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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Dezember 2004; 02:47
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Ghana:
> Wie im Bilderbuch
Brief aus Westafrika
Der Autor Valentin W. arbeitet derzeit als Arzt in Ghana in einem kleinen 
Spital. Vorher gab es dort einen Arzt, jetzt immerhin schon drei - Valentin, 
seine Frau und den von frueher. Der Bericht ist etwa einen Monat alt.
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In Ghana wird demnaechst ein neuer staatpraesident und ein neues parlament 
gewaehlt. Das kommt sehr wahrscheinlich nicht in die orf-meldungen, weil das 
kleine land im schwarzen afrika liegt, aber keine spektakulaeren 
schlagzeilen mit ein paar hunderttausend toten bietet. Na, und deshalb will 
ich euch das berichten, was ich hier mitkriege.
Und das ist, weil aus meiner spitals-ameisenperspektive gesehen, wenig.
Ghana ist seit vielen jahren ueberaus friedlich, das war aber nicht immer 
so. Dieser landstrich hat frueher die sklavenkueste, goldkueste, 
elfenbeinkueste geheissen. 60-70 millionen sklaven wurden aus dem hinterland 
zusammengetrieben und in den burgen der englaender, belgier, daenen, 
preussen, hollaender, franzosen, italiener, portugiesen, schweden, spanier, 
amerikaner (ich hoffe, dass ich niemanden vergessen habe), fuer den versand 
vorbereitet. Die sklavenburgen an der kueste kann man heute noch 
besichtigen. Von den zusammengetriebenen sind etwa 12 millionen lebend in 
der neuen welt angekommen. Ein paar sind auch in europa in besten haeusern 
"ausgestellt" worden. Ja und das hinterland hatte (hat noch immer) reiche 
goldvorkommen und elefanten..
Irgendwann so um 1800 war dann das sklavengeschaeft nicht mehr so rentabel 
und die engl. handelscompanien machten sich breit und nahmen das land 
schliesslich als kronkolonie in besitz. Von den vielen voelkern in diesem 
raum waren die einzigen, die noch aufbegehrten, das volk der aschanti, aber 
irgendwann waren auch die "befriedet". und die englaender gingen daran, 
ueber die koepfe der bewohner hinweg die kolonie neu zu gestalten: ueber die 
regierenden haeuptlinge und koenige samt hofstaat stuelpten sie eine 
demokratie britischen zuschnittes. Diese demokratie wird an der oberflaeche 
und in den grossen strukturen auch gelebt und eingehalten. Aber die 
regierenden monarchen gibts noch immer und ohne den segen dieser haeuplinge 
geht im lokalen rahmen gar nichts. Und der lokale rahmen ist gross!!
1957 war ghana als erster staat afrikas gaenzlich frei, blieb aber im 
commonwealth. Der damalige praesident KWAME NKRUMAH (ist vielleicht einigen 
grauhaarigen unter uns noch ein begriff) wollte ghana mit einem schlag in 
die neue welt fuehren. Aus der kronkolonie "goldkueste" wurde ghana in 
anspielung auf das alte riesengrosse "gana"-reich (im 10. jht am oberlauf 
des niger und volta gelegen). Viele der beruehmten praesidenten afrikas 
haben direkt in ghana bei nkrumah ihr handwerk gelernt. nkrumah wollte in 
kurzer zeit zuviel: voltastaudamm (der volta bildet bis heute den groessten 
stausee der welt), riesige hafenanlagen an einer durchgehend flachen 
sandkueste, schulpflicht, kostenloses studium, verkehrswege aus dem boden 
stampfen, staatliche krankenhaeuser,... und dabei die westliche welt 
ausschliessen. 1966 putschten die militaers in abwesenheit gegen ihn. Und er 
musste im ausland bleiben. Er schrieb viele buecher und starb 1972 in 
bukarest an krebs.
Es folgte ein rascher wechsel von korrupten putschisten und unfaehigen 
zivilisten in bunter folge. Irgendwann putschte auch ein kleiner leutnant 
namens j.j. rawlings. Er liess alle seiner meinung nach korrupten militaers 
und politiker toeten und gab nach 3 monaten die regierung zurueck in zivile 
haende. Nachdem diese auch nichts zusammenbrachten putschte j.j. 2 jahre 
spaeter wieder und nahm die regierungsgeschaefte an sich. Und siehe da: das 
land erholte sich wieder. Er liess eine neue verfassung entwerfen, gruendete 
eine partei, trat als diktator zurueck und liess sich als ziviler praesident 
aufstellen. Und gewann die (angeblich?) demokratische wahl.
