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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Oktober 2004; 17:32
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EU/Soziales:

> Ten Years After

Was brachte der EU-Beitritt den ArbeitnehmerInnen?

Vor etwas mehr als 10 Jahren wurde eine Propagandaschlacht fuer den
EU-Beitritt inszeniert. Vor noch nicht ganz 10 Jahren erfolgte der Beitritt.
Erinnern wir uns zurueck: zehntausende zusaetzliche Arbeitsplaetze und die
Sicherung der sozialen Standards wurden grossflaechig versprochen. Welche
Bilanz koennen die ArbeitnehmerInnen 10 Jahre danach ziehen?
Gesammelte Statistiken aus der Zeitschrift "Guernica":


Die Lohnquote, also der Anteil der Loehne und Gehaelter am gesamten
Volkseinkommen, sinkt tendenziell seit Anfang der 80er Jahre. Trotz alledem
ueberrascht, mit welcher Vehemenz die Lohnquote seit Mitte der 90er Jahre
nach unten weist. Waehrend die (unbereinigte) Brutto-Lohnquote in der ersten
Haelfte der 90er Jahre relativ konstant blieb, sinkt sie seit 1994 um fast
5% (sh. Grafik 1). Die Nettolohnquote (also unter Einbeziehung der
Steuerbelastung) ist noch deutlicher gesunken, da der Anteil der Lohnsteuer
am Gesamtsteueraufkommen von 25,7% (1994) auf 31,7% (2003) kraeftig nach
oben geschnellt ist.

Realloehne sinken

Es geht jedoch nicht nur der relative Anteil der ArbeitnehmerInnen am
gesamten produzierten Reichtum zurueck, waehrend der Anteil von Gewinn und
Besitzeinkommen entsprechend steigt, es sinken seit Mitte der 90er Jahre
auch die absoluten Realeinkommen von ArbeiterInnen, Angestellten und
Beamten. (sh. Grafik 2). Vor allem in den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt
gehen die Nettorealloehne - also das was effektiv im Geldboersel bleibt -
rapid zurueck. Sie steigen zwar Ende der 90er Jahr wieder an, um in den
letzten Jahren wieder leicht zurueckzugehen. Unterm Strich bleiben fuer die
ArbeitnehmerInnen im Durchschnitt immerhin ueber 4% Nettoreallohnverlust.

Besonders fatal haben sich die Jahre seit 1994 fuer die unteren
Einkommengruppen der ArbeitnehmerInnen ausgewirkt. Die unteren sozialen
Schichten erleben seit dem EU-Beitritt einen in der Nachkriegszeit wohl
einzigartigen Absturz. Die Nettorealeinkommen des unteren Viertels der
ArbeiterInnen gingen zwischen 1996 und 2001 um satte 11% zurueck. Fuer das
untere Viertel der Angestellten waren es immerhin noch 8% Lohnverlust. (sh.
Grafik 3) Diese Tendenz geht seither rapid weiter. Das untere Zehntel der
Einkommensbezieher erhielt 1999 noch 4,5% der Erwerbseinkommen, heute sind
es nur mehr 2,5%. Dabei sind diese Daten noch geschoent. Denn die
Inflationsrate fuer die kleinen EinkommenbezieherInnen duerfte deutlich
hoeher liegen als fuer die GrossverdienerInnen. Vom Preisverfall bei
Computern und Fernreisen koennen erstere wenig profitieren, waehrend sie die
ueberdurchschnittlichen Preissteigerungen bei Wohnen und Lebensmittel voll
treffen. Da Frauen in den unteren Einkommensgruppen deutlich
ueberrepraesentiert sind, haben sich die Jahre seit dem EU-Beitritt vor
allem fuer Frauen als lohnpolitischer Rueckschlag erwiesen. Soviel ist also
vom beruehmten "Tausender" geblieben, den die damalige EU-Staatssekretaerin
Brigitte Ederer jedem Haushalt versprochen hat.

