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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. September 2004; 18:00
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Unser Kulturteil:

> 10 Jahre Volxtheater

Im September 1994 wurde das Projekt in Wien initiiert und mit der Premiere
der "Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht, einer "Oper von Bettlern fuer
Bettler" im Ernst Kirchweger Haus, im 10. Wiener Gemeindebezirk gestartet.

Autonome politische Gruppen, AnarchistInnen und KurdInnen hatten1990 die
ehemalige Wielandschule besetzt, die davor jahrelang leer stand und sich im
Besitz der KPOe befand, und begonnen, das eroberte Haus als alternatives
politisch-radikales Kultur- und Wohnprojekt zu nutzen. Die ehemalige
Revue-Buehne des Wielandtheaters im Keller des Hauses, wurde als
"VolxTheater Favoriten" reanimiert. Auf Wiener Volkstheatertradition bezog
man/frau sich dabei nur bedingt, das X im Volx wurde gegenkulturell gesetzt
und begriffen. HausbewohnerInnen und andere theaterinteressierte politische
AktivistInnen entschieden sich fuer Theater als politisches Ausdruckmittel
ihres Aktivismus . Es ging dabei nicht so sehr um einen grossen
kuenstlerischen und professionellen Anspruch, sondern darum, kollektiv zu
arbeiten, sich auch mittels Theater politisch auszudruecken, und einfach den
Spass am Agieren zu betonen:

"volXtheater. Leute, die Theater machen wollen.Volxtheater als kollektives,
nicht hierarchisches Konzept, ob im Saal oder auf der Strasse. Theater von
Unten, aus dem Kopf, dem Bauch, dem Arsch, der Faust, aus jeder kleinen Zehe
und aus voller Brust! Nach Moeglichkeit immer knapp unter der Guertellinie,
bar jeglicher Moral und dennoch voller Wut....."

Aus politischem Selbstverstaendnis heraus sind auch die Dogmen abzuleiten,
die bis heute gelten: keine RegisseurInnen, keine Bezahlung, moeglichst
kollektive Entscheidungsfindung, offener Gruppenanspruch; politische
Ausrichtung: anti-rassistisch, anti-sexistisch, anti-nationalistisch.
Dementsprechend konflikt- und auseinandersetzungsreich verlaufen auch seit
jeher die kollektiven Proben- und Organisationsprozesse. Volxtheater
arbeitet und spielt immer am Rande der Selbstzerfleischung ueber Sinn und
Zweck des eigenen politischen Handelns. Die (gespielte) Kokettierie mit
Kunst fuehrt nur allzuoft zum Verdacht des politischen Verrats. Zwischen den
Stuehlen von Kunst und Politik zu sitzen zermuerbt die Seele und die Glieder
mit performativer Gewalt.

Dem grossen Ueberraschungserfolg der "Dreigroschenoper" folgten weitere
politische "Opern-" bzw. Theaterauffuehrungen im repraesentativem Rahmen der
nunmehr autonomen Buehne, deren integraler Bestandteil Musik als weiteres
Ausdruckmittel ist: Kleists Penthesilea (eine "Hundsoper"), H. Muellers
Auftrag ("Trip-Hop Oper') und die Aktionsoperette "Schluss mit lustig" sind
u.a als weitere Auffuehrungen im Zeitraum von 1996 -1999 zu nennen, geprobt
und diskutiert wurde dafuer meist jeweils bis zu einem Jahr. Ausdrucksformen
von VolxTheater beschraenkten sich aber von Anfang an nicht nur auf Stuecke
im Theaterraum. Die Verbindung von "direct action" und Aktivismus ist
politisches Selbstverstaendnis und manifestierte sich u.a. in "Einsaetzen"
gegen Militaerparaden (zb. 1995, "Sterben am Ring", 1999 "Neubewertung",
Sammelaktionen fuer Wehrdienstverweigerer usw.), und speziell in
Strassentheateraktionen gegen die oesterreichische und europaeische
Fluechtlingspolitik (1996 Flucht aus Transdanubien. Die Musik-Connection
fand verstaerkt weiter Ausdruck in Volx-Core-projekten, Chanson- und
Liederabenden und temporaeren Bandprojekten.

Die Zusammensetzung von VolxTheater erstreckte sich zuerst vor allem auf das
"EKHaus"-Umfeld, erweiterte und veraenderte sich aber mit den Jahren und
Projekten. Bis 2000 fanden die zumeist woechentlichen Organisationsplena im
EKH statt, mit no-racism.net/Plattform Vernetzung und
no-border-tour-Schwerpunkten verlagerten sich die kollektiven Sitzungen in
die Raeume der Buerogemeinschaft Schottengasse. Auch der Regierungswechsel
und die daraus resultierende Protest- und Widerstandsbewegung (virtuell und
im oeffentlichen Raum) hatten Einfluss auf Aktions- und Themenentwicklung.
Der Fokus auf anti-rassistische Arbeit ergab sich aus langjaehriger
Erfahrung von VolxTheater-AktivistInnen in politischen Zusammenhaengen, dem
Zusammenleben mit MigrantInnen im EKHaus und WGs und der Arbeit in
Beratungsstellen. Die "Plattform fuer eine Welt ohne Rassismus", die in
Folge der Ermordung von Marcus Omofuma 1999 als Aktionsplattform von
MigrantInnen und politischen anti-rassistischen Gruppen gegruendet wurde,
leistete bis zu ihrer Aufloesung im Jahr 2003 wichtige Arbeit, speziell was
Austausch und weitere Vernetzung betrifft.

