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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. September 2004; 16:02
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Wien/Prostitution:

> Ein ehrenwerter Bezirk!

Unser Guertel soll leiser werden -- oder so...

Es gibt einen uralten Schlager von ich weiss nicht wem: "... raus aus diesem
ehrenwerten Haus". Den haben sich BuergerInnen im 15. Bezirk zu Herzen
genommen. Sie gehen auf die Strasse und skandieren: "Weg mit dem
Strassenstrich! Prostituierte raus!"

Drei mal waren sie schon unterwegs, die AnrainerInnen rund um die
Jurekgasse. Angefuehrt von einem Herrn R., der die schwarzen Prostituierten
"Milkas" nennt. Herr R. weiss auch, dass sich die schwarzen Maedchen vor
Hunden fuerchten - natuerlich auch vor seinem. Sie waren auch sehr fleissig,
die OrganisatorInnen der AnrainerInnenproteste. In vielen Geschaeften in der
aeusseren Mariahilferstrasse - und fast in allen Haeusern in dieser Gegend -
haengen die Aufrufe zur Demo mit folgendem Text:

"Demonstration gegen die Szene von Prostitution im Wohngebiet. Wir bitten um
zahlreiches Erscheinen, um diesen Zustand und dessen Folgen zu veraendern:
Laerm, verstaerkter Autoverkehr, Abwertung der Wohngegend, Verlust von
Sicherheitsgefuehl. Unser Ziel ist es, unsere Wohngegend wieder attraktiv
und sicher zu machen!!! Und die Politiker zum Handeln zu bewegen!!!"

Bei den Demos durch den Bezirk waren auch viele tuerkische Frauen mit ihren
Kindern mit. Endlich gehoeren sie dazu - endlich sind nicht mehr SIE die
Lauten, die Boesen, die Fremden.

Auch der spoe-Bezirksvorsteher findet nichts dabei, dass gegen Menschen
gehetzt wird. Im Gegenteil, bei der Bezirksvertretungssitzung im Juni wurde
gegen die Stimmen der Gruenen eine Resolution angenommen, die feststellte,
dass die "Interessen der AnrainerInnen mehr wert sind als die Interessen der
Prostituierten." Von der fpoe diktiert, mit Vehemenz vertreten von der spoe,
die sozial und demokratisch sein will.

Es geht um die Nachtruhe, die durch Freierverkehr und Anbahnungsgespraeche
gestoert wird. Die Frauen (zum Teil aus Afrika und Suedamerika stammend)
seien auch besonders laut und aggressiv - Mann muesse sich geradezu
fuerchten. Die spoe reagierte brav, wie die fpoe es ihr vorgab: Polizei muss
her, Polizei und noch mehr Polizei, der ganze Bezirk muss zum Sperrbezirk
werden, die Prostitution muss weg aus unserem Bezirk. Hoechst "elegante"
Loesung, enormer "Weitblick"! Ist doch die Situation in dem jetzt
betroffenen Graetzel erst entstanden, als sich die Szene voriges Jahr
dorthin verlagerte, nachdem der Bezirksvorsteher hinter dem Westbahnhof ein
Nachtfahrverbot verhaengte, um die Freier in ihren Autos abzuschrecken.

Wir Gruenen forderten den Einsatz von Fachleuten - SozialarbeiterInnen und
MediatorInnen - um den Konflikt vor Ort zu loesen, also den AnrainerInnen zu
ihrer Nachtruhe zu verhelfen, ohne deswegen blindlings gegen andere Menschen
zu hetzen und sie zu vertreiben - irgendwohin, nur nicht "vor unserer
Haustuer!" Dass in allen Konfliktloesungsmodellen das Vertreiben einer
Konfliktpartei die unterste und primitivste Stufe darstellt, kuemmert den
Bezirksvorsteher nicht. Er stellt sich vor die DemonstrantInnen, erklaert,
er sei voellig auf ihrer Seite, und ergeht sich in populistischen Rufen "weg
mit dem Strassenstrich aus Wohngebieten!" Was kuemmert es ihn, dass ganz
Wien ein Wohngebiet ist? Was kuemmert es ihn, wohin die SexarbeiterInnen
verdraengt werden? Konfliktmanagement? Engagierte und fortschrittliche
Sozialpolitik? Lieber nicht! Das ist viel zu muehsam und kommt in der
Boulevardpresse bei weitem nicht so gut wie "Bezirksvorsteher schliesst
Rotlichtlokale" und aehnliches.

Sollte es zur Gewohnheit werden, dass Ruhestoerungen mit so unadaequaten
Mitteln wie Polizeieinsaetzen und Verbotszonen begegnet wird, werden wir
auch erleben, dass Autos, Motorraeder, Flugzeuge aus den Wohngebieten
verdraengt werden?

In Grossstaedten, die nicht durch jahrzehntelange spoe-Regierungen
lahmgelegt sind, wird nach langfristigeren Loesungen gesucht. Da wird
Prostitution als Arbeit gesehen, da wird versucht, den betroffenen Frauen
(und Maennern) Plaetze zur Verfuegung zu stellen, an denen sie ihrer Arbeit
in Sicherheit und unter menschlichen Bedingungen nachgehen koennen.
Sexarbeit wird enttabuisiert, sachlich diskutiert, es werden Modelle
versucht, bei denen die Interessen der SexarbeiterInnen gewahrt bleiben,
ohne dass AnrainerInnen gestoert werden.

