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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23.Februar 2005; 8:00
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Arbeitslose/Initiativen/WWWebtips:
Nachstehender Text stammt von der neuen Erwerbsarbeitsloseninternetplattform
http://www.soned.at
> "Wer nicht erlebt hat, was uns widerfaehrt, der wird es nicht glauben."
Im oeffentlichen, politischen Diskurs ist die soziale Erfahrung der Arbeitslosen
mit dem AMS weitgehend ausgeschlossen. Dass gewisse Kreise Interesse haben,
Zerrbilder ueber Arbeitslose in Umlauf zu setzten, versteht sich von selbst. Es
ist eine Sache, sich Gedanken ueber die Bekaempfung der Arbeitslosigkeit zu
machen, politische Vorschlaege zu entwickeln oder Massnahmen vorzuschlagen. Eine
andere Sache ist es, die Politik des AMS unter die Lupe zu nehmen.
Wer arbeitslos ist, ist stigmatisiert. Der soziale Ort, an dem sich die
Abwertung konkret und mit praktischen Konsequenzen vollzieht, ist die
Institution AMS.
Wer Raeume des Arbeitsmarktservices betritt, ist von einer Flut von Plakaten und
Broschueren umgeben, in denen "Kundenorientiertheit" und
"Problemloesungskompetenz" signalisiert werden. In wohlwollender, ja
salbungsvoller Sprache ist von "Hilfestellung", "Unterstuetzung" und "sinnvollen
Massnahmen" die Rede. Sobald sich die Tuere des Beratungszimmers geschlossen hat
und man dem Betreuer alleine gegenueber sitzt, sehen die Dinge bald ganz anders
aus. Tatsache ist: Das AMS kann keine Arbeitsplaetze anbieten, die der
Ausbildung, der Berufserfahrung, dem Interesse und der Motivation der
Arbeitsuchenden entsprechen - und die Beamten wissen das auch. Je laenger man
arbeitslos ist, desto klarer erkennt mensch, dass die vorgeschlagenen Massnahmen
offenbar einen anderen Zweck erfuellen, als jenen, den die Hochglanzprospekte
suggerieren. Als erster Schritt wird unmissverstaendlich klar gemacht, dass der
Arbeitsplatz nach Wunsch eine Illusion sei, die man sich rasch abzuschminken
haette. Nach und nach zeichnet sich das eigentliche Kalkuel der Gespraeche,
Vorschlaege und Massnahmen ab: die Arbeitsuchenden sollen dazu gebracht werden,
jedes Kriterium fuer die Arbeitsplatzwahl, jeden Anspruch, jeden Wunsch nach
einem bestimmten Arbeitsplatz aufzugeben und dem Credo beipflichten, jeder
Arbeitsplatz, sei er noch so mies, schlecht bezahlt und weit vom Wohnort
entfernt, sei besser als gar keiner. Widerspruch und Einwaende werden nicht
geduldet. Wer keine Einsicht zeigt, dem drohen Sanktionen.
Ein beliebtes Mittel, Arbeitslose zu schikanieren, sind Kurse. Bei diesen Kursen
geht es immer weniger um Vermittlung von beruflichen Qualifikationen, sondern um
die Indoktrination mit neoliberalen Positionen. Dem Arbeitsuchenden soll
eingetrichtert werden, dass sein Schicksal einzig und allein in seinen Haenden
liegt.
Interessant ist, wer die Kurse haelt und zu welchen Bedingungen. Oft sind es
selbst Langzeitarbeitslose, die, auf Basis von Werkvertraegen, Arbeitslosen
erklaeren sollen, wie sie ihrer Lage entrinnen koennen. Ich kenne einige
Personen, bei denen es sich im letzten Moment entschieden hat, ob sie denselben
Kurs leiten, oder ihn konsumieren muessen. Ablehnung von Kursen zieht die
Streichung des Bezugs fuer einige Wochen nach sich; damit wird auch ganz offen
gedroht.
Die praktische Erfolglosigkeit diverser Kursmassnahmen ist dem AMS natuerlich
bekannt. Die in der Oeffentlichkeit immer wieder geaeusserte Meinung, die Kurse
sein dazu da, die Statistik zu beschoenigen, ist eben nur die halbe Wahrheit.
Auch wenn die Massnahmen keineswegs dazu fuehren, Personen an sinnvolle
Arbeitsplaetze zu vermitteln, sie haben durchaus einen Sinn. Naemlich das
Individuum so lange weich zu klopfen, bis es bereit ist, wirklich jede Arbeit zu
allen Bedingungen anzunehmen.
"Dequalifikation, um die Chancen am Arbeitsmarkt zu erhoehen"
Qualifizierte Personen, die den Berufsschutz verloren haben, werden ohne Debatte
an die absurdesten Stellen vermittelt. Die Ruecksichtslosigkeit und Brutalitaet
des Vorgehens kann am besten an Beispielen demonstriert werden. Einer
ausgebildeten und preisgekroenten Musikerin und Komponistin wurde ungeruehrt die
Stelle einer Regalbetreuerin in einem Supermarkt angeboten, einem langjaehrigen
Universitaets-Lektor eine Kellnerstelle in Baden, trotz seines Wohnorts in Wien.
Einem ausgebildeten Tischler bot man eine Stelle als Abwaescher, inklusive eines
taeglichen Arbeitswegs von drei Stunden an. Diese Beispiele sind keine
Einzelfaelle.
Argumente, die Annahme einer besonders unqualifizierten Taetigkeit wuerde das
Resultat jahrelanger Ausbildung in Frage stellen und in weiterer Zukunft das
Erreichen einer entsprechenden Taetigkeit nachhaltig gefaehrden, werden als
Widerspenstigkeit und Arbeitsunwilligkeit ausgelegt.
