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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 7. September 2004; 15:58
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Editorial:

> Auf zu intellektuellen Abenteuern!

Die deutschen Wochenzeitung "Jungle World" beschaeftigt sich derzeit in
einer Serie mit linken Medien in Europa. Kuerzlich war das Thema Oesterreich
dran, und auch die akin wurde erwaehnt: "Akin, das steht fuer »aktuelle
Informationen«, das Blatt ist aber vor allem eine ziemlich bizarre mediale
Deponie fuer die Presseaussendungen und oeffentlichen Ankuendigungen jeder
auch noch so eigenartigen Gruppierung. Da wird die Reinhaltung der Donau
ebenso gefordert wie die Verdraengung rassistischer Gruppierungen aus
Europas Fussballstadien. Alles wichtig, alles fuer den Erhalt der Menschheit
von grosser Bedeutung, der thematische Wirrwarr aber macht die Lektuere zu
einem intellektuellen Abenteuer."

Ich hab ja schon viel ueber die akin gehoert und gelesen, aber die Idee, uns
abwertend "intellektuelle Abenteuerlichkeit" vorzuwerfen, ist neu und ich
haette sie in ihrer Originalitaet der Jungle World gar nicht zugetraut.

Aber worin liegt denn da eigentlich der Vorwurf? Ich verstehe freilich, dass
das Zentralblatt der Deutschen Kommission fuer Sozialistische Wahrheit und
Antifaschistische Korrektheit "intellektuelle Abenteuer" fuer verwerflich
haelt. Diese Haltung entspricht nunmal der Blattlinie der Jungle World.

Doch ich hege die Befuerchtung, dass das nicht nur eine Krankheit der Jungle
World ist, sondern eine allgemeine linke Angstneurose; naemlich die der
Angst davor, dass das Chaos der Themen und Zugaenge, das Ueber-, Neu- und
Wiederdenken die traditionelle "Denke" eingegrabener Position erschuettern
koennte. Denn wie sonst koennte jemand es als kritisierenswert hinstellen,
ein buntes Sammelsurium von Informationen und Ansichten in einer Zeitschrift
zu finden, die nichts miteinander gemein haben ausser der Tatsache, dass sie
ein linkes Publikum interessieren koennten?

"Lobet den Zweifel, aber nicht den Zweifel, der ein Verzweifeln ist!" heisst
es irgendwo bei Brecht. Die Zeiten sind manchmal ein wenig zum Verzweifeln,
sicher. Aber wegen dieser Angst vor dem Verzweifeln gleich den Zweifel mit
ueber Bord zu werfen, kann doch wohl nicht der Ausweg sein.

Die Phantasielosigkeit der westlichen Linken im 20.Jahrhundert hat dem einen
Teil mittels Wahrheitsversessenheit und Manifestglaeubigkeit Stalinhymnen,
Sektierertum und Bedeutungslosigkeit gebracht, dem anderen Teil
Sozialdemokraten wie Blair, Schroeder oder Vranitzky ohne jeden
ideologischen Impetus.

Wahrlich ein Erfolgsrezept! Da lob ich mir doch das intellektuelle
Abenteuer. -br-




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