**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. November 2004; 20:30
**********************************************************

Glosse:

> Wir Eigenverantworteten

Ausufernde Assoziationen nach der Lektuere zweier Zeitungsmeldungen


Fuer das autofahrende Volk sollen Verfehlungen teurer werden -- die
Verwaltungsstrafen fuer freisprechloses Handyphonieren und fuer
Gurtenlosigkeit wurden erhoeht. Interessanterweise soll Nichtangurten 35
Euro kosten, waehrend rechtswidriges Telefonieren mit 25 Euro guenstiger zu
uebertreten ist.

Wieso eigentlich?

Wieso soll jemand, der sich selbst gefaehrdet, mehr bezahlen als jemand, der
auch andere gefaehrdet. Warum soll jemand ueberhaupt bestraft werden, der
niemand anderen als sich selbst gefaehrdet? Was geht das die Gesellschaft
an? Als naechstes kommt man noch auf die Idee, einen erfolglosen
Selbstmoerder nachtraeglich wegen Mordversuchs anzuzeigen.

Wieso glaubt dieser Staat eigentlich immer, er muss uns vor uns selber
schuetzen, in dem er uns abstraft -- wie ist das mit der vielgeruehmten
Eigenverantwortung? Glaubt der Staat, dass wir uns selbst nicht schaedigen
duerfen, er uns aber zum Zwecke der Verhinderung der Selbstschaedigung sehr
wohl schaedigen darf?

Da reden sie von den Rechten des Individuums und dann stellt man fest: Wir
gehoeren uns gar nicht und duerfen mit unserem Leben eben nicht machen, was
wir wollen. Eigenverantwortung heisst nur, dass wir immer weniger vom Staat
erwarten duerfen. Bei den Rechten an uns selbst schaut es damit nicht so gut
aus.

Und ich glaube nicht, dass ich hier uebertreibe. Zugegeben, das Beispiel
Gurtepflicht klingt ein wenig laecherlich fuer so hochfliegende Gedanken --
es geht mir hier aber nicht um das Bestrafen von Nicht-Angurten, es geht
darum, dass gesellschaftliche Modelle oft in den Kleinigkeiten viel
deutlicher zu Tage treten als in den grossen philosophischen, politischen
und rechtlichen Fragen. Denn dieses Modell, dass wir Eigentum der Obrigkeit
sind, findet man bei genauem Hinschauen haeufiger. Und besonders schoen
sieht man das beim Thema Drogenmissbrauch. Einen Altvorderen, der seinem
Kind erklaert, dass er es eben schlagen muesse, wenn er es beim Kiffen
erwischt ("Glaub mir, mir tut jeder Schlag mehr weh als dir!"), koennen wir
heutzutage keineswegs mehr als einen guten Vater ansehen. Nur bei Vater
Staat ist alles anders: Menschen, die Drogen konsumieren, werden nach wie
vor kriminalisiert und schikaniert.


Zurueck zum Vergleich zwischen Handy- und Gurten-Strafen und zurueck zur
Eingangsfrage: Warum dieses Unverhaeltnis? Vielleicht, weil es gar kein
Unverhaeltnis ist, die Strafen sind recht passend zum Verhaeltnis der
gesellschaftlichen Akzeptanz: Delikte, die gesellschaftlich eher akzeptiert
sind, werden hoeher bestraft. Denn eben deswegen, weil ein Gurtenmuffel sich
nur selbst gefaehrdet, kann der soziale Druck als geringer angenommen werden
und daher will der Staat diesen Druck staerker erhoehen als fuer illegale
Handynutzer. Logisch.

Nur wo bleibt da die Demokratie? Wenn etwas staerker gesellschaftlich
akzeptiert ist, muss es doch viel eher erlaubt sein als etwas, an dem viel
Kritik geuebt wird. Und wenn es eher erlaubt ist, muss es doch auch
geringere Strafen dafuer geben -- wenn ueberhaupt.


Noch einmal ein Sprung zurueck. Zum Gift naemlich. Joerg Haider uebt sich
wieder mal im Drogenkrieg. Da schlaegt der Landeshauptmann und auch
Schulreferent von Kaernten doch allen Ernstes vor, Videoueberwachungen nicht
nur vor der Schule, sondern auch in der Schule einzufuehren. Er sagt aber
nicht dazu, wo er diese Videokameras anbringen moechte. Wohlweislich, denn
in den Klassenraeumen kann man das Video vielleicht verwenden, um Schummler
zu ueberfuehren, aber sicher nicht, um Drogenmissbrauch zu beobachten.

Das heisst, man will die Schueler in der wenigen Zeit, wo sie ein bisschen
Freiraum geniessen, in den Pausen, auch noch der totalen Kontrolle
unterwerfen. Besonders spannend wird es aber, wenn man den Gedanken zu Ende
denkt -- Denn die Gaenge sind fuer den Konsum verbotener Substanzen sicher
nicht geeignet. Von den Schulhoefen wird man sie mit Video bald vertrieben
haben. Traditionell erledigt man so etwas aber immer schon -- von der ersten
Zigarette bis zur Heroinnadel -- auf dem Klo. Will Haider da wirklich
Kameras anbringen lassen? Sollen unsere armen, kleinen, gefaehrdeten Kinder
oder zumeist eher Jugendlichen beim Pinkeln und beim Scheissen gefilmt
werden, um sie vor den boesen, boesen Drogen zu bewahren? Weil man ja nur
ihr Bestes will? Und erwartet man dann allen Ernstes von ihnen, dass aus
ihnen aufrechte Mitmenschen werden? Solche, die fuer ihr Leben
Eigenverantwortung tragen? Solche, die Selbstvertrauen besitzen, obwohl man
ihnen nichtmal vertraut hat, wenn sie aufs Klo gegangen sind?

Selbst wenn es nicht soweit kommt, alleine der Gedanke der totalen Kontrolle
ist erschreckend. So verbiegt man Menschen. Und wenn sich diese verbogenen
Menschen dann auch dementsprechend verhalten, quasseln unsere Obrigkeiten
wieder davon, dass schliesslich und endlich diese Menschen schon fuer sich
selbstverantwortlich sein muessen, denn: Jeder ist seines Glueckes Schmied.

Eigenverantwortlich? Ja, natuerlich sind wir eigenverantwortlich. Fragt sich
nur: Wem?
*Bernhard Redl*


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der Verantwortung der
VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts
ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
Der akin-pd wird nur als Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den
Verteiler geraten ist, kann den akin-pd per formlosen Mail an
akin.buero@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin