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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. September 2004; 18:43
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Israel/Palaestina:

> Wie geht es Dir, Gewaltlosigkeit?

Bei der Massenkundgebung mit Arun Gandhi, dem Enkel des Mahatma, in Abu Dis
beobachtete ich die Gesichter der Teilnehmenden. Waehrend Gandhi ueber
Gewaltlosigkeit predigte, stellte ich mir ein Gespraech zwischen zwei jungen
Palaestinensern unter den Zuhoerern vor.

Yussuf: "Er hat recht. Die bewaffnete Intifada hatte keinen Erfolg!

Hassan: "Im Gegenteil. Ohne die Aktionen der Maertyrer haette uns die Welt
laengst vergessen."

Y.: "Seit einem halben Jahr gab es in Israel keinen Selbstmordanschlag - und
sieh, was wir erreicht haben."

H. : "Wir haben nichts erreicht. Im Gegenteil. Die israelischen Generaele
ruehmen sich, sie haetten uns mit ihren gezielten Toetungen, den Angriffen
auf unser Land und all den anderen Akten der Besatzung besiegt . Und
waehrend dessen haben sie die Siedlungen vergroessert, neue "Aussenposten"
errichtet und die rassistische Mauer weiter gebaut."

Y.: "Du vergisst, dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag erklaert
hat, die Mauer sei illegal, und die UN-Vollversammlung hat dies mit grosser
Mehrheit bestaetigt. Ganz Europa hat zu unseren Gunsten abgestimmt. Wir sind
im Begriff, die Arena der weltweiten oeffentlichen Meinung fuer uns zu
gewinnen."

H.: "Welchen Wert hat dies, wenn in der Zwischenzeit Sharon tut, was er
will, Arafat weiter im Kaefig haelt und ins Gesicht von Abu Ala spuckt,
waehrend Abu Ala sich fuer Gewaltlosigkeit ausspricht?"

Y.: "Sogar die ranghohen Juristen Israels warnen Sharon, wenn er so weiter
mache, werden die UN am Ende Sanktionen gegen Israel verhaengen."

H.: "Aber in der Zwischenzeit geschieht das Gegenteil. In Folge der Pause
von Selbstmordattentaten erholt sich die israelische Wirtschaft. Der wegen
unserer Angriffe fast zum Erliegen gebrachte Tourismus nach Israel beginnt
wieder. Wenn sich die Israelis sicher fuehlen und keine Angst mehr vor
Selbstmordattentaten haben, warum sollten sie dann mit uns reden? Warum
sollten sie irgendwelches Land zurueckgeben? Warum sollten sie aufhoeren,
die Siedlungen zu vergroessern? Das ist ihnen doch scheissegal."

Y: " Wir muessen die internationale Gemeinschaft gewinnen. Wir koennen dies
nur ohne Gewalt erreichen. Ich bewundere die Maertyrer, die bereit sind,
fuer unser Volk zu sterben. Ich bin stolz darauf, dass wir solche Helden
haben. Aber so kommen wir nicht weiter. Sie versorgen Sharon nur mit
Vorwaenden, uns noch mehr zu unterdruecken."

H.: "Als ob Sharon Vorwaende benoetigt! Er will uns brechen, und die
weltweite oeffentliche Meinung wird keinen Finger fuer uns ruehren. Die
treulosen arabischen Fuehrer werden auch nichts fuer uns tun. Allein unsere
Helden werden uns retten."

Y.: "Aber Gandhi behauptet, dass gewaltfreie Methoden mehr Erfolg haben.
Sein Grossvater hat dies in Indien bewiesen."

H.: " Er kannte die Israelis nicht. Die israelische Armee wird das Feuer auf
jede gewaltfreie palaestinensische Demonstration von ernst zu nehmendem
Ausmass eroeffnen."

Y.: " Sieh dort , unsere Brueder, die an der Mauer hochklettern! Das ist ein
Beispiel fuer eine erfolgreiche, gewaltfreie Aktion im Stile Gandhis, die
das Gesetz des Besatzers offen und ohne Furcht verletzt!"