Diese Vermittlungspraxis muss bei den potentiellen Arbeitgebern und in Folge in
der Oeffentlichkeit der Eindruck vermitteln, Arbeitslose seien an Anstellungen
gar nicht interessiert. Das wiederum hat zur Folge, dass Arbeitgeber, die
engagierte und interessierte Personen suchen, diese offenen Stellen den
Arbeitsaemtern nicht melden.
Nur wer diesen Mechanismus kennt, weiss, warum die Zuweisung von
Vorstellungsterminen oft als kontraproduktiv zu werten ist.
Beliebt ist auch die Ermunterung, sich "selbstaendig" zumachen, das heiss fast
immer ohne notwendiges Kapital und Erfahrung, freier Unternehmer zu spielen.
Auch dafuer gibt es Kurse.
Ohnmacht und Angst
Sicher treffen die in diesem Bericht festgehaltene Erfahrungen nicht auf alle in
gleichem Masse zu. Die gruendlich geschulten Beamten gehen sehr differenziert
vor. Juengere Personen, die nur wenige Wochen arbeitslos sind und als leicht
vermittelbar eingeschaetzt werden, werden andere Erfahrungen machen, als jene,
die als Problemfaelle gebrandmarkt werden. Und Problemfall ist man leicht: die
"falsche" Ausbildung, sogenannte Ueberqualifikation, laengere Arbeitslosigkeit,
altersbedingte Arbeitslosigkeit, alleinstehende Frauen mit Kindern. Aus
zahlreichen Gespraechen und auch aus eigener Erfahrung weiss ich, welch
psychischen Druck es bedeutet, dem sogenannten Betreuer ohnmaechtig ausgeliefert
zu sein.
Was tun?
Linke Politik kann nicht laenger fordern, "die Arbeitslosigkeit bekaempfen" zu
wollen, waehrend sie das AMS und seine Mechanismen ignoriert. Diese Haltung
arbeitet der Macht dieser Institution in die Haende, indem sie den Mechanismus
der Disziplinierung und Unterdrueckung aus der Kritik ausspart. Notwendig ist,
dass die Arbeitslosen ihren reinen Objektstatus ueberwinden. Wie bei jeder
stigmatisierten und heterogenen Gruppe ist Selbstorganisation sehr schwierig und
existiert nur in Ansaetzen. Realistisch gesehen, wird es in Oesterreich nicht so
rasch eine machtvolle autonome Arbeitslosenbewegung geben. Arbeiterkammer,
Sozialdemokratie und Gewerkschaften haben wenig Interesse, Arbeitslose zu
organisieren.
Gemeinsam mit den Arbeitslosen gilt es, Rechte zu fordern. Etwa das Recht,
"Nein" zu einem angebotenen Arbeitsplatz zu sagen, das Recht Kurse abzulehnen,
das Recht, nach laengerer Arbeitslosigkeit Urlaub konsumieren zu koennen. Man
mag diesen Vorschlaegen ablehnend oder zustimmend gegenueberstehen, entscheidend
ist, dass der Alltag im AMS endlich aus jenem Dunkel geholt wird, in dem
Herrschaft und Willkuer so praechtig gedeihen. Wenn dieser Artikel dazu ein
Anstoss ist, hat er seinen Zweck erfuellt.
(Karl Reitter, stark gekuerzt)
Quelle: http://www.soned.at/2b2556f0f556d9a5f450234ca2c9a26c.html
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Kasten: ALG-Sperren
Die Praxis des AMS, bei Verweigerung eines Kurses automatisch das
Arbeistlosengeld zu sperren, ist moeglicherweise nicht ganz rechtskonform.
Tatsaechlich hat der VwGH schon 2002 in einem Entscheid (GZ 2002/08/0262)
klargestellt: "Eine Wiedereingliederungsmassnahme ist nur dann zumutbar im Sinne
des ยง9 AlVG, wenn sie allein oder gemeinsam mit anderen Massnahmen im Hinblick
auf eine tatsaechliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt
erfolgversprechend erscheint." Daraus ergibt sich, dass nach gesetzlichen
Massstaeben nur die Verweigerung einer zumutbaren Schulung als
"Arbeitsunwilligkeit" qualifiziert werden koenne - da aber gerade Arbeitslose
kaum die Moeglichkeit haben, die Zumutbarkeit gerichtlich ueberpruefen zu
lassen, liegt die Einschaetzung dieser Zumutbarkeit beim AMS selbst.
Nach Angaben des (AMS) haben sich die "wegen Missbrauchs des Arbeitslosengeldes"
verhaengten Sperren seit 1990 von knapp 3.000 auf fast 15.500 Sperren im Vorjahr
mehr als verfuenfacht. Unter anderem fuehrt das AMS diese Steigerung der Sperren
"auf die intensivere Kundenbetreuung und die verbesserten Kontakte zu den
Betrieben zurueckzufuehren. Erst durch die Rueckmeldungen der Betriebe ergeben
sich fuer das AMS eindeutige Anhaltspunkte fuer Sanktionen." Dabei stoesst im
AMS offensichtlich niemanden sauer auf, dass sie damit die vermittelten
Arbeitslosen der Willkuer ihrer neuen Chefs ausliefert.
Trotz dieser Massnahmen betrug die offiziell vom AMS - und damit ohne
Beruecksichtigung der in Schulungsmassnahmen Befindlichen - errechnete
Arbeitslosigkeit im Jaenner 9,1%. -br-
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