaerische Gewalt als Ultima Ratio niemals ausschliessen, kaempft aber fuer
die Prima Ratio, die zivilen Mittel der Krisenpraevention, den springenden Punkt
benannt. Hierzulande steht fuer das Konzept des oliv-gruenen Bellipazifismus
wohl am besten der Name Peter Pilz.

Wer einen nuechternen Blick auf gegenwaertige Entwicklungen wirft, wer dies mit
"Vernunft" und nicht mit "Staatsklugheit" tut, wird nicht umhinkommen
festzuhalten: Insgesamt gesehen ist heute starker Pazifismus noetiger denn je.
Ein Pazifismus als Widerspruch zu Militarisierungstendenzen, zu Aufruestung und
militaerischer Konfliktloesung. Ein Pazifismus, der die bombenden Realpolitiker
in die Schranken weist. Ein Pazifismus, der sich der weit gespannten Politik
gegen die unmenschlichen, unsozialen Folgen der Globalisierung verpflichtet
weiss. Hier liegt letztlich auch die wichtigste Antwort auf den Terrorismus -
als Kampf gegen Armut und Unterdrueckung. Werden die Gruenen zu ihren
pazifistischen Wurzeln zurueckfinden?
(Klaus Heidegger in guernica 1/05, Zeitschrift der Werkstatt
Frieden&Solidaritaet)
http://www.werkstatt.or.at


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