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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 1. Februar 2005; 19:44
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Wien kommunal/Glosse:
> SPOe in Wien auf linkem Kurs?
Es faellt auf, dass in letzter Zeit die Medien einer sich links gebaerdenden 
SPOe breiten Raum geben. "Neoliberalismus ist der groesste Feind der 
arbeitenden Menschen" so Haeupl; "Soziale Gerechtigkeit" wird eingefordert; 
der Wirtschaftsverband Wien (SPOe) bringt in die soziale Lobpreisung der 
SPOe ihre Wirtschaftskompetenz ein und moechte mit dem "Modell Plus 1" 
allein in Wien ueber 70.000 neue Arbeitsplaetze schaffen; die SPOe-Granden 
Gratz und Zilk verbreiten "Wiener Visionen" und lassen linke Herzen mit 
ihren Sagern hoeher schlagen: "denn in der Gesundheitspolitik kann es keine 
Kosten-Nutzen-Rechnung geben"; entgegen seiner sonstigen Betonierer-Politik 
darf dann auch Verkehrsstadtrat Schicker den "Vorrang fuer den oeffentlichen 
Verkehr" einfordern und schliesslich darf Haeupl am Wien-Landesparteitag der 
SPOe das Gespenst vom "Sturm auf das Rote Wien" durch die schwarz/blaue 
Bundesregierung an die Wand malen. Um das Bild eines zukuenftigen 
rot/gruenen Schlaraffenlandes zu vervollstaendigen darf auch Peter Pilz von 
den Gruenen sich fuer "hoehere Steuern fuer Reiche" mediengerecht zu Wort 
melden.
Und natuerlich darf dann als Widerpart FPOe-Landesparteiobmann von Wien, 
Strache, nicht fehlen, der allen historisch gesicherten Wahrheiten zum 
Trotz, der SPOe eine sozialistische Politik unterschiebt, aber auch nur um 
mit dem als Bonmot gedachten Spruch: "das Gegenteil von sozial sei 
sozialistisch" punkten zu koennen. Das zum historischen Verstaendnis eines 
ewig Gestrigen.
Dieses ganze Theater laesst nur zwei Schluesse zu: entweder wir gehen einem 
goldenen Zeitalter oder einer baldigen Wahl entgegen. Da es das Erstere kaum 
sein wird, muessen wir uns entgegen allen Dementis auf baldige Wahlen in 
Wien einrichten. Natuerlich koennte es auch sein, dass diese rhetorische 
Rueckbesinnung auf das Roten Wien einer aufmuepfigen Basis geschuldet ist, 
aber dazu sitzt die SPOe in Wien zu fest im Sattel. Eher laesst man den 
jungen "BasiswapplerInnen" und den unverbesserlichen Altlinken eine kleine 
linke Spielwiese, die werden Realpolitik schon noch lernen. Das kostet zwar 
einiges, aber es dient der Machtabsicherung.
Ich will mir jetzt ersparen, die so hehren Zukunftsvisionen an der Wiener 
Realitaet zu messen. Es ist sattsam bekannt, wer in Wien unter 
Event-Getoese, mit stadtweiten und damit kostspieligen Hochglanzbroschueren 
und mit sozialrhetorischen Phrasen von der tatsaechlich stattfindenden 
Zerschlagung gemeinwirtschaftlicher Strukturen ablenkt und wer ueber 
Ausgliederungen, Privatisierungen, Verkauf von oeffentlichen Eigentum den 
neoliberalen Umbau vorantreibt.
Im Gegensatz zu dieser bitteren Realitaet moechte ich trotzdem den Versuch 
unternehmen, obige Aussagen unter dem Aspekt zu behandeln: was waere wenn... 
Angenommen wir haetten in Haeupl und Co tatsaechlich Leute, die, 
aufgeschreckt von der brutalen neoliberalen Wirklichkeit, das, was sie z.B. 
in Richtung Erneuerung des Roten Wien sagen, entgegen allen bisherigen 
Erfahrungen ernst meinen. Nehmen wir das einfach einmal an.