Na klar, werden jetzt alle sagen, sonst haett er wieder geputscht. Das land 
blieb weiter auf der ueberholspur und demokratisch. j.j. stellte sich nach 4 
jahren erneut der wahl und wurde entgegen der meinung der auguren 
ueberwaeltigend wiedergewaehlt. Nach diesen weiteren 4 regierungsjahren trat 
er wie in der verfassung vorgesehen nach 2 amtsperioden zurueck. Der 
nachfolger in seiner zentrumspartei wurde 2001 nicht wiedergewaehlt. Jetzt 
kam die opposition zum zug Der als mitte-rechts politiker eingestufte 
Agyecum Kufuor gewann 2001 knapp.
Er foerdert das private eigentum, hat das schulgeld fur die pflichtschule 
empfindlich erhoeht, die benzinpreise kletterten auf das dreifache. Da nur 
wenige reichere ghanesen privatautos besitzen, und praktisch der ganze 
verkehr ueber taxi und trotro abgewickelt wird, kommt das geld ueber die 
kleinen benutzer dieser fahrzeuge herein... Da keine meldepflicht herrscht, 
schicken arme eltern ihre kinder jetzt nicht mehr in die schule, wird uns 
berichtet.
Im prinzip hatten die meisten voelker hier ein matriachat (ist immer 
friedfertiger als ein patriachat). Aber matriachate sind der briten sache 
nicht und so bekamen maenner mehr rechte per gesetz zugesprochen. Heute 
existiert ein mischmasch aus einer auf vollstaendig matriachaler basis 
aufgebauten lebensweise und einem aufgepfropften patriachat.
Die frauen behalten in vielen faellen ihre eigenen namen, leben tagsueber 
bei ihrer familie, bringen den angeheirateten gatten das essen rueber. Und 
kommen am abend in des gatten haus, um ihn zu erkennen. Auf diese art und 
weise sind sie dauernd schwanger und gaeste unsers spitals. Und wir haben 
die probleme mit den verschiedenen namen, weil es in dieser christlichen 
umgebung wichtig ist, in die papiere eizutragen, ob die schwangeren auch 
verheiratet sind.
Im fernsehen laufen die verschiedensten arten von hiv/aids-spots, die alle 
die eheliche/dauerpartnerschaftliche beziehung foerdern, besingen, 
diskutieren, aber die partnerwechsel verdammen. Aber praeservative, 
sicherheitgurten und teufel gehoeren hier zur selben klasse von uebeln.
Die maenner sind besser bezahlt wenn sie als beamte oder lehrer arbeiten. 
Das war unter den englaendern so und ist noch immer so. Frauen arbeiten aber 
immer und verdienen sich ihr eigenes geld. Hausfrau sein ist hier eher 
unehrenhaft, dafuer gibts in ghana sogar ein eigenes "schimpfwort". Gut 80% 
der frauen sind in verschiedensten berufen beschaeftigt. In den ebenen, in 
die die englaender nicht eingegriffen haben, steht ihnen alles offen. Da 
gibts keine frauenspezifischen berufe. Aus unserer sicht sind sie oft im 
handels-business involviert. Aber damit kannst in ghana ganz schoen reich 
werden. Erblinien sind muetterlich definiert.
Im G-TV laeuft jeden abend eine eigene frauensendung in igendeiner der 
vielen stammessprachen (niemals in englisch!) zu einem frauenthema wie 
brustkrebs, menstruation und sonstigen themen, die wir nicht verstehen. 
beschneidungen sind in ghana ungebraeuchlich.
Religion ist hier (k)ein echtes thema: jeder hat hier seine eigene kirche. 
Es existieren friedlich nebeneinander hunderte verschiedenste sekten, heils- 
und glaubenslehren, ahnenkulte und privatheilige, aber religion ist als 
privatsache jedes einzelnen respektiert. Auch in unserem katholischen spital 
wimmelt es nur so von verschiedenen glaubensrichtungen. Katholizismus ist 
kein anstellungserfordernis.
In unserem dorf gibt es etliche ein-zimmer-kirchen mit obskuren namen. Es 
ist noch heute deutlich an der schwerpunktsmaessigen verteilung der 
hauptreligionen zu sehen, welche kolonialmacht welche religion mitgebracht 
hat. Die kueste wird von methodisten und presbyterianern, der osten von den 
katholischen und der norden vom islam und naturreligionen besegnet. Samstag 
zum begraebnis, sonntag vormittag zur messe, nachmittag zum ahnenschrein, 
und nach einbruch der dunkelheit mit den islamischen verwandten voellern. So 
schaut da das wochenende aus...
Die statistik sagt: 18% katholische, 22% protestantenartig, 10% islam, 35% 
bodenstaendiger glaube, und viele sonstige sekten aller richtungen.
