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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Dezember 2004; 19:40
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Italien:
> Massive Blockaden in Kalabrien
Kampf der Verkarstung heisst Kampf gegen Berlusconi
(Verfasst am: 10.12.2004)
Kalabrien wurde am 9.12. von mehreren Tausend Arbeitern gaenzlich vom Rest 
des Landes abgeschnitten. 52 Zuege wurden gestrichen, umgeleitet oder auf 
Teilstrecken begrenzt, saemtliche privaten und oeffentlichen Faehren von und 
nach Sizilien wurden blockiert, das Gleiche geschah mit den wichtigsten 
Verkehrsadern. Der Bahnhof und der Flughafen von Lamezia Terme wurden 
ebenfalls blockiert.
Ein Wagen hat eine Blockade durchbrochen und dabei zwei Blockierer und einen 
Polizisten verletzt. Alle drei wurden nur leicht verletzt, wobei einer der 
Blockierer immerhin so angefahren wurde, dass er auf die Motorhaube landete. 
Der Fahrer des Autos wurde nach 20 km verhaftet. In Lamezia Terme setzten 
wiederum Fluggaeste auf direkte Konfrontation, vierzig von ihnen ueberwanden 
so die Blockade, aber die wenigsten schafften es, den letzten Flug nach Rom 
zu kriegen.
Fast alle 11.000 Waldarbeiter Kalabriens waren am fruehen Morgen zum Protest 
aufgebrochen. Der Grund liegt in der Streichung des Etats fuer die 
Aufforstung, Bewaesserung und Landschaftspflege in Kalabrien, einer von 
vielen gravierenden Schnitten - denn es geht hier nicht um Kuerzung, sondern 
um Totalbeschneidung - die landesweit fuer Millionen drastische 
existentielle Not versprechen. Zahlreiche lokale Politiker, Buergermeister 
und Abgeordnete unterstuetzen den Protest. Fuer die 11.000 Arbeiter gibt es 
keinerlei Perspektiven, anderweitig beruflich unterzukommen, die grosse 
Mehrheit ernaehrt als Alleinverdiener mehrkoepfige Familien, 4 oder 5 Kinder 
sind keine Seltenheit. Darueber hinaus ist mit gravierenden oekologischen 
Folgen zu rechnen. Die extrem trockene Landschaft wuerde ohne den Einsatz 
der Waldarbeiter noch weit mehr Flaechenbraenden anheimfallen, als es 
bereits der Fall ist und auch die Gefahr, dass es bei Unwettern vermehrt zu 
gefaehrlichen Erdrutschen kommt, wuerde drastisch ansteigen.
Die Arbeiter halten die Blockaden immer noch, trotz stroemenden Regens, 
waehrend sie auf die Antwort aus Rom warten, wo der Protest offenbar wie 
eine Bombe gewirkt hat, wegen seiner Wucht und seiner Geschlossenheit. Die 
drei grossen institutionellen Gewerkschaften haben dazu aufgerufen und 
scheinen nicht im geringsten vor zu haben, die Arbeiter beschwichtigend zu 
lenken. Es war der regionale Generalsekretaer der konservativen CISL, der 
heute den Reportern mitteilte, dass er nicht ausschliesst, dass alle 11.000 
sich nach Rom aufmachen koennten, wenn Rom nicht wie gefordert reagiert. 
Eine solche Aktion koennte Risiken fuer die Arbeiter bergen, denn daheim 
bestimmen sie die Kampfform und die Bedingungen. In Rom koennten die 
Funktionaere versuchen, das Ruder an sich zu reissen und zur altbekannten 
Praxis der Kompromisse auf dem Verhandlungsweg an der Basis vorbei 
zurueckkehren, aber augenblicklich ist selbst der Ton des Regionalsekretaers 
der CISL Luigi Sbarra ungewohnt scharf.
Es scheint wirklich Einheit zu herrschen und Entschlossenheit. So etwas 
jedenfalls hatte es noch nicht gegeben. Dass CGIL, CISL und UIL ohne die 
geringste Relativierung oder Beschwichtigung eine derart starke Aktion 
unverbluemt mittragen, das hat schon Gewicht und ganz neuen Charakter. Die 
ersten Reaktionen in Rom bestaetigen das. Der gesamte Regierungsapparat 
wurde foermlich aufgescheucht und genauso geht es der linksliberalen 
Opposition. Schon nach wenigen Stunden begannen Politiker aller Couleur laut 
zu schreien, es muesse etwas geschehen. Minister, die zuvor die Reform 
abgesegnet haben, wie Gasparri und Alemanno, ueberschlagen sich darin, 
Versprechungen abzugeben und den Arbeitern zuzugestehen, dass ihr Protest 
berechtigt ist, die institutionelle Linke ueberschlaegt sich darin, 
Solidaritaetsbekundungen und Schimpftiraden auf die Regierung zu dreschen - 
und zu verkuenden, man habe die Arbeiter nicht im Stich gelassen, was die 
Arbeiter allerdings anders sehen.