Dann muessten wir sicherlich zuerst einmal das gesellschaft- und 
wirtschaftspolitische Umfeld naeher betrachten. Der Verfassungsrechtler Theo 
Oehlinger schreibt in einem Beitrag fuer das Juridikum 2/2004 unter dem 
Titel: "Parlamente als Erfuellungsgehilfen der EU" abschliessend: "Fazit: 
Die nationalen und auch die regionalen Parlamente zaehlen zu den Verlierern 
der europaeischen Integration. Sie werden zu Erfuellungsgehilfen der EU 
degradiert. Darin liegt ein ganz massives Demokratieproblem." Wir koennten 
sicherlich beruecksichtigen, dass auf Grund der geopolitischen Struktur 
Oesterreichs Wien als der unangefochtene politische und wirtschaftliche 
Machtfaktor gilt und beim schlechtesten Willen ein daran Vorbeiregieren 
faktisch unmoeglich ist. Weiters muessten wir die Realitaet zur Kenntnis 
nehmen, dass die gegenwaertige Bundesregierung nicht nur als 
Erfuellungsgehilfe gegenueber Bruessel agiert, sondern vorauseilend -- quasi 
als besserer Sachwalter -- zu punkten versucht. Und dann muessten wir 
beruecksichtigen, dass das zum Finanzkapital (Banken, Versicherungen, Fonds) 
verschmolzene europaeische industrielle Monopolkapital mit allen Mitteln die 
Politik der finanziellen Austrocknung der Kommunen, Staedte und Laender 
betreibt. Unter dem Schlachtruf "Standortwettbewerb!" werden immer weniger 
Gewinnsteuern abgefuehrt und gleichzeitig bedient man sich immer 
grosszuegiger aus dem Steuertopf der ArbeitnehmerInnen. Auf diese Weise sind 
die Kommunen gezwungen, fuer alle notwendigen sozialen und 
infrastrukturellen Vorhaben Kapital am privaten Kapitalmarkt aufzunehmen.
Und natuerlich soll auch gar nicht geleugnet werden, dass Schuessel und Co 
im machtpolitischen Kalkuel Druck auf Wien ausueben, aber nicht auf das 
angebliche sozialistische Rote Wien, sondern auf einen Konkurrenten um die 
Macht. Die jeweiligen Schuldzuweisungen sind ja bereits kabarettreif.
Beruecksichtigt man diese erdrueckenden von der bisherigen Politik einfach 
zugelassenen Rahmenbedingungen und stellt sie einer Politik gegenueber, die 
sozialpolitisch verantwortlich agieren will, dann ist das Ausmisten des 
Augiasstalls durch Herakles ein Kinderspiel. Es stellt sich zwangslaeufig 
die Frage, ob unter solchen Bedingungen eine eigenstaendige Politik 
ueberhaupt moeglich ist und wenn ja, wer dann der Traeger einer solchen sein 
koennte. Der Widerspruch zwischen den mit jedem Zugestaendnis anwachsenden 
Begierden der Besitzenden und den Aufgaben einer nicht nur verbalen 
Sozialpolitik kann durchaus als ein antagonistischer betrachten werden. Eine 
sich von diesen Begierden emanzipierende Politik muesste beispielsweise 
kategorisch klarstellen, dass es die gemeinwirtschaftlichen 
Versorgungspflichten der Stadt gegenueber der Bevoelkerung ausser Diskussion 
steht. Erziehung, Gesundheit, Wohnen, Nahversorgung, Wasser, oekologisches 
Wirtschaften, engagierte Frauenpolitik etc. stuenden ausser Streit, mehr 
noch, sie haetten bei allem wirtschaftlichen Handeln Prioritaet, erst dann 
liesse sich ueber alles andere reden. Damit wuerde sich die Stadtregierung 
in einen nahezu unloesbaren Widerspruch zu den Profitinteressen der 
Herrschenden stellen und braeuchte in ihrem Widerstand starke 
BuendnispartnerInnen. Die andere Alternative aber ist der bisherige Weg: So 
weiter wursteln und herumtricksen wie bisher, aber das fuehrt ueber kurz 
oder lang zum voelligen Zusammenbruch politischer Entscheidungsfaehigkeit.
