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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Februar 2005; 23:13
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Geschichte/Kommentar:
> 15. Februar 1934
Als der Damm zu Faschismus, Krieg und Shoa brach -- Haben die heutigen 
(Sozial-) Demokraten eine andere Physiognomie?
Achtstundentag, Arbeitslosenunterstuetzung, Meinungs- und Pressefreiheit, 
Arbeiterurlaubsgesetze, Betriebsraetegesetz etc. -- die gesamte grosse 
Sozialgesetzgebung Oesterreichs (die von Rot-Schwarz-Blau seit ueber 10 
Jahren wieder abgebaut wird) war Produkt der sozialen Revolte der 
Arbeiterschaft nach dem 1.Weltkrieg! Die Sozialdemokratie im Verein mit den 
noch etwas schlappen Buergern mussten diese Sozialgesetzgebung 1918/19 
einfuehren, um ein Ueberschwappen der proletarischen Revolution vom jungen 
Sowjetrussland und von Sowjetungarn auf das buergerliche Oesterreich zu 
verhindern. Auf der anderen Seite waren die Linksradikalen, die in den 
damaligen sozialen Kaempfen die antreibenden Elemente darstellten, zu 
unerfahren und zerstritten und noch dazu jedes Mal von einer 
revolutionssprachigen Sozialdemokratie derart beiseite gedraengt, dass 
sie -- abgesehen von kurzen Momenten 1918/19 -- im Gros der 
oesterreichischen Arbeiterklasse keine Rolle spielten. Die KPOe der 
Zwanziger Jahre wurde schliesslich schon sehr bald durch Stalinismus & 
ultralinke Politik zur Sekte reduziert. Ihrem Verbot Mai 1933 folgte ab 1934 
Oesterreich-liebende Politik (mit einem temporaeren Mitgliederaufschwung 
nach der Februarniederlage 1934, dezimiert wieder durch 
Schutzbund-Militante, die zur KPOe gewechselt hatten, in die Sowjetunion 
gefluechtet waren und dort von Stalins NKWD verhaftet, hingerichtet oder an 
die Gestapo ausgeliefert wurden, H.Schafranek, 1990).
So fand die Sozialdemokratie mit schwacher radikaler Linker und (!) 
schwacher Kapitalistenklasse in Oesterreich optimale Bedingungen vor, ihre 
Strategie eines wehrhaften Parlamentarismus' abseits des Risikos durch 
Faschismus oder proletarische Revolution durchzusetzen! 1918/19 hatte es die 
sozialdemokratische Fuehrungsgruppe um Seitz, Deutsch & Friedrich Adler 
perfekt gelernt, jedes Mal bei proletarischem Aufruhr die radikallinken 
Forderungen aufzugreifen und dasselbe bzw. nur ein bisschen weniger zu 
fordern. Wichtig war dabei nur, den linken Losungen den revolutionaeren 
Stachel staatsunabhaengiger proletarischer Selbstorganisation (Raete) zu 
ziehen und in staatsbuerokratische parlamentarische Bahnen zu leiten! Nicht 
ganz durchdacht im sozialdemokratischen Konzept war dann natuerlich, dass 
durch die Niederlage der sozialen Revolte das Buergertum erstarkte, das in 
der sozialen Krisen- und Aufruhrsituation der Nachkriegsjahre schnell in 
Richtung Faschismus marschierte! Eine zweite Variable ergab sich 
schliesslich im Dogma der sozialdemokratischen Spitzen, naemlich dass sie 
sich selbst an die buergerliche Erstarkung anpassen. Das heisst feige 
werden, da sie ja selber Angst hatten vor proletarischer Rebellion und sich 
nicht auf diese stuetzen konnten. Und so mussten sie Schritt um Schritt 
zurueck weichen vor der buergerlichen Macht auf deren Weg zum Faschismus.
Nach 1920 ruesteten Kapitalisten, Kirche und Grossgrundbesitzer voll auf. 