Die Arbeiter wollen, dass die Streichung von 160 Millionen Euro 
zurueckgenommen wird. Laut Berichterstatter der Unitá ist es so, dass die 
Blockierten mit den Blockierern notgedrungen auf der nassen Autobahn gerade 
zusammenleben, "ohne Zwischenfaelle, aber ohne sich zu lieben". Ohne einen 
Hehl aus der Verstimmung zu machen, bringen Blockierte immerhin Verstaendnis 
zum Ausdruck - und aergern sich weiter. Die Staerke der Blockade ist aber 
die einzige Karte, die die Blockierer spielen koennen, um etwas zu 
erreichen.
Der Sueden Italiens wird offenbar immer kaempferischer. Die Verlierer 
rebellieren und lassen sich nicht klein kriegen. Ihre hartnaeckigen, oft 
verzweifelten Kaempfe haben bisher nur vereinzelt Erfolg gehabt (etwa 
Scanzano, wo die Atommuelldeponie verhindert wurde), denn so mancher hat 
trotz allem den Job verloren oder sonst eine schwere Zumutung hinnehmen 
muessen - was teilweise ganze Bezirke oder Bevoelkerungsgruppen betroffen 
hat. Die Polizeiknueppel gegen die Arbeiter in Melfi und die gewaltsame 
Raeumung von Blockaden gegen Muellverbrennungsdeponien haben den Menschen 
aber ebenso wenig den Mut genommen, wie die Entlassungen und 
Werkschliessungen. Gruppen, die zuvor nicht viel miteinander zu tun hatten, 
haben sich dabei auf ganz neue Weise kennen gelernt - und von einander 
gelernt. Beispielsweise in Sachen Solidaritaet, Selbstorganisation und... 
Blockade.
Der Konflikt zwischen oben und unten verschaerft sich und die Verlierer 
kommen sich offenbar langsam aber sicher auf ganz neue Weise nah. Manchmal 
gewinnen sie auch. Wie bei einem von Hunderten lokalen Kaempfen ueberall in 
ganz Italien. 67 Bauarbeiter, die in Neapel ein Jahr lang gegen ihre 
Entlassung gekaempft hatten, konnten am 6.Dezember endlich mit einer 
Beschaeftigungsgarantie ihren Kampf beenden. Den fuehrten sie mit 
Unterstuetzung der Studenten aus dem Viertel und mit der Entschlossenheit, 
die in Italien nicht neu ist, aber neu gelernt wird. Ewig blieben sie vor 
den Toren der Firma, nachts uebernachteten sie bei Wind und Wetter in einem 
Zelt vor Ort und erlebten die Zeit auch als eine Zeit des Austauschs mit 
anderen Gruppen, die soziale Proteste fuehren. Vor kurzem enterten sie dann 
das Betriebsgelaende und verjagten den Wachdienst. Zwei hatten 
Benzinkanister und drohten sich anzuzuenden. Die Studenten unterstuetzten 
sie draussen vor den Toren und machten Oeffentlichkeit, mit Flugblaettern 
und per Indymedia. Ein Verhandlungsgespraech konnte endlich durchgesetzt 
werden. Als sie die Beschaeftigungsgarantie erhielten, wuerdigten sie das 
Miteinander mit den Studenten und dankten sie und ausdruecklich auch 
Indymedia dafuer, dass ihre Sache auf der Website an die Oeffentlichkeit 
getragen werden konnte. Bei zahlreichen Protesten gegen 
Muellverbrennungsdeponien, an denen ganze Doerfer und Kleinstaedte 
teilnahmen ereigneten sich aehnliche Geschichten von ganz neuem Miteinander, 
bis hin zur en bloc-Verhaftung von Buergermeister, Autonomen und ganz 
normalen Menschen, die einfach nur noch genug haben, von dem ganzen Terror 
gegen die, die nichts haben.
(indymedia)
Quelle:
http://at.indymedia.org/newswire/display/47926/index.php
Weitere Infos auf italienisch und Photos:
http://italy.indymedia.org/news/2004/12/691554.php
http://italy.indymedia.org/news/2004/12/691517.php
http://italy.indymedia.org/news/2004/12/691574.php
http://italy.indymedia.org/news/2004/12/688447_comment.php#688585
http://italy.indymedia.org/uploads/2004/12/berlusca_mussolini.jpg
http://www.adnkronos.com/Politica/2004/Settimana50da06-12a12-12/berlusconi2_091204.html
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