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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Juni 2004; 02:58
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Arbeitswelt/Glosse:

> Schau, trau, wem: Den Gewerkschaften

Im ganzen Haus ist emsiges Treiben zu bemerken. Waehrend die Dienstmaedchen
die letzten Girlanden befestigen, ist der Christbaum geschmueckt und die
Fabriksherrin fuer die Uebergabe der Weihnachtsgeschenke an die Arbeiter
bereit. Sie muss sich beeilen, in zwei Stunden beginnt die eigentliche
Feier, wozu nur die erlesensten Honoratoren und natuerlich der Pfarrer der
kleinen Gemeinde Zutritt finden. Schliesslich geleiten Angestellte aus der
Fabrik den langen Zug der Arbeiter in den Salon. So wie jedes Jahr duerfen
auch heuer wieder deren Kinder bei der Bescherung dabei sein. Die
Angestellten postieren sich links und rechts der Gnaedigen Frau, die
Geschenksuebergabe kann beginnen. Auf einer langen Liste sind die
Anmerkungen der Angestellten ueber das Betragen all dieser Arbeiter in
diesem Jahr vermerkt - durch leises Raunen geben sie der Fabriksherrin
Bescheid, ob sie dem naechsten aus der langen Schlange ein Kuvert mit einem
kleineren, mittleren oder groesseren Geldbetrag mit allen guten Wuenschen zu
Weihnachten ueberreichen soll. Ebenso werden die Kinder bedacht. Leutselig
gesellt sich der Fabriksherr fuer kurze Zeit dazu, um dann fallweise bei
diesem und jenem fuer naechstes Jahr mehr Arbeitseinsatz zu fordern.
Mucksmaeuschenstill und demutsvoll zieht die Schlange vorbei,
mucksmaeuschenstill sind auch die Kinder. Es ist Weihnachten und schoen
langsam Zeit fuer das richtige Fest, denn der Fabriksherr blickt bereits
mehrmals auf seine Uhr.

Der kurze Rueckblick auf vorgewerkschaftliche Zeiten ruehrt so manche
gestandene Unternehmensfuehrer mit ziemlicher Sicherheit. Das waren noch
Autoritaetsverhaeltnisse, wo es sich lohnte, Firmenchef zu sein. Besonders
das ,mucksmaeuschenstill' der Arbeiter beim Entgegennehmen der
Weihnachtsgeschenke duerfte ihr aeusserstes Wohlwollen zur Folge haben. Wie
gesagt, alte und schoene, leider laengst verflossene Zeiten. Doch sind sie
das wirklich? Heuer, im Juni 2004, bringt die deutsche Siemens mit
Unterstuetzung der IG-Metall (!) das zuwege, wovon Arbeitgeberverbaende in
der EU jahrzehntelang nur traeumen konnten.

Es gibt die Ersetzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld duch eine
erfolgsabhaengige Jahreszahlung. Muss man sich mal auf der Zunge zergehen
lassen: gewerkschaftlich ausgehandelte Tarifmodelle werden in aller
Konsequenz dem Unternehmen uebertragen. Dieses erspart sich die fixen Kosten
der 13. und 14. Monatsgehaelter und kann mittels dieser neuen Jahreszahlung
entscheiden, wer Erfolg hatte und wer weniger oder gar keinen! Abgesehen von
der Unfassbarkeit dieser Aenderung oeffnen sich fuer Willkuer und
firmeninternes Mobbing alle Schranken. Es ist die Rueckkehr der gnaedigen
Fabriksherren und so, als ob es das Arbeitsrecht und Kollektivvertraege in
der BRD nie gegeben haette.

Da die IG-Metall gerade in Geberlaune war, stimmte sie auch zu, dass bei
Siemens statt 35 Stunden pro Woche 40 gearbeitet werden muessen.
Selbstredend ohne Lohnausgleich. Der gnaedige Fabriksherr aus der 'guten,
alten Zeit' rueckt damit immer naeher. Dafuer verspricht aber der heutige
Herr mit dem Namen Siemens eine Bestandsgarantie fuer die betroffenen beiden
Werke fuer 2 Jahre. Ansonst muesse man leider eine Verlagerung nach Ungarn
vornehmen. "Wir haben gesagt, das Ziel Beschaeftigungