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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Oktober 2004; 17:50
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Recht/Initiativen:

> Fuer eine Verfassungs-NGO

Oesterreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.


"Bundeskanzler Schuessel will die Legislaturperiode der Bundesregierung
verlaengern." sagt der Radiosprecher. Schuessel begruendet
es damit, dass es "das Regieren erleichtern" wuerde. Erste Reaktionen:
SP-Cap sagt, er wolle das nicht -- allerdings ohne das wirklich zu
begruenden. Der Gruenen Glawischnigg faellt dazu nur ein, dass Schuessel
schon zweimal selbst Legislaturperioden verkuerzt hat. Tags darauf
Gusenbauer: Man sei unter Bedingungen bereit, darueber nachzudenken.

Ein Sittenbild: Eine Nachrichtenredaktion, die nicht weiss, dass
Bundesregierungen keine Legislaturperioden haben, weil man Regierung
und Parlament nicht auseinanderhalten kann. Ein Bundeskanzler, der sich
nicht genieren muss, wenn er laut ausspricht, dass er sich das Regieren
erleichtern moechte. Und eine Opposition, der nicht auffaellt oder es gar
nicht auffallen will, dass eine Verlaengerung der Legislaturperiode eine
weitere Entdemokratisierung bedeuten wuerde.

Und niemand schert´s. Denn in Verfassungsdebatten kennt sich halt eh keiner
aus. Das ueberlaesst man den Experten -- schliesslich bezahlt man sie ja
dafuer. Dazu kommt auch noch die sehr oesterreichische Tradition des
Josefinismus oder besser: Die Hoffnung auf josefinische Entscheidungen, die
irgendwie doch dem Volke zu Gute kommen koennten. Die stille Art, mit der
seit ueber einem Jahr an unserer Verfassung gebastelt wird, spricht Baende
darueber -- hie und da hoert man ein paar Vorschlaege, aber wirklich
aufregen tut sich keiner. Der groesste Heuler bislang war die doch recht
jenseitige "Gott-in-die-Verfassung"-Debatte. Alles andere verlief in einem
gedaempften Diplomatenton. Man koennte sagen: Schoen, dass man ueber sowas
Fundamentales in Kontemplation und Ruhe nachdenkt -- aber geht das sonst
niemanden was an? Das Volk zum Beispiel? Res publica -- die Politik als
"oeffentliche Angelegenheit", da war doch was?

Da trifft es sich gut, dass sich das Volk fuer die Details der Verfassung
tatsaechlich nicht interessiert. Doch ihre Auswirkungen merken wir
tagtaeglich. Und wenn etwas schief laeuft, ist das auch ein grosses Thema.
Wenn der Verfassungsgerichtshof ein umstrittenes Urteil faellt, ist das in
allen Schlagzeilen -- dass er dazu aber auch einer Grundlage bedarf, auf der
er diese Urteile aufbauen kann, und vor allem, wie diese Grundlage
ausschaut, interessiert uns schon weniger. Die Verfassung erscheint weiten
Bevoelkerungskreisen wie etwas schon immer Dagewesenes, eine in Erz gehauene
Weisheit, eine Naturkonstante. Dass man so etwas auch umschreiben kann und
dass das auch staendig passiert, auch dass es sich dabei um ein Politikum
ersten Ranges handelt, das weiss man schon irgendwie -- aber irgendwie
ist das auch ein Buch mit sieben Siegeln; das muss man wohl den G´studierten
ueberlassen.

Dabei sind die Dinge oft viel einfacher als man glaubt. Ein Beispiel: Ein
Landeshauptmann weigert sich geltendes Recht zu vollziehen -- und es gibt
keinerlei Konsequenzen. Denn nur die Bundesregierung koennte ihn beim VfGH
verklagen. Die tut es aber nicht und niemand anderer hat das Klagsrecht. Was
tut jener Teil der oeffentlichen Meinung, der gegen den Landeshauptmann ist?
Er protestiert zuallererst gegen den Landeshauptmann. Dann auch ein bisserl
gegen die Bundesregierung. Darueber, dass niemand sonst ein Klagsrecht hat
und damit Landeshauptleute tun und lassen koennen, was sie wollen -- solange
sie nur eine Mehrheit im Landtag und das Wohlwollen der Bundesregierung
haben, ist ueberhaupt kein Gegenstand oeffentlichen Interesses.