Bundesheer und faschistische Heimwehren rund um das "Rote Wien" der 
Sozialdemokratie, die, nachdem sie Arbeiterraete und Volkswehr abgeschafft 
hatte, nun den Republikanischen Schutzbund aufbauen musste. Wahlerfolge und 
Schutzbund, der ausschliesslich die 43%, 45%, 51%(?) SDAP-Stimmen gegen 
austrofaschistische Putsche verteidigen muesse! Das wurde in den 
Zwanziger-Jahren die Leitlinie der Bauer-Renner-Fuehrung der SDAP. Schon die 
ganzen Jahre vor 1927 hatten Heimwehrler, Frontkaempfer herumgeschossen und 
vier Schutzbuendler ermordet. Die Schuesse in Schattendorf waren sozusagen 
alltaeglicher Mord. Doch mit dem provokanten Freispruch der faschistischen 
Moerder im Juli wurde "1927" zum ersten grossen Test, mit dem Pfaffen & 
Buergerliche die Staerke der Arbeiterbewegung ausprobieren wollten. Und 
tatsaechlich, sie mussten Angst haben. Tausende ArbeiterInnen marschieren am 
15. Juli spontan ins Wiener Zentrum, Polizisten vor sich hertreibend und 
zuenden das Symbol der faschistischen Justiz, den Justizpalast, an. Und 
nachdem die Polizei in die ArbeiterInnenreihen hineingeschossen hatte, 85 
toetete und ueber 1000 verletzte, streikte die Wiener ArbeiterInnenschaft 
und ging zum oesterreichweiten Verkehrsstreik ueber. ArbeiterInnen- und 
Schutzbundgruppen verlangten Waffen. Doch die Bourgeoisie konnte aufatmen, 
die sozialdemokratische Partei- und Schutzbundfuehrung erlangte am Abend des 
15.Juli wieder volle Kontrolle ueber die spontane und fuehrungslose 
ArbeiterInnen-"Revolution" (Seipel). Den Verkehrs-Generalstreik brachen 
Bauer & Renner am 17.Juli gleich wieder ab. Die sozialdemokratische Fuehrung 
diskutiert nun fest und signalisiert der rechten Seipel-Regierung 
grundsaetzliche Koalitionsbereitschaft. Den buergerlich-christlichen 
Machtcliquen war jetzt klar: Gegenueber dieser lahmen Sozialdemokratie 
konnte sie mehr wagen! Doch die entscheidende Loesung stand noch aus: Die 
Vernichtung der militanten Kerne in Schutzbund und ArbeiterInnenschaft!
Trotzdem war die strategische Lage der ArbeiterInnenbewegung noch guenstig. 
Das buergerliche Lager war zwischen christlich-sozialer Regierungsmacht, 
Austro-Heimwehrfaschismus und deutsch-nationalistischen Nazis aufgeteilt, 
waehrend die Arbeiterklasse geeint war. Die steirischen Heimwehren unter 
Pfrimer waren sogar im Gegensatz zu den anderen austrofaschistischen 
Heimwehren grossdeutsch ausgerichtet. Doch die Heimwehrfaschisten schufen 
sich eine Bundesleitung und begannen die Strassen auch in den Zentren der 
ArbeiterInnenbewegung zu beherrschen. 1929 setzten sie eine autoritaere 
Verfassung durch (deren Hauptparagraphen z.B. bez. Bundespraesident, bis 
heute gelten); ab 1930 dominieren sie Regierung und Exekutive.
1933 war das Jahr der Entscheidung! Der Sieg Hitlers in Deutschland im 
Jaenner trieb die Dollfuss-Christlich-Sozialen zur Offensive. Wenn die drei 
Nationalratspraesidenten am 4.Maerz nicht zurueck getreten waeren, dann 
haette Dollfuss einen anderen Anlass gesucht bzw. konstruiert, um das 
Parlament auszuschalten. Hitler vor Oesterreich, Mussolini in Italien, 
Frankreich in der Krise, aber vor allem der Heimwehrfaschismus beherrschte 
die Bundeslaender. Dollfuss musste es wagen. Trotz kampfbereiter 
sozialdemokratischer Basis, die jetzt als Vertrauensleute und 
BetriebsraetInnem die SDAP-Fuehrer bestuermen, zum Generalstreik und 
Entscheidungskampf ueberzugehen. Im Maerz 1933 waren Bauer, Seitz & Renner 
jedoch bereits derart eingeschuechtert in ihrem Konzept buergerlicher 
Demokratie gefangen (dessen Moeglichkeiten sich in der Offensive der 
Austrofaschisten ja tagtaeglich immer mehr einengte), dass sie zu keinerlei 
Planung und Organisation von militantem ArbeiterInnenwiderstand mehr faehig 
waren! 1.Mai -- verboten! Schutzbund -- verboten! Notverordnungen gegen 
Streiks, Verbot der KPOe, Zensur, Aufloesung des Verfassungsgerichtshofes 
etc.. Schlag auf Schlag ging es jetzt gegen die Arbeiterklasse mit Abbau von 
Loehnen und Sozialrechten. "Dagegen" gab es von Seiten der SDAP nur mehr 
verbale Proteste. Und sie sammelte eine Million Unterschriften unter eine 
Petition an Bundespraesident Miklas fuer die Wiedereinfuehrung des 
Parlaments.