Ghana spricht in etwa 70 verschiedenen sprachen. Englisch ist die 
amtssprache und wird in der pflichtschule ab 6 jahre gelehrt. In der 
realitaet unseres spitals verstehen viele patienten ein 
kleines-mini-bisschen englisch, und selbst die, die englisch fliessend 
sprechen, betonen das englisch im tonfall ihrer stammessprache und das ist 
unglaublich unverstaendlich... Inclusive der nachrichtensprecher (und aller 
minister). Da aber das G-TV taeglich auch abwechselnd in den 6 hauptsprachen 
sendet, sind die nicht englischsprechenden auch mit ezzes versorgt.
Jeden tag wird im fernsehen einerseits das anderssein vorgefuehrt und 
andererseits das zusammengehoerigkeitsgefuehl in wort, bild und song 
gefoerdert.
Die kleinen huetten am land haben meist kein fernsehen. Fernsehen ist hier 
so wie in den 60ern bei uns. Irgend ein verwandter oder freund hat so ein 
kastl. Na und da gehst halt schaun und ein schwaetzchen halten. Der waescher 
benutzt unsern fernseher. Die schwestern treffen sich in ihrer dienstfreien 
zeit zum abendfernsehen auf den stationen.
Das laendliche ghana rund um unser buschspital darf man sich etwa so 
vorstellen wie die alten kinderbuecher mit den zehn kleinen negerlein. Runde 
oder ovale, braune lehmhuetten mit spitzen strohdaechern. Ein eingang mit 
bastmatten oder einem fetzen verhaengt. Rechts und links ebenso verhaengte 
quadratische fenster. Sandboden peinlich saubergefegt. Rundherum geflochtene 
zaeune aus palmwedeln. Ueberall hendeln, zwergziegen und enten. 
Alltagsgewand: alte zerschlissene kleidungsstuecke. Sonntagsgewand: hose und 
hemd/kleid und riesiger tuchueberwurf in gleichem ghana-design, blitzsauber, 
gebuegelt (schaut immer aus wie gerade gekauft). Zwischen den huetten 
spriessen schon die haeuser aus betonziegeln mit wellblechdach.
Die angestellten in unserem spital sind meist noch nebenerwerbs-bauern, 
leben zum teil von ihren feldern. Werden mit 60 pensioniert. Erhalten eine 
staatliche pension, wenn sie in die pensionskasse eingezahlt haben. Die, die 
sichs leisten koennen, sind noch extra privat versichert.
Wer im spital arbeitet, hat alle leistungen des spitals gratis. Alle anderen 
patienten zahlen fuer jeden aufenthalt, jeden handgriff, jedes medikament. 
Wir muessen immer vorher einschaetzen, ob sich die patienten die von uns 
ausgewaehlte behandlung ueberhaupt leisten koennen. Viele patienten koennen 
wir nicht aufnehmen, weil sie keine verwandten haben, die die versorgung 
(essen zubereiten, waschen, fuettern..) uebernehmen. Krankenschwestern 
sorgen sich nur um medikamente und verbaende. Ein staatliches 
sozialversicherungssystem ist gerade im aufbau.
Ghana exportiert meist unverarbeitete roherzeugnisse aus monokulturen: 
erdnuesse, cacao, edelholz, zuckerrohr, kaffee, gold, mangan, kaum erdoel 
(da muss man fast "gottseidank" sagen). Bauxit wird auf grund des riesigen 
stromangebotes aus dem voltastaudamm zu alu-erzeugnissen verarbeitet und 
uber die grossen haefen verschifft. Strom wird in die nachbarstaaten togo 
und benin exportiert. Fussballer nach europa.
Das alles bringt natuerlich nicht wirklich viel in die staatskassen. Ueber 
50% der leute arbeiten in der landwirtschaft. Die grossen konzerne (telecom) 
werden von weissen dominiert oder besessen. Nestle und maggi ist 
allgegenwaertig.
Tourismus ist fast unbekannt. Wenn wir in der gegend herumreisen, dann sind 
wir als weisse diiiieee sensation. "yavu, yavu" rufen sie uns nach. Ist kein 
schimpfwort. Heisst einfach europaeer.
Nachtrag:
Am 7. Dez, wurde gewaehlt. Alle, die sich rechtzeitig zur wahl gemeldet 
hatten, waren wahlberechtigt. Von 15 millionen einwohnern haben sich rund 9 
millionen fuer die wahl registrieren lassen. Die wahlen verliefen total 
ruhig, von ein paar besoffenen staenkerern abgesehen. Die regierung war um 
korrekheit bemueht. Die opposition hat kritisiert, hat die wahlzaehlung 
angefochten. Kennen wir alles. Auch bei uns ist nicht alles im bus(c)h. Die 
wahlen scheinen erfolgreich geschlagen, der alte praesident Kufuor ist auch 
der neue mit absoluter mehrheit. ###
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