In Wien darf ein Bezirksvorsteher im Fernsehen erzaehlen, wie "vulgaer die
schwarzafrikanischen Prostituierten sind" und wie sie sich ihm auf die
Motorhaube geworfen haben, als er in diesem Graetzel unterwegs war. Obwohl
ihm die zustaendige Stadtraetin bereits via Medien ausgerichtet hat, dass
das nicht ihre Linie sei und anstatt alles daranzusetzen, mit den
AnrainerInnen auf eine sachlichere Ebene zu gelangen, giesst er mit seinen
Ausspruechen und Versprechungen einer "Verbotszone" noch Oel ins Feuer.


*Waltraut Antonov, Renate Sassmann*
GA Rudolfsheim-Fuenfhaus

***

> Weder noch...

Kommentar zu Vorstehendem

Ich habe am Freitag die Gelegenheit gehabt, an Seite eines Haeufleins
Gruener aus dem 15. Bezirk, die Demo der Anrainer zu beobachten und den
Reden zuzuhoeren. Ab und zu halte ich mit den Gruenen ein Transparent:
"Vertreiben ist keine Loesung" - dann tauchen wieder die Demo-Slogans auf,
die auf ,in Ruhe schlafen' und ,kein Strich in der Wohngegend' hinauslaufen.
Es dauert nicht lang, aber die ganze Zeit habe ich das Gefuehl, nicht auf
der Seite zu stehen, die ich vertreten kann. Natuerlich waere auch die
Beteiligung an der Demo fuer mich unvorstellbar, aber nun bin ich einmal bei
der Mini-Gegen-Protestkundgebung gegen den Strassenstrich. Speziell dieses,
,unser' Anliegen samt der marschierenden Gegnerschaft ist mir unangenehm -
ist fuer mich nicht sinnhaft einzuordnen, offenbart ein ziemliches Loch in
meiner Akzeptanzbereitschaft.

Ich bin als Kind oberhalb eines Puffs aufgewachsen. Ein fuenfstoeckiges
Haus -- es war dies der riesige, nunmehr abgerissene Block am
Hernalserguertel unmittelbar vis-a-vis der damaligen Stadtbahnstation
Josefstaedterstrasse. Wir waren vier Kinder, alle adoptiert. Dieser Teil des
Guertels samt der Brunnenmarktumgebung war fuer mich ungeheuer spannend,
meine Adoptivschwester ging dann selbst auf den Strich - und meine
Adoptiveltern zogen auch die beiden Kinder meiner Schwester auf. Einer der
beiden Vaeter dieser Kinder starb durch Alkohol, der zweite ist verschollen.
Die Frau meines Bruders verdiente ihr Geld ebenfalls als Nutte, bevor sie
Kellnerin in einem Wirtshaus wurde und fruehzeitig starb. In meiner Familie
gab es Trunkenbolde, Huren, Fiaker, Strizzis, Schlaeger und Zuhaelter -
manchmal bunt gemischt, manchmal im Haefen.

Angst um und mit meiner Familie hatte ich nur bei Lokalbesuchen, wenn z.B.
zuviel Alk alte Feindschaften wieder attraktiv machte. Jede Schlaegerei,
oder nur jede vermutete - oder jedes Geschrei, das dem unvermeidlichen
Kraeftemessen voran ging, wurde von mir als infernalisch empfunden. Einfach
nur Scheiss-Angst. Beschissenes allem aus dem Weg gehen, was nach Stunk
ausschaut - sich in sich selbst verkriechen und warten, bis es voruebergeht.
Aber auch dazu gehoeren, schlichten und das Weichei sein, die Schwuchtel,
die schwule, feige Sau. Es ist leicht, reaktionaer sein zu wollen, wenn du
der richtigen Gruppe angehoert - es ist leicht, dies nicht zu sein, wenn du
einfach Glueck hast. Glueck hast du, wenn du in den 60er- oder 70er-Jahre
nicht am Guertel aufgewachsen bist.

Die Huren waren im grossen und ganzen nett. Angst hatte ich vor den
Betrunkenen und den boesen Blicken so mancher Freier oder den allzu
Nervoesen, die sich auf- und abeilend von den aufgereihten Nutten eine
aussuchen wollten. Es gab nicht wenige unter den Freiern, die Maedchen bis
zum Haustor nachstellten, die einfach nur schnell nach Hause wollten. Soweit
ich dies wahrnehmen konnte, gab es - ausser ein paar offenkundig Mutigen -
ab 21 h keine Maedchen oder Frauen allein auf der Strasse. In der ganzen
Gegend kurvten ganz langsam Autofahrer auf der Jagd nach etwas Weiblichem
herum. Wurde irgendeine huebsche Frau erspaeht, wurde sie sofort angepeilt
und aeusserst laestig vom Wagenfenster aus angepoebelt. Es war halt die
Nuttengegend, es war der Guertel - wo speziell die Maedchen, aber
selbstredend auch die Frauen permanent belaestigt wurden.

Nun steh ich also, 30 oder 40 Jahre spaeter, vor dieser Demo in der
Aeusseren Mariahilferstrasse, die den Strich von ihrer Wohngegend weghaben
will und halte das Plakat: ,Vertreiben ist keine Loesung'. Das Plakat
versteh' ich, den Hintergrund auch: Die Huren sollten natuerlich nicht je
nach Kampagne durch den Bezirk getrieben werden koennen. Andererseits stellt
Strassen-Prostitution in unmittelbarer Wohngegend eine Belaestigung
sondersgleichen dar. Daneben hoer' ich aber von ,meinen Mitstreiterinnen',
wie reaktionaer dieser demonstrierende und aufgepeitschte Haufen doch sei.
Das war der Zeitpunkt, wo ich am liebsten zu Hause geblieben waere.

*Fritz Pletzl*



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