Das gebe man sich noch einmal: Das Parlament, das Lebenselixier der 
Sozialdemokratie, wird ausgeschaltet. Und diese "Antifaschisten" sammeln 
Unterschriften! Die Linke in der Sozialdemokratie kann diesen 
Niederlagenkurs nicht aendern, ja passt sich letztlich durch ihr Dogma der 
Parteieneinheit an. 1927 waren es kleine Gruppen von StudentInnen, 
ArbeiterInnen und Schutzbuendlern der "Politischen Arbeitsgemeinschaft", die 
gegen den damaligen Rechtsruck in der Parteifuehrung opponierten. 1929 
wurden sie aus der Partei ausgeschlossen. Im selben Zeitraum agierte das 
"Komitee revolutionaerer sozialdemokratischer Arbeiter", erreichte im 
Dezember 1929 auf einer Veranstaltung in Wien-Hernals immerhin 1.500 
Personen und wurde ebenfalls ausgeschlossen. Schliesslich trat bis 1933 die 
oppositionelle SP-Gruppe um Ernst Fischer auf, die in Kreisen steirischer 
und Wiener BetriebsarbeiterInnen, von Erwerbslosen und Jugendlichen Einfluss 
besass. Nach scharfer Kritik am passiven Parteikurs und Forderungen nach 
Partei-Arbeiterraeten zog diese Opposition schliesslich auf dem Parteitag im 
Oktober 1933 ihre Resolution zu Gunsten der Einheit der Partei zurueck 
(P.Kuleman, 1982).
Dollfuss, Ender, Schmitz schreien 1933/34 laut nach der Ausrottung des 
Marxismus, Aufloesung der Gewerkschaften. Schutzbundlager werden der Reihe 
nach geraeumt, regionale Schutzbundfuehrer verhaftet. Der Heimwehrfaschismus 
draengt nach der endgueltigen Vernichtung des Schutzbundes! Sie treffen im 
Februar 1934 auf eine gelaehmte sozialdemokratische Fuehrung, auf breite, 
spaetestens im Maerz 1933, demoralisierte Schichten der Arbeiterklasse und 
des Republikanischen Schutzbundes! Nur mehr ein militanter Kern des 
Schutzbundes fuehrt ab dem 12. Februar 1934 den Abwehrkampf: Gegen den 
Willen der Partei- und Schutzbundfuehrung, ohne Kampffuehrung und gemaess 
den unrealistischen Leitlinien eines defensiven stehenden Heeres. Das musste 
unvermeidlich zur tragischen Situation isolierter Schutzbundtrupps fuehren, 
die zurueckgezogen in den Gemeindebauten wehrlos den Kanonenschuessen der 
Austrofaschisten ausgesetzt waren. Kurz konnten Elektrizitaetsarbeiter noch 
die Stromversorgung unterbrechen, doch der Generalstreik blieb aus! "Der 
Wiener Aufstand war die einzig moegliche Antwort auf den faschistischen 
Angriff, eine ungenuegende, verspaetete Antwort verlassener, von den eigenen 
Fuehrern desorganisierter und irregefuehrter Arbeiter, aber eine Antwort, 
die selbst in dieser Form von unvergaenglichem Wert nicht nur fuer die 
oesterreichische, sondern fuer die ganze, internationale, um ihre Rettung 
vor dem Faschismus und um ihre Befreiung ringende Arbeiterklasse." (Erwin 
Ackerknecht, 1934)
Auf den Februar 1934 folgte der Juli: Der erste nazifaschistische 
Umsturzversuch. Ab da begannen sich die braunen Massen Erwerbsloser, in den 
Konkurs Getriebener, demoralisierter ArbeiterInnen, BeamtInnen, etc. 
auszubreiten. Die bonapartistische Diktatur des Austrofaschismus, die sich 
ihrer wesentlichen Staerke aus dem Kampf zwischen sozialdemokratischer 
Arbeiterklasse und dem Faschismus selbst beraubt hatte, stand nach 
Mussolinis Buendnis mit Hitler vollends geschwaecht "gegen" den 
hitlerfaschistischen Imperialismus.
Die OeVP hat noch heute das Bild des Austrofaschisten Dollfuss in ihrem 
Parlamentsklub haengen. Wie viel politisches Vertrauen koennen wir in die 
heutigen politischen Eliten haben angesichts einer Perspektive weiter 
anwachsender Hunderttausender Erwerbsloser (in Europa von Millionen) und 
kapitalistischen Kriseneinbruechen? Wo es dann aggressiver als bisher 
faschistischen Populisten mit "antikapitalistischer" und rassistischer 
Rhetorik gelingt, breitere Schichten menschlichen Staubes zu mobilisieren. 
Im Ansatz traegt sich solches heute in Deutschland zu. Und was macht Haider 
in einem Krisenszenario? Wer steht dagegen? Der Sozialdemokratie Gusenbauers 
fehlen jedenfalls die antikapitalistischen Phrasen des Austromarxismus. Und 
wie viel Mut und Ideologie besitzt sie gegenueber der buergerlichen Welt und 
der neoliberalen Weltdiktatur der Konzerne?
*Karl Fischbacher*
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