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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Februar 2005; 19:00
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Schweiz:

> Sand im Getriebe

GATS-FREIE ZONEN - Auch Schweizer Gemeinden
kuendigen nach franzoesischem Vorbild zivilen Ungehorsam an. Sie wehren sich
gegen
internationale Liberalisierungsverhandlungen.


«Ohne uns», erklaert Pascal Lugon, Buergermeister von Romainmôtier. Das
400-Seelen-Dorf am Fuss des Waadtlaender Jura hat sich zur «Gats-freien Zone»
erklaert. Romainmotier, beruehmt fuer seine mittelalterliche Abteikirche,
kaempft fuer Gemeindedemokratie und Service public. Der Widerstand gegen das
General Agreement on Trade in Services, das Allgemeine Abkommen ueber den Handel
mit Dienstleistungen, muesse von unten kommen, sagt er. Noch sind «Gats-freie»
Gemeinden in der Westschweiz an einer Hand abzuzaehlen. Doch der Widerstand
waechst.

Seit 7. Februar wird in der Welthandelsorganisation WTO hinter verschlossenen
Tueren ueber eine neue Privatisierungsrunde verhandelt; bis Mai sind alle
WTO-Mitglieder aufgerufen, Liberalisierungsangebote zu machen. Betroffen sind
diesmal Dienstleistungen - abgesehen von Militaer, Polizei und Justiz sind keine
Bereiche davon ausgeschlossen, auch nicht solche, die zum Service public
gehoeren. Wasser, Elektrizitaet oder Abfallwesen, moeglicherweise gar Gesundheit
und Bildung sind verhandelbar - Bereiche also, die in der Schweiz bisher in
kantonale und kommunale Verantwortung gehoeren [und beispielsweise in
Oesterreich teilweise schon "liberalisiert" sind; Anm. akin]. «Das Gats folgt
einem teuflischen Mechanismus», sagt Pascal Lugon, der linksalternative
Buergermeister von Romainmotier. Und ein Zurueck gebe es nicht: Wer mitmache,
verpflichte sich, die Maerkte immer weiter zu oeffnen. Dabei seien weder das
Parlament noch die Kantone, noch die Gemeinden in die Verhandlungen einbezogen:
«Das Demokratiedefizit ist enorm.»

Zwar versuchen sowohl der Bundesrat als auch das federfuehrende Bundesamt fuer
Wirtschaft (Seco), die Tragweite der Verhandlungsrunde herabzuspielen: Die
Schweiz werde trotz des Drucks maechtiger Laender nicht ueber oeffentliche
Dienstleistungen verhandeln. Die Gats-Gegnerinnen sind jedoch skeptisch. «Wir
haben kein Vertrauen in die Schweizer Unterhaendler», sagt Lugon. Bastienne
Joerchel, die die Verhandlungen im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der
Hilfswerke verfolgt, gibt ihm Recht. Sie schaetzt zwar, dass sich der Bundesrat
im Moment an seine Linie halten und den Service public nicht oeffnen werde. Die
Schweiz verfolge jedoch eine offensive Liberalisierungsstrategie, und im Rahmen
des Gats wuerde alle fuenf Jahre eine weitere Verhandlungsrunde eingeleitet.
Wenn der Privatisierungsmechanismus erst einmal im Gang sei, koennten weite
Teile des Service public privatisiert und der demokratischen Kontrolle entzogen
werden: «Deshalb brauchen wir heute einen Richtungswechsel!»

Gemeinden im Widerstand

In der Westschweiz breitet sich eine Widerstandsbewegung aus, die «Gats-freien
Zonen». Vorerst sind sie noch an einer Hand abzuzaehlen. Die Staedte Genf und
Delémont gehoeren dazu, auch eine Hand voll kleiner Gemeinden wie Romainmôtier,
L'Abergement, Cuarnens im Kanton Waadt. Letzte Woche gesellte sich Renens zur
Bewegung. «Wir wollen mitreden und den Service public behalten»,» fasst
Anne-Marie Depoisier, Buergermeisterin von Renens zusammen. Die Gats-freien
Gemeinden fordern ein Moratorium der WTO-Verhandlungen, eine oeffentliche
Debatte in den eidgenoessischen Raeten unter Beteiligung von Gemeinden und
sozialen Organisationen. Sie wollen die wirtschaftlichen, sozialen und
oekologischen Folgen abklaeren lassen und fordern eine Neuformulierung des
Verhandlungsmandats.

Was bedeutet es konkret, eine «Gats-freie Zone» zu sein? «Es ist ein Akt der
Gemeindesouveraenitaet», sagt Bastienne Joerchel, «ein klares Warnsignal an die
Eidgenossenschaft.» Pascal Lugon kuendigt an, Romainmôtier werde sich in die
Debatte einmischen, wo immer es gehe. Man werde Druck auf die Kantone und die
Bundesregierung ausueben und sich mit den anderen Gemeinden vernetzen:

«Wir sind ein kleines Sandkorn im Getriebe, aber schon wenig Sand kann genuegen,
um eine Maschine lahm zu legen.» Die Buergermeisterin der traditionellen
Waadtlaender Arbeitergemeinde Renens unterstreicht den symbolischen Charakter
der Erklaerung. Bisher haetten sich zwar nur Gemeinden mit linker Mehrheit
«Gats-frei» erklaert, doch der Widerstand komme nicht nur aus der links-gruenen
Ecke, sagt Depoisier. In Renens sei der Beschluss mit einer grossen Mehrheit
zustande gekommen. «Der Mangel an Information und Transparenz, die Sorge um den
Service public und die kommunale Demokratie bewegen sehr viele Buergerliche.»

Nach dem Beispiel Frankreich, wo sich bereits ueber 600 Gemeinden «Gats-frei»
erklaert haben, will die Organisation Attac auch in der Schweiz eine breite
Kampagne lancieren. «Einen ersten Erfolg koennen wir bereits verbuchen», sagt
Joerchel: «Das Seco hat sich bereit erklaert, Gemeindevertreter zu
Informationsversammlungen einzuladen.» Jetzt hofft sie, dass die Bewegung auch
auf die deutsche Schweiz uebergreift.
(Helen Bruegger, WoZ 5/2005, stark gekuerzt)


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