Wenn die Bundesregierung selbst irgendetwas macht, dass nicht ganz
rechtskonform sein duerfte, Naeheres aber nur ein Untersuchungsausschuss ans
Licht bringen koennte, wozu man aber die Zustimmung genau jener
Parlamentsmandatare braeuchte, die dieser Regierung das Vertrauen
ausgesprochen haben, ... wachen schon ein paar Leute mehr auf. Demo
veranstaltet deswegen aber niemand eine. Das Protestieren ueberlaesst man
auch hier der parlamentarischen Opposition -- wohl wissend, dass diese ueber
die Rechte von Parlamentsminderheiten nicht mehr reden wird, wenn sie selbst
an der Regierung ist.

Auch auf der EU-Ebene das selbe Spiel. Da gibt es einen designierten
Justizkommissar, der sich des Vertrauens des Parlaments nicht ganz sicher
sein kann. Nur: Man kann ihm leider nicht alleine das Misstrauen
aussprechen, sondern muesste das der ganzen Kommission gegenueber tun --
gegen den Rest der Kommission hat das Europäische Parlament aber nichts
und muss daher diese Krot dann doch runterschlucken. Da kann man sich
dann ueber den Kommissar aufregen, ueber den Kommissionspraesidenten,
uebers Europaparlament -- ueber den immer noch gueltigen Vertrag von
Amsterdam, wo diese hohe Huerde einer Gesamtablehnung definiert ist,
regt sich aber keiner auf.

*

Es gibt fuer alles NGOs: Fuer Sozialfragen, fuer diverse Menschenrechte,
fuer Umwelt, fuer Tiere etc. Doch fuer die Fragen der Fundamente des
buergerlichen Rechtsstaates, dem keiner von uns entkommt, gibt es kaum
etwas. Sicher, da gibts ein paar Juristen, deren Sprache man nicht versteht;
und da gibt es hie und da Gruppen, die sich mit populaeren Spezialthemen wie
dem Neutralitaetsgesetz beschaeftigen. Aber sonst? Sonst scheinen allen
anderen diese Dinge viel zu wenig konkret. Denn NGOs sind Organisationen,
die mit irgendwas Konkreten arbeiten wollen -- und damit auch mobilisieren
koennen. Fluechtlinge auf der Strasse oder geqaelte Tiere sind konkrete
Dinge, eine Verfassung erscheint hingegen viel zu abstrakt und kompliziert.
Doch genau das ist der Punkt: Viele Dinge sind nicht deswegen so
kompliziert, weil es ihnen innewohnen wuerde, sondern sie erscheinen nur so,
weil sie niemand einer breiten Oeffentlichkeit erklaert. Die
Weltwirtschaftsordnung beispielsweise ist auch nicht mit einem einseitigen
Flugi erklaerbar und trotzdem gibt es NGOs wie ATTAC, die es sehr wohl
schaffen, zumindest einer etwas aufmerksameren Oeffentlichkeit diese Dinge
nahe zu bringen.

Fuer jeden Schas gehen wir auf die Strasse -- wieso eigentlich nie fuer eine
Verfassung, die dem Volk mehr Moeglichkeiten gaebe, den Herrschenden beim
Herrschen ein bisserl dreinzureden. Das "Recht geht vom Volk aus" -- So
stehts in der Verfassung. Wenn sich das Volk aber einen Scheiss darum schert,
kuemmern sich andere darum.

Und so werden wir beispielsweise bei diesem Konvent im Dunkeln gelassen, was
die da eigentlich so zusammenbrauen. Natuerlich wird ein bisserl in der
Oeffentlichkeit diskutiert, aber erstens nur wenig und zweitens sind auch
Journalisten bei diesem Thema ueberfordert und halten sich an jene Details,
die unter den etablierten Parteien strittig sind und als solche in
Pressekommuniques auch verlautbart werden -- die strittigen Punkte aber, die
sie nicht nach aussen kommunizieren, und gar jene Dinge, ueber die sie sich
einig sind -- die finden nur selten ihren Weg in Gazetten oder Rundfunk.

Da braeuchte es Menschen, die nicht in den Herrschaftskontext eingebunden
sind, sich aber dennoch mit diesen Themen beschaeftigen und dies auch --
moeglichst medienwirksam -- transportieren wollen. Sicher, kurzfristig wird
man es nicht aendern koennen, dass diejenigen, deren Herrschaftsarbeit eine
Verfassung kontrollieren soll, ausgerechnet dieselben sind, die selbst diese
Verfassung kontrollieren -- aber es ist schon viel getan, wenn man sie dabei
nicht aus den Augen laesst.

Laesst man sie naemlich unbehelligt ihre Arbeit tun, dann kommt man vom
Schuessel zum Berlusconi. Und irgendwann zum Lukaschenko. Das ist der
Endpunkt des "leichter Regierens".

Daher muss eins wohl klar sein: Die Verfassung ist viel zu wichtig, um sie
den Politikern zu ueberlassen.
*Bernhard Redl*




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