Arbeitslosigkeit steigt

In diesen Daten spiegelt sich die Steigerung der Arbeitslosigkeit wider.
Denn je hoeher die Arbeitslosigkeit, desto schlecht die Verhandlungsposition
der lohnabhaengig Beschaeftigten. Die Zahl der von Arbeitslosigkeit
betroffenen Personen ist von 1994 bis 2002 um 100.000 Menschen gestiegen.
Mit Ausnahme der Jahre 2000 und 2001 gibt es kontinuierliche Steigerung der
Arbeitslosigkeit. Immer mehr Arbeitslose rangeln um immer weniger Jobs.
Stellen sich im Jahr 1994 sieben Arbeitslose um eine offene Stelle an, waren
es im Jahr 2003 bereits 11.

Sozialquote sinkt

Die Sozialquote errechnet sich aus dem Anteil der Sozialausgaben am
Bruttoinlandsprodukt. Auch hier zeigt sich dieselbe Tendenz. Waehrend bis
1994 sogar noch ein Anstieg der Sozialquote festzustellen ist, geht es
seither stetig bergab. Immerhin um 1,4% sinkt die Sozialquote zwischen 1994
und 2001. Zum Vergleich: Haette sich die Sozialquote auf den Niveau vor dem
EU-Beitritt stabilisiert wuerden heute jaehrlich fast 3 Milliarden Euro mehr
fuer soziale Zwecke ausgegeben. Im Rueckgang der Sozialquote bis 2001 kommen
vor allem die sog. "Sparpakete" der rot-schwarzen Regierung in der 2.
Haelfte der 90er Jahre zum Ausdruck. Die Sozialabbaupolitik der
schwarz-blauen Regierung werden sich wohl in einer weiter sinkenden
Sozialquote ab 2001 manifestieren. Alleine die PensionistInnen mussten seit
2000 einen realen Einkommensverlust von 4% hinnehmen.

Nicht alle verlieren....

Die gesamte Gesellschaft ist seit Mitte der 90er Jahre durchaus reicher
geworden. Wenn die ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen und PensionistInnen
verlieren, muessen andere umso deutlicher zulegen. Der Anteil der Gewinne
und Selbstaendigeneinkommen am Volkseinkommen ist seit 1994 um rund 5%
angestiegen. Die wahre Dimension der Umverteilungsprozesse zugunsten der
Reichen und Superreichen kommt darin jedoch nur ansatzweise zum Ausdruck.
Denn innerhalb der Selbstaendigen sind die Einkommensunterschiede noch viel
ausgepraegter als innerhalb der Lohnabhaengigen. Das oberste
Einkommensviertel der Selbstaendigen verdient 5 mal so viel wie das unterste
Einkommensviertel. Der obersten Spitze der Pyramide geht´s wirklich
praechtig.

Die - im Vorfeld des EU-Beitritts beschlossenen - Privatstiftungen sowie die
Abschaffung der Vermoegenssteuer machen Oesterreich zu einem El Dorado fuer
Flick, Wlaschek, Piech, Mayr-Melnhof, Esterhazy, Prinzhorn, Androsch,
Bartenstein & Co, die ihre Milliarden steuerguenstig in den Privatstiftungen
parken. Das Vermoegen der 100 reichsten Oesterreicher umfasste im Jahr 2004
54,7 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa der jaehrlichen Nettolohnsumme
aller ArbeitnehmerInnen in Oesterreich, also von ueber 3 Millionen Menschen.
Alleine von 2003 auf 2004 sind die Privatvermoegen der 100 reichsten
Oesterreicher um 2,2 Milliarden Euro gestiegen, also um 22 Millionen Euro
(ueber 300 Mio ATS) pro - superreichem - Kopf und Nase.

EU an allem schuld?

