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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. September 2004; 18:57
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Buecher:

> Tote arbeiten laenger

Dead Men Working
Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten
kapitalistischen Amoklaufs
hg. von Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed, Maria
Woelflingseder
Unrast Verlag, Muenster 2004, 302 Seiten, 18 Euro, ISBN 3-89771-427-2

*

Was bin ich? So hiess es frueher bei Robert Lembke. Was bin ich?
Sozialarbeiter, Netzwerkadministratorin, Buchhalter, Bauer, Politikerin. Was
bist du? Auf diese Frage sagt niemand: 36 Jahre alt, ledig, Heimwerker,
Tarockspieler, Tangotaenzer, Biertrinker, Wiener, Zigarrenraucher,
Warmduscher. Selbst wenn man nicht einer Lohn- oder Einkommensarbeit
nachgeht, definiert man sich ueber den Beruf: Schuelerin, Pensionist,
Hausfrau oder arbeitslos. Das sind die gaengigen Antworten.

So ist es kein Wunder, wenn ein Buch zur Arbeitsgesellschaft "Dead Men
Working" heisst. Was sind wir schon ohne unsere Arbeit? Sind wir irgendwas?
Existieren wir ueberhaupt? Und falls doch: Haben wir denn ueberhaupt ein
Recht, zu existieren?

Der Buchtitel spielt natuerlich auf den Ausspruch "Dead man walking" hin,
jenen Ausruf, der in den USA Maenner zur Hinrichtungsstaette begleitet, und
der durch den gleichnamigen Film auch bei uns bekannt geworden ist. Man kann
es auch so lesen: Wir sind schon tot, aber wir wissen es noch nicht, denn
wir arbeiten ja noch. Die Arbeit toetet uns taeglich und haelt zugleich uns
Tote auf einer untoten Existenzstufe, quasi "am Leben".

Wir lieben unsere Arbeit -- weil wir nichts anderes kennen, weil wir nicht
anders koennen, weil wir es uns anders nicht leisten koennten, dieses Leben.

Doch die mutige, ja schoene neue Marktwirtschaft will nicht so ganz den
Wohlstand fuer alle bringen. Ueberall kracht es im Gebaelk. Dennoch: Die
totale Entfesselung der Marktkraefte nach 1989, die "Empfehlungen" des IMF,
die Logik der neuen Freiheit durch Deregulierung bleibt von der
landlaeufigen Kritik unangetastet.

Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes vergleichen in ihrem Vorwort
die kapitalistische Arbeitsgesellschaft mit einer Kirche: "Die Doktrin darf
nie das Problem sein, sondern stets nur mangelnde Konsequenz und fehlende
Hingabe bei deren Umsetzung: insofern liegt es allemal allein an den
Juengern, durch mehr Opferwillen und Einsicht noch die Erloesung zu
erlangen." Das Volk muss endlich lernen, wie toll doch die Segnungen dieser
neuen Freiheit sind und diese auch nuetzen und sich nur voll in die Arbeit
knien, dann wird alles gut. Gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut.
Oder so.

Da aber nicht alle so denken, muessen sie zu ihrem Glueck gezwungen werden.
Und das bedeutet, es muesse auch die letzten Nischen anderer Existenzen
zugekleistert werden, damit sich niemand mehr darin verstecken kann:
Erschwernisse beim Zugang zur Arbeitslosenunterstuetzung, Aufhebung von
Zumutbarkeitsgrenzen, Infragestellung der Pensionen -- das alles beim
gleichzeitigen Trommelfeuer des Konsumterrors, bei den Versprechungen des
warenfoermigen Gluecks, das man sich halt immer weniger wird leisten
koennen, wenn man nicht an die Grenzen seiner Arbeitsfaehigkeit geht