H.: " Mach dich nicht laecherlich! Wenn Arun Gandhi und diese Israelis nicht
hier waeren, haetten die Soldaten geschossen und sie getoetet. Spaeter
haetten sie gesagt, das waeren gesuchte Terroristen gewesen. Erinnerst du
dich an den Anfang der Al-Aksa- Intifada, als es unbewaffnete
Massendemonstrationen gab? Die Israelis kamen mit Scharfschuetzen und
toeteten die Anfuehrer. Denk dran, dies ist nicht Indien, und die Israelis
sind keine Englaender. Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt."

Y.: "Aber das ist ja genau das, was sie ueber uns sagen!"


Diese Art Debatte wird nun ueberall in der palaestinensischen Gesellschaft
gefuehrt, vielleicht gar in jeder Familie. Den Yussufs gelingt es nicht, die
Hassans zu ueberzeugen, und ich fuerchte, dass Gandhi auch keinen Erfolg
hat, weil ihnen das entscheidende Argument fehlt. Abu Mazen, der
Gewaltlosigkeit befuerwortet, erhielt von Sharon nichts. Ein halbes Jahr
ohne Selbstmordattentaten innerhalb Israels hat den Palaestinensern nichts
gebracht. Deshalb war der Angriff in Beer Shewa - nur eine Woche nach
Gandhis Rallye - zu erwarten.

Solange die Sharon-Regierung mit der aktiven Unterstuetzung von Praesident
Bush die Siedlungen weiter vergroessert, die Mauer weiter baut und all die
anderen Aktionen der Annexionen weiter verfolgt, gibt es nichts, was die
palaestinensische oeffentliche Meinung dahin bringt, der Gewalt den Ruecken
zu kehren. Und nur ein entscheidender Wechsel in der palaestinensischen
oeffentlichen Meinung kann die Selbstmordattentate zu einem Ende bringen..
Keine Mauer wird Leute, die zu sterben bereit sind, daran hindern, einen
Angriff auszufuehren.. Und die Palaestinenser haben schon bewiesen, dass es
jede Menge solcher Leute unter ihnen gibt .

Ehud Barak, eine sehr gewalttaetige Person, hat einmal gesagt, dass er, wenn
er ein junger Palaestinenser waere, sich einer Terrororganisation
angeschlossen haette. Offensichtlich glaubt er nicht daran, dass
Gewaltlosigkeit gegenueber der israelischen Armee Erfolg hat. Und er sollte
es wissen.

Ich war von der Lehre Mahatma Gandhis beeindruckt . Er war der groesste
Befreier des 20. Jahrhunderts. Er erreichte Freiheit fuer den ganzen
indischen Subkontinent, einschliesslich des heutigen Pakistan und
Bangladesh. (Aber Gandhi sagte auch, dass Hitler nur mit gewaltfreien
Mitteln bekaempft werden koenne - und selbst seine groessten Bewunderer
hatten Muehe, dies zu akzeptieren) In meiner Jugend schloss ich mich zwei
sehr gewalttaetigen Organisationen an (der Irgun und der israelischen
Armee), aber nachdem ich zum Ende des 48er Krieges verwundet wurde, gab es
einige Monate, in denen der pure Gedanke an Kampf mir koerperliche Uebelkeit
verursachte. Ich verabscheue Gewalt in jeder Form - aber wie kann sie
gestoppt werden?

Es gibt Leute unter uns, die fuer einen Kompromissfrieden bereit waeren, die
aber dahin gebracht wurden, zu glauben, es gaebe "niemanden, mit dem man
verhandeln kann", weil "sie" keinen Frieden, sondern uns nur vernichten
wollen. Wir sollten jedoch versuchen, diese palaestinensische Gewalt zu
verstehen, die so viel Blutvergiessen verursacht: sie war die voraussehbare
Folge davon, dass wir ihnen jeden anderen Weg abgeschnitten haben. Ich bin
davon ueberzeugt, dass es moeglich ist, die Gewalt in unserem Lande zu
beenden - falls wir dem palaestinensischen Volk einen alternativen,
gewaltfreien Weg anbieten, um Freiheit und Gerechtigkeit zu erlangen. Jeder
der glaubt, dass eine Mauer Erfolg verspricht und die Selbstmordattentate
stoppen wird, koennte sich genau so gut auch auf die Amulette der
kabbalistischen Rabbis verlassen.
*Uri Avnery*

(Uebersetzt von: Ellen Rohlfs, Quelle: http:\\uri-avnery.de )





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