Man mag einwenden, dass es die Bestrebungen von Regierung und
Industrieverbaenden, in Richtung Sozialabbau zu marschieren, auch ohne die
EU gegeben haette. Das ist richtig, ignoriert aber, dass die EU diesen
konservativen Kraeften regelrecht als Treibriemen dient(e), um das soziale
Roll-back durchzuziehen. Das laesst sich auch in Oesterreich nachvollziehen:

. Die sog. "Sparpakete" sind mit ausdruecklichen Verweis auf die Erreichung
der Maastricht-Konvergenzkriterien und des EU-Stabilitaetspaktes beschlossen
worden. Diese Politik hat nicht nur PensionistInnen, ArbeitnehmerInnen,
Arbeitslose und Studierende direkt belastet, sie hat auch Arbeitslosigkeit
gesteigert. Denn unter dem EU-Spardogma sind die Direktinvestitionen des
Bundes kontinuierlich zurueckgegangen. 2004 erreichen sie nur mehr ein
Drittel des Wertes von 1999.

. Die EU fungiert als Motor von Deregulierung und Liberalisierung. Alles
soll der Verwertungslogik des Marktes untergeordnet werden. Die
entsprechenden Liberalisierungs- und Privatisierungsmassnahmen im
Telekommunikations-, Energie- und Transportbereich wurden unmittelbar ueber
die EU angestossen. Weitere Grossangriffe werden derzeit in der
EU-Kommission ausgebruetet (z.B. Gruen- und Weissbuch ueber
"Dienstleistungen im allgemeinen Interesse"). Seit dem Beitritt-Brief nach
Bruessel hat der Bund Beteiligungen im Gesamtwert von 9,57 Milliarden Euro.
Dadurch wurde der Einfluss der Gewerkschaften massgeblich zurueckgedraengt.
Die Verpflichtung auf eine "Wirtschaftspolitik der offenen Marktwirtschaft
mit freiem Wettbewerb" soll nun sogar in EU-Verfassungsrang erhoben werden.

. Im Statut der Europaeischen Zentralbank ist ausdruecklich der Prioritaet
der Geldwertstabilitaet vor allen anderen Zielen, wie z. B. Beschaeftigung
festgeschrieben. Anders ausgedrueckt: es gehoert zu den Grundpfeilern der
EU, den Interessen der grossen Vermoegensbesitzer, ihre Geldvermoegen zu
mehren, Vorrang vor den Interessen der grossen Mehrheit der Bevoelkerung zu
geben, ihren Arbeitsplatz zu sichern. Demokratische Einflussnahme auf die
Ziele der EZB soll in Zukunft per EU-Verfassung ausgeschlossen werden.

. Der soziale Kahlschlag bei den Pensionen durch die schwarz-blaue Regierung
erfolgt nicht aus heiterem Himmel. 2002 haben sich die EU-Staatschefs darauf
verstaendigt, das reale Pensionsalter in den EU-Staaten bis 2010 um fuenf
Jahre hinaufzusetzen. Entsprechend begeistert applaudierte die EU-Kommission
der Schuessel´schen Pension"reform".
OeGB - Zeit fuer Rechenschaft und Umkehr

Sowohl Industriellenvereingung als auch OeGB haben vor der Volksabstimmung
eine grossangelegte Kampagne inszeniert und viel Geld und Arbeitszeit ihrer
Funktionaere dafuer eingesetzt, die Menschen fuer ein "Ja" zum EU-Beitritt
zu gewinnen. Fuer die Industriellenvereinigung ist die Bilanz ungetruebt
positiv: Lohnquote gesenkt, Realloehne gesenkt, Sozialquote gesenkt,
grossflaechige Privatisierungen durchgesetzt, Druck auf die Beschaeftigten
und Arbeitslose erhoeht. Fuer die OeGB-Fuehrung waere es dagegen hoch an der
Zeit, ueber die Konsequenzen des EU-Beitritt gegenueber den eigenen
Mitgliedern ehrlich Rechenschaft abzulegen.
*Gerald Oberansmayr*, Guernica 4/2004 / bearb.



Quellen: Jahrbuecher des Oesterreichischen Statistisches Zentralamt
Armuts- und Reichtumsbericht fuer Oesterreich, OeGPP, Wien 2004

Anm.: Die erwaehnten Graphiken sind aus Formatgruenden nicht angefuegt,
werden aber ab morgen auf der akin-Homepage downloadbar sein.





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