Hier genauso wie im VolxTheater trafen verschiedenste ExpertInnen
aufeinander, was zu vielen Aktionen und Kampagnen, aber auch zu permanenten
Konflikten ueber Inhalte, Methoden, Strategien und Begriffe fuehrte.
Speziell Debatten ueber Sexismus hatten sowohl in der Plattform, als auch im
VolxTheater Sprengpotential.

Der Druck des Handelns unterdrueckt oft genug notwendige Reflexionen und
Infragestellungen, loest aber auch in Folge gemeinsame Versuche politischen
Tuns aus.

Nachdem sich Leute von no-racism.net und VolxTheater mit
noborder-AktivistInnen international zu vernetzen begannen, wurde erstmals
zur VolxTheaterkarawane - noborder-no-nation-tour 2001 aufgerufen:

"For freedom of movement and freedom of communication" wurden als
inhaltliche Slogans und Motti konkret in den Vordergrund gestellt. Damit
verabschiedete sich das VolxTheater vorerst komplett vom Buehnenraum und
stieg in Autos und Busse, um globalisierungskritischen Protest mit Theater-
und Medienaktivismus zu verbinden. VolxTheater wurde ein konkreter
"Aktionsarm" von anti-rassistischen Netzwerken wie no-racism.net,
noborder.org, und vernetzte und internationalisierte sich speziell in den
Sommerprojekten von 2001-2003.

Das erste Karawanenprojekt endete bekanntlich mit der Inhaftierung in Genua,
wodurch das VolxTheater unerwartete Medienpraesenz erlangte, und die Frage:
"Machen die nun Theater oder linksradikale Politik?" in aller
Oeffentlichkeit diskutiert wurde. Den internen Konflikt, den die erste
Volxtheaterkarawane und im speziellen die Genua-Repression ausloeste, hat
das Kollektiv bis heute nicht ueberwunden, er fuehrte erneut zu
Veraenderungen. Der Prozessausgang im Fall VolxTheater ist nachwievor offen,
es wird darueber vielleicht im Herbst 2004 entschieden.

Was meint VolxTheater nach 10 Jahren? Es wird sicherlich kein grosses
Jubilaeum gefeiert werden, denn es ist keinesfalls eine Erfolgsgeschichte,
sondern eher ein permanenter, schwieriger (aber auch leidenschaftlicher)
Prozess der Eigendefinition, der nach 10 Jahren mehr denn je Fragen ueber
den Sinn des eigenen Tuns aufwirft. "Handlungstheater" als spezifischer
Gebrauch von politischen Aktivismus kann eine widerstaendige Macht sein,
indem es beispielsweise staatlich gewaltsame Performative,
Repraesentationssettings und seine Herrschaftsmechanismen aufdeckt und
subversiv bespielt. Ein prekaeres Unterfangen, wie viele Erfahrungen gezeigt
haben, denn die Ansprueche und die Realitaet klaffen oft weit auseinander.
Der Rest liegt dann zumeist in kreativem Scheitern. Theater als Teil und
Strategie von politischer Arbeit und Aktivismus beinhaltet die staendige
Entwicklung und den Aufbau von Netzwerken und Beziehungen, die sich nicht
nur auf eine kleine linke Politszene beschraenken lassen. In diesem Sinn
meint die Verbindung von Theater/Politik und Aktivismus das Potential der
unmittelbaren Praxis situativen Lernens.

Der Anspruch liegt neben einem politisch erweiterten Theaterbegriff
wesentlich im kritischen sozialen Tun und einem moeglichen subversiven und
progressiven Handeln als solchem. Im Kontext des Anti-Rassismus geht es
dabei vorrangig sicherlich nicht um Theater, sondern um Sozial- und
Kulturarbeit, die nach kritischer Solidaritaet, Offenheit, Respekt,
Reflexion und Konfliktbewaeltigung verlangt. Die Kapazitaeten sind immer zu
gering, Faktoren der Zusammenarbeit und Beziehungsfaehigkeit oft genug nicht
gegeben. VolxTheater als prekaeres, nie funktionierendes Kollektiv und (im
besten Fall) subversives Ausdrucksmittel bedeutet fuer viele durchwegs
Verschiedenes in Setzung von Prioritaeten, Inhalten und Aktivitaeten. Da in
den letzten 10 Jahren viele Menschen kurz oder lang mit VolxTheater auf
verschiedenste Arten in Beruehrung kamen, fuehrte diese Fluktuation zu
Veraenderung und Meinungsvielfalt, aber auch zu Feindschaften und
Verraeteranschuldigungen. Dementsprechend viele ausgetragene und
nichtausgetragene Dramen und Konflikte sind im theatral-politischem Netzwerk
vorhanden und wirken auf dieses, doch alle ersehnen vielleicht
herrschaftsfreie Selbstorganisation.

Die Frage nach dem Vermoegen von politischem Theateraktivismus und
performativer Subversion zu stellen, heisst auch, auf ein angemessenes
konfliktives Miteinander zu achten, mit Betroffenen von Repression, wie
MigrantInnen verstaerkt zusammen zuarbeiten und dabei eben nicht Theater zu
spielen.

10 Jahre VolxTheater heisst, dass "wir" nachwievor "fragend voranschreiten"
und dabei ueber die richtigen Mittel des Tuns nicht besser als zu Anfang
bescheid wissen, aber noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass
Veraenderung durch politisches Tun moeglich ist.

Gini Mueller auf no-racism.net (bearb.)

Originaltext: http://no-racism.net/article/948
Weiteres auf: http://www.volxtheater.at




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