Dass die Linke dabei ziemlich schmaehstad geworden ist, liegt nicht nur an
der Frustration, die durch den Niedergang der Sowjetunion -- die trotz allem
doch noch als Gegenmodell erschien -- ausgeloest wurde, sondern auch daran,
dass sie ihre Kapitalkritik nur selten auch als Arbeitskritik verstehen
konnte. Man wusste zwar schon, dass es ziemlich sinnlos ist, Waren zu
produzieren, die eigentlich niemand braucht, nur um sich Waren leisten zu
koennen, die man selber nicht braucht -- und alles deswegen, damit einige
wenige sich jene goldenen Nockerln leisten koennen, die diese offensichtlich
doch fressen koennen. Aber so wirklich vom Arbeitsfetisch trennen wollen
sich weite Teile der Linken immer noch nicht so recht. Denn der Proletarier
galt doch immer als revolutionaeres Subjekt und die Arbeit hatte neben der
Revolution sein hoechstes Ziel zu sein. Arbeitslosigkeit war ein Uebel,
Faulheit gar eine Suende. Der Lumpenproletarier hatte ganz einfach das
falsche Bewusstsein -- denn nach der Revolution hatte die Sonn´ ohn
Unterlass aufs Arbeiter- und Bauernparadies zu scheinen.

Eine Warnung: Das vorliegende Buch ist an vielen Stellen aehnlich polemisch
wie diese Rezension. Und es ist auch ziemlich dick: 302 Seiten sind fuer
diese Art der Lektuere und fuer unsere heute so schnellebige Zeit schon viel
und der Rezensent gesteht: Er hat das Buch nicht ganz gelesen. Denn es ist
kein Werk zum zuegigen Durchlesen. Es ist ein Buch zum Schmoekern. Da trifft
staubtrockene Theorie auf pointierte Polemik, Texte zum Thema Jugend- und
Siegerwahn auf Texte zum Thema Hatz auf "Arbeitsscheue", der sehr
persoenliche Bericht einer arbeitslosen Geisteswissenschafterin auf die fast
nuechterne Schilderung der gesellschaftlichen Akteptanz des Selbstmords
wegen Arbeitslosigkeit in Japan.

Es ist ein Lesebuch, das man immer in die Hand nehmen kann, wenn man sich
fragt: Wozu das alles? Und: Bin ich der einzige, der sich diese Frage
stellt?

Es ist ein Buch, das vielleicht mit dazu beitragen kann, dass man sich dazu
entschliesst, a) sein Leben und b) die Gesellschaft veraendern zu wollen. Ob
man es dann aber tatsaechlich auch ernsthaft versucht, ist eine andere
Frage. Das kann das Buch -- wie alle anderen seiner Thematik -- natuerlich
nicht leisten, das muessen wir schon selber tun.
*Bernhard Redl*

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Kontakt und Bestellung:
Maria Woelflingseder, Anton-Scharff-Gasse 6/13, 1120 Wien, Tel. 01/ 810 60
22, m.woelf@utanet.at
Mehr ueber das Buch auf: http:\\www.streifzuege.org und
http:\\www.krisis.org

In akin 9/04 erschien als Vorabdruck aus dem vorliegenden Buch: "Je mehr
Magenschmerzen, desto suesser laecheln sie" von M. Woelflingseder


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Ausserdem erschienen diesen Sommer:

"Wir werden ganze Arbeit leisten..."
Der austrofaschistische Staatsstreich 1934
Neue kritische Texte herausgegeben von Stephan Neuhaeuser
Books on Demand (BoD); ca. 220 Seiten, ca. 20 EUR
ISBN 3-8334-0873-1

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Amerikanisierung oder Niedergang
Perspektiven des imperialistischen Projekts der Europaeischen Union
Neue Broschuere des ArbeiterInnenstandpunkt
Preis 2 Euro; zu beziehen ueber die ASt-Kontaktadressen:
ArbeiterInnenstandpunkt, Stiftgasse 8, 1070 Wien, ast-lfi@utanet.at , Tel.:
0650/406 83 14, http://www.arbeiterinnenstandpunkt.net

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... bis sie gehen. 4 Jahre Widerstandslesungen. Ein Lesebuch
mit Beitraegen von 56 AutorInnen, die alle schon am Ballhausplatz gelesen
haben im Sisyphus-Verlag.
Erschienen anlaesslich der 250.Lesung
Hg. von El Awadalla / Traude Korosa
184 Seiten; broschiert, 20,5 x 13,5
ISBN 3-901960-19-8; EUR 15.- / SFr 23.-
Mit Beitraegen von: el awadalla, Gerhard Ruiss, Dieter Schrage, Rolf
Schwendter, Elfriede Haslehner, Manfred Chobot, Elis Rotter, Helga Pankratz,
Gai Jeger, Grauenfruppe, Christian Loidl, Christine Huber u.a.
Naeheres: http://www.silverserver.co.at/sisyphus/gehen.htm



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