Alle Erfahrungen der letzten 10-20 Jahre zeigen sehr deutlich, dass auf der 
Ebene der europaeischen politischen und wirtschaftlichen Eliten nicht nur 
kleinstrukturierte Gesellschaften unter die Raeder kommen. Die Wiener 
Politik vermittelt dem gegenueber den Eindruck, mit vermeintlicher 
Bauernschlaeue und diversen finanztechnischen Tricks den Teufel neoliberale 
Globaliserung durch den Beelzebub Privatisierung unter Kontrolle halten zu 
koennen. Oder um es mit den Worten des Wiener Buergermeisters zu sagen: 
"Wenn die Marktwirtschaft nicht in der Lage ist, die Grundbeduerfnisse der 
Menschen zu bedienen, dann muessen wir es eben machen" (an das rosarote 
Parteivolk) aber: "ansonsten seien alle Massnahmen zu vermeiden, die einer 
Investitions- und Kapitalflucht Vorschub leisten koennten" (an die 
Wirtschaftsmaechtigen). Diese Politik des Herumlavierens ist auf Grund der 
objektiven Entwicklung ueber kurz oder lang zum sicheren Scheitern 
verurteilt. Spaetestens dann, wenn die derzeitigen Akteure, die noch immer 
auf das Funktionieren der Sozialpartnerschaft setzen, durch entsprechenden 
Druck von aussen abtreten muessen. Auf dieser Ebene der Entwicklung sind 
alle Personen so lange austauschbar, bis die skrupellosesten Selbstbediener 
und Vasallen das Ruder in die Hand gedrueckt bekommen.
Bliebe also nur mehr das Volk. Wie waere es also, diese Eliten-Ebenen zu 
verlassen und sich diesem Buendnispartner zuzuwenden, wohl wissend, dass man 
es durch jahrzehntelange parternalistische Sozialpartnerschaftspolitik und 
Betrug zur Unmuendigkeit erzogen hat.
Die Stadtregierung muesste also ohne Tricks und langes Herumreden vor die 
Bevoelkerung treten, sich bei ihr ueber die bisherigen Fehler des 
Heranschmiessens an die herrschende Klasse entschuldigen, die 
Ausgangsbedingungen zukuenftiger Stadtpolitik im Zeitalter der 
Globalisierung klarmachen, und dieses Volk um Unterstuetzung bitten und 
gleichzeitig klarmachen, dass es keine Garantie auf Erfolg gibt. Dessen 
ungeachtet: der antagonistische Widerspruch: hier Kapitalinteressen -- dort 
Versorgungspflichten kann nur in einer gemeinsamen Front mit der 
Bevoelkerung aufgeloest werden. Anders geht es nicht! So ein Zeichen des 
Widerstandes waere ein europweites Signal und koennte dann tatsaechlich als 
das Wiedererstehen des legendaeren Roten Wiens angesehen werden.
Will die SPOe in Wien diesen Weg gehen? Alle historischen Erfahrungen 
sprechen dagegen. Denn was an der ganzen derzeitigen linksrethorischen 
Propaganda alarmierend ist, ist das Faktum, dass die SPOe in Wien in den 
naechsten 5-10 Jahren ueberhaupt keine Probleme mit ihrem Machterhalt haben 
wird. Das bedeutet aber, dass der jetzige ziemlich laute Propagandafeldzug 
auf etwas anderes abzielt. Immer dann, wenn die SPOe in Wien besonders laut 
wurde und mit sozialen Phrasen nur so um sich schmiss, dann hat sich fuer 
die Bevoelkerung einiges mehr zum Schlechten gewendet. Will die 
SPOe-Fuehrung mit ihrem Versuchslabor Wien wieder einmal mehr den Beweis 
antreten, dass sie der bessere Sachwalter neoliberaler Umwaelzungen ist? 
Oder sollte es tatsaechlich noch Sozialdemokraten geben, die sich dieser als 
unumkehrbar gerierenden Entwicklung entgegenstellen wollen? Schoen waers ja, 
sie haetten meine volle Unterstuetzung.
*Josef Iraschko*
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