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akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
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Aussendungszeitpunkt: Montag, 5.Oktober 2004; 18:00
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Strahlende Zukunft:
Die Atomlobby ist so aktiv wie in den guten alten Zeiten der
Technikglaeubigkeit
- im groeszeren Europa und weltweit. Ein UEberblick.
(groszteils aus der WoZ vom 23.9.2004 geklaut - sorry nach Zuerich, aber
viel abkupfern ist doch auch ein Kompliment, odr? Die WoZ kann uebrigens
bestellt werden unter http://www.woz.ch/abo/abo_ausland.php)
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Finnland:
Potemkins Reaktor
Lange glaubte man, im Westen wuerden in den naechsten Jahren aus
oekonomischen Gruenden keine neuen Atomkraftwerke gebaut. Nun sieht alles
anders aus: Finnland erstellt einen riesigen neuen Reaktor - ein
franzoesisch-deutsches Modell, das angeblich sicherer sein soll als alle
bestehenden Anlagen. Frankreich hat ebenfalls beschlossen, ein neues AKW zu
bauen. Die Schweizer Stromkonzerne machen auch schon Druck. Das
Atomgeschaeft boomt wie schon lange nicht mehr.
«Ydinhulluusalue», von Dummheit verseuchtes Gebiet. Ende August sperrten
ueber hundert Anti-Atomkraft-Aktivistinnen unter dieser Parole symbolisch
die Halbinsel Olkiluoto an der finnischen Westkueste ab. Mit Transparenten,
Schildern, Absperrbaendern und ausgeruestet mit gelber Schutzbekleidung und
Atemmasken. Zwei Atomreaktoren stehen hier bereits, die vorbereitenden
Erdarbeiten fuer einen Neubau - es soll Finnlands fuenfter Reaktor werden -
sind in vollem Gange. Konnte man diesen schon nicht verhindern, will die
Antiatom-bewegung wenigstens versuchen, die «Verdummung» auf Olkiluoto und
Finnland zu begrenzen. Denn dank Finnland hofft die internationale
Atomindustrie auf ein Comeback.
Mit Olkiluoto 3 wird nach einem Jahrzehnt erstmals in der westlichen Welt
wieder mit der Realisierung eines Reaktorneubaus begonnen. Und Olkiluoto ist
der erste Reaktor, der in einem deregulierten Strommarkt gebaut wird. Ein
deutsch-franzoesisches Baukonsortium (siehe Kasten) will in Olkiluoto den
Prototyp des «European Pressurized Water Reactor» (EPR) errichten. Mit 1600
Megawatt (MW) soll dieser nicht nur der weltweit leistungsstaerkste, sondern
auch ein «absolut sicherer» Reaktor werden. In Finnland soll bewiesen
werden, dass AKW-Neubauten politisch moeglich, technisch unbedenklich und
auch noch wirtschaftlich profitabel sind.
Kampf um die Frauen
Die Atomlobby startete bereits in den achtziger Jahren eine neue Kampagne
zum Bau eines fuenften Reaktors. Allerdings scheiterte ein erster Anlauf im
Parlament 1986 klar und ein zweiter 1993 knapp mit 107 zu 90 Stimmen.
Beim dritten Versuch sparte die Atomlobby weder an Geld noch an der
Anlaufstrecke. Man aenderte Strategie und Taktik. So wurden die Posten der
Medien- und PR-Verantwortlichen so weit als moeglich mit Frauen besetzt.
Schliesslich sollten gerade die mehrheitlich atomkritischen Finninnen
ueberzeugt werden. Das Terrain wurde durch eine lange bearbeitete und nahezu
vollstaendig auf Pro-Atom-Kurs eingeschwenkte Presse gruendlich vorbereitet.
Und die Antiatombewegung, die sich nach dem Sieg von 1993 grossenteils
aufgeloest hatte, erwachte viel zu spaet.
TVO (Finnlands zweitgroeszter Stromproduzent) rueckte das Klimaargument in
den Vordergrund. Finnland produziert jaehrlich 12,4 Tonnen Kohlendioxid
(CO²) pro Kopf der Bevoelkerung, was EU-Rekord bedeutet. Aus diesem Grund
steht das Land international am Pranger. Die Atomlobby verspricht deshalb
eine bequeme Alternative zu den eigentlich noetigen Energiesparmassnahmen:
Die Kioto-Ziele und die eingegangene Verpflichtung zu einer Reduktion des
Ausstosses von klimaschaedigenden Abgasen soll mit dem Bau eines
vermeintlich CO²-neutralen AKWs erreicht werden.
