**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. Oktober 2004; 17:28
**********************************************************

Irak/Tuerkei:

> Gott gab uns Wasser

Das gigantische tuerkische Staudammsystem an Euphrat und Tigris wird weiter
ausgebaut. Im Irak spuert man die Folgen.


Den irakischen Praesidenten Ghasi al-Jawer fuehrte seine erste Auslandsreise
nicht nach Washington, Teheran oder Riad, sondern in die Tuerkei. Al-Jawer
wollte vor allem ueber ein Thema sprechen:

Wasser. Denn im Rahmen des Suedostanatolienprojektes (GAP) baut die Tuerkei
am Euphrat einen Staudamm nach dem anderen, bis dicht an die Landesgrenzen.
Das Projekt dient der Stromerzeugung. Der Strom wird zu einem grossen Teil
in den Westen der Tuerkei geleitet. Ausserdem ist eine riesige
Landwirtschaftsindustrie im Entstehen. 1,7 Millionen Hektar bisher trockenen
Landes sollen bewaessert werden. In der einst knochentrockenen Ebene von
Harran gruent die Erde, und man denkt ueber Golfplaetze fuer TouristInnen
nach.

Die Kehrseite der gruenen Pracht ist Wasserarmut hinter der Grenze, in
Syrien und im Irak. Schaetzungen gehen davon aus, dass in einigen Jahren nur
noch 5 bis 8 Milliarden Kubikmeter Euphratwasser den Irak erreichen werden.
Frueher waren es 33 Milliarden. Zwar hat sich die Tuerkei verpflichtet,
Syrien jaehrlich noch 15,8 Milliarden Kubikmeter Wasser abzugeben, aber die
tuerkische Seite betrachtet das Abkommen als nicht bindend. Ausserdem ist
Wasser, das in Syrien ankommt, noch lange nicht im Irak. Was die Tuerkei im
Grossen macht, macht Syrien etwas kleiner mit einem Staudamm am Euphrat.

Im Irak wusste man sich zunaechst zu helfen, indem man Tigris und Euphrat
mit einem Kanal verband. Doch die Tuerkei will die Hand auch auf das
Tigriswasser legen. Eine 135 Meter hohe Staumauer bei dem Ort Ilisu soll den
Strom stoppen. Das Projekt ist unter anderem wegen der Umsiedlung von bis zu
75 000 Menschen und der Ueberschwemmung des historischen Ortes Hasankeyef
umstritten.

Wenn die Fluesse weniger Wasser fuehren, steigt auch ihr Salzgehalt. Die
Auswirkungen kann man auf den Feldern suedlich von Bagdad sehen: Die Felder
glitzern in der Morgensonne, als waere an einigen Stellen frischer Schnee
gefallen. Doch es sind Salzkristalle. Probleme mit der Versalzung des Bodens
hatte der Irak schon vor GAP. Bis zu einem gewissen Grad kann man damit
umgehen. Die Bauern nehmen etwas Erde in den Mund und schmecken am
Salzgehalt, ob sich auf diesem Feld eine Aussaat noch lohnt. Es gibt
verschiedene Methoden, mit denen man gegen die Wirkung des Salzes kaempfen
kann. Man kann versuchen, das Salz auszuwaschen, man kann mehr Duenger
verwenden oder beim Setzen von Gemuesepflanzen etwas guten Boden
dazumischen. Doch je salziger das Wasser ist, desto schwerer wird der Kampf
gegen die Versalzung.

Ausser dem Feldbau haengen noch zwei weitere bedeutende Wirtschaftszweige im
Irak vom Wasser der Fluesse ab. Da ist zum einen die Binnenfischerei, die
den Irak mit grossen Mengen von billigem Fisch versorgt. Der zweite Bereich
ist die Kultivierung von Dattelpalmen, fuer die der Irak beruehmt ist.

Der Wassermangel koennte auch die Rueckkehr der Marsch-AraberInnen
verhindern. Bis vor wenigen Jahren lebten sie in den sumpfigen Marschen am
Zusammenfluss von Euphrat und Tigris. Sie siedelten auf kleinen Inseln
zwischen Wasser und Sumpf. Ihre Haeuser bauten sie aus Schilf. Und ihre
Schilfhallen, die noch vor ein paar Jahren im Irak standen, sind schon auf
5000 Jahre alten Siegelbildern zu sehen. In den Suempfen waren die zum
Schiismus konvertierten Marsch-AraberInnen schwer zu unterwerfen. Erst als
Saddam Hussein Anfang der neunziger Jahre die Suempfe trockenlegen liess,
war es mit der Unabhaengigkeit und auch mit der Kultur der
Marsch-BewohnerInnen vorbei. Nun wollen die Marsch-AraberInnen ihre alte
Heimat wieder haben, doch angesichts des sinkenden Niveaus der Fluesse wird
der Irak kaum auf die von Saddam geschaffenen Stauanlagen verzichten wollen.

Gefragt, ob er bei seinen Gespraechen in der Tuerkei Erfolg gehabt habe,
blickte der irakische Praesident Ghasi al-Jawer nur zum Himmel und sagte:
«Wir wollten Wasser, und Gott gab uns, was wir wollten.» Doch damit waren
die starken Regenfaelle gemeint, die ueber der Tuerkei niedergingen,
waehrend al-Jawer in Ankara weilte. Von Zugestaendnissen der tuerkischen
Gastgeber berichtete al-Jawer hingegen nicht.
(Jan Keetman, Woz 40/04)




*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin