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Aussendungszeitpunkt: Montag, 5.Oktober 2004; 18:00
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Schweiz:
> Gesetze fuer die Atombarone
Im August kommen bei einem Unfall im japanischen Atomkraftwerk Mihama fuenf
Menschen um. Finnland beginnt mit dem Aushub fuer ein neues AKW. Die Schweiz
gibt sich eine neue Kernenergieverordnung. Und alles hat miteinander zu tun.
Aber beginnen wir im Fruehjahr: Die Schweizer Atomkraftwerksbetreiber
schreckten die OEffentlichkeit auf mit der Behauptung, dass bis 2025 ein
neues Kernkraftwerk entstehen muesse. Damit dieses rechtzeitig ans Netz
gehen kann, solle 2005 mit der Planung begonnen werden.
AKW-Lobbyisten denken in Generationen. Die Atomkraftwerke, die heute
weltweit Strom produzieren, gehoeren der ersten oder zweiten Generation an -
und weisen diverse Sicherheitsmaengel auf. Die dritte Generation soll nun
sicherer sein. Der EPR-Reaktor, der zurzeit in Finnland gebaut wird, ist ein
solches Modell. Man traeumt allerdings schon von der vierten Generation, die
ab 2020 gebaut werden soll: so genannt inhaerent sichere Reaktoren, die so
konstruiert sind, dass es zu keiner Kernschmelze kommen kann. Vorlaeufig ist
aber erst die dritte Generation auf dem Markt. Riesendinger mit einer
Leistung von 1600 Megawatt.
Neues AKW ab Stange
Es wird vermutlich weltweit nur noch ein oder zwei Reaktortypen geben. Den
einen, den die Franzosen zusammen mit den Deutschen entwickelt haben (den
EPR, siehe Kasten) und ein US-amerikanisches Modell. Die beiden Modelle
wuerden dann ueberall aufgestellt. Frueher war das anders. Die vier
Schweizer Anlagen sind beispielsweise vollkommen unterschiedlich
konstruiert. Jedes hat andere Schwachstellen, andere Sicherheitsprobleme.
Und hier kommt die Kernenergieverordnung (KEV) ins Spiel. Sie soll regeln,
wie das neue Kernenergiegesetz im Alltag umgesetzt wird. Die Schweizer
Vereinigung fuer Atomenergie schreibt in ihrer Stellungnahme zum Entwurf:
«In internationaler Zusammenarbeit haben auslaendische Aufsichtsbehoerden,
Betreiber und Hersteller die Standardisierung von Ausruestungen und ganzen
Reaktoranlagen weit vorangetrieben. Die KEV sollte dieser Entwicklung folgen
und vereinfachte Prozeduren fuer Standardanlagen vorsehen, die die
Vorarbeiten international anerkannter Gremien beruecksichtigen.» Wenn zum
Beispiel die Internationale Atomenergie Behoerde (IAEA) einen neuen
Reaktortyp fuer sicher erklaert, sollten demnach die Schweizer
Sicherheitsbehoerden ihn unbesehen auch fuer sicher deklarieren. Damit waere
eine oeffentliche Sicherheitsdebatte ausgeschaltet.
Ende der Basisdemokratie
AEhnliche Konsequenzen haette ein weiterer Punkt der Kernenergieverordnung:
Grundsaetzlich haelt das Kernenergiegesetz als grosse Neuerung fest, dass
neue Atomanlagen dem Referendum unterstehen. Der KEV-Entwurf enthaelt nun
aber eine wichtige Ausnahme: Bei «Anlagen mit geringem
Gefaehrdungspotenzial» kann das Volk nicht mitreden. Der Entwurf definiert
dieses «geringe Gefaehrdungspotenzial» wie folgt: Kommt es zu einem
Stoerfall, sollte die Bevoelkerung weniger als 100 Milli-Sievert Strahlung
abbekommen. Der Wert ist extrem hoch, denn die Sicherheitsbehoerden gehen
zum Beispiel beim AKW Goesgen davon aus, dass die Bevoelkerung nach einem
schweren Unfall hoechstens 0,63 Milli-Sievert abbekaeme. «Mit dem
vorliegenden KEV-Entwurf wuerden alle bestehenden AKW und jeder neue
Atomreaktor ohne Rahmenbewilligung und ohne Volksabstimmung moeglich sein»,
konstatiert Leo Scherer von Greenpeace.
Alterungsprozesse
Die Kernenergieverordnung regelt auch den Umgang mit den bestehenden
Atomanlagen. Das Kernenergiegesetz verlangt zum Beispiel, dass so genannte
Abschaltkriterien festgelegt werden. Die AKW-Betreiber moechten - sofern sie
keine neuen Anlagen bauen koennen - ihre alten Anlagen so lange wie moeglich
betreiben. Urspruenglich wurden AKW wie Beznau oder Muehleberg fuer einen
Betrieb von dreissig Jahren konzipiert. Beznau und Muehleberg haben dieses
Alter bereits ueberschritten, doch die AKW-Betreiber haetten sie gerne bis
zu sechzig Jahren am Netz. Die Sicherheitssysteme der Oldtimer sind
veraltet. Zudem altert Material - aber niemand weiss genau wie. Immer wieder
fuehren Abnutzungserscheinungen zu schweren Unfaellen. Im AKW Mihama in
Japan starben deswegen fuenf Personen: Man hatte versaeumt, ein altes Rohr
zu ueberpruefen. Greenpeace fordert nun klar definierte Abschaltkriterien.
Im KEV-Entwurf fehlen solche klare Sicherheitsgrenzwerte. Womit den
Aufsichtsbehoerden die ungemuetliche Aufgabe zufaellt, zu interpretieren,
wann die Oldtimer zu gefaehrlich werden.
(Susan Boos, WoZ, leicht gek.)
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