Gewerkschaften eingebunden
Dem Draengen der Wirtschaft gaben zunaechst die Gewerkschaften nach. Statt
teuren Sparens angeblich billiger Stromueberschuss: Das zog als Argument
angesichts des von allen Seiten beschworenen internationalen
Standortwettbewerbes. Zudem sass allen noch die Wirtschaftskrise der
neunziger Jahren in den Knochen, mit Arbeitslosenraten von zwanzig Prozent.
Die vereinte Lobbyarbeit von Wirtschaft und Gewerkschaften zielte dann vor
allem auf die Sozialdemokratie und drehte tatsaechlich die ein Jahrzehnt
vorher erreichte Mehrheit um: Im Mai 2002 stimmten 107 Reichstagsabgeordnete
fuer und 92 gegen den AKW-Neubau, der zudem als willkommene
Arbeitsbeschaffuengsmassnahme verkauft wurde.
Eine grosse Rolle bei der Entscheidung vieler Abgeordneter spielte dabei,
dass die Atomlobby mehrere Monate vorher verkuendet hatte, Finnland habe das
Atommuellproblem geloest. Als erstes Land der Welt noch dazu. Tatsaechlich
aber hat man keine Loesung, sondern nur einen Plan: das Projekt eines
unterirdischen Lagers. Dort, einige hundert Meter tief im Urgestein und
nicht weit von der jetzigen Baustelle entfernt, glaubt man die nuklearen
Hinterlassenschaften fuer einige hunderttausend Jahre «sicher» ablagern zu
koennen. Und ob das nun der Muell von vier oder fuenf Reaktoren sei, spiele
dann ja auch keine Rolle mehr. Die Frage der tatsaechlichen Realisierbarkeit
des Lagers - das Jahr 2020 wird als Fertigstellungsdatum angepeilt - steht
allerdings in den Sternen.
Franzoesischer Staat hilft mit
Die Baukosten scheint TVO im Griff zu haben. Aufgrund der Konkurrenz
zwischen den potenziellen Reaktoranbietem wurde ein Festpreis von drei
Milliarden Euro ausgehandelt. Ein Freundschaftspreis: Das Vorlaeufermodell
des ERP, der N-4, in vier Exemplaren in Frankreich errichtet, kostete nach
einer von der franzoesischen Betreibergesellschaft EDF 1996 aufgestellten
Berechnungen damals schon 3.3 Milliarden Euro. Mit einiger Sicherheit werden
die tatsaechlichen Baukosten (wegen der hohen Stahlpreise und AEnderungen am
Sicherheitsdesign) den Festpreis erheblich uebersteigen. Die
Kostenueberschreitung muss das Framatome-Siemens-Baukonsortium selbst
uebernehmen.
Auch sonst haben die Bauherren Spezialbedingungen bekommen. Zwar verzichtete
Siemens von sich aus auf Buergschaften des deutschen Staates, nachdem die
Gruenen dagegen Widerstand angekuendigt hatten und deshalb in Berlin eine
Koalitionskrise drohte. Doch sollen staatliche franzoesische Exportkredite
Teil des Deals sein. Dank diesen Krediten und dem durch die
Festpreisregelung gesenkten Risiko konnte TVO bei seinen Kreditgebern
rekordverdaechtig niedrige Darlehenszinsen in Hoehe von 2,6 Prozent
aushandeln. Ob Atomstrom aus Neu-AKW auf einem liberalisierten Strommarkt
wettbewerbsfaehig sein kann, laesst sich am Beispiel Olkoluoto also nicht
ablesen.
Wirtschaftlich gesehen wird hier ein potemkinscher Reaktor gebaut, den die
Atomlobby gerne als Modell verkaufen moechte. Die Atomindustrie und ihre
Lobby werden versuchen, diesen Reaktor massiv zu vermarkten. Nicht nur in
der Schweiz forciert die AKW-Lobby die Debatte um den Bau eines solchen
Reaktors. Frankreichs Regierung hat im April eine Grundsatzentscheidung fuer
den EPR getroffen. In der zweiten Haelfte dieses Jahrzehnts sollen dort
gleich mehrere in Bau gehen. Und in Deutschland machte sich die
Wochenzeitung «Zeit» gerade Gedanken darueber, ob nicht gerade die
Sozialdemokratie, weil ja ihr «Verhaltais zur Atomkraft nicht
identitaetsbildend» sei, perfekt als «Wiedereinstiegshelferin» in ein neues
Atomkraftzeitalter passen koennte.
(Reinhard Wolff, WoZ, leicht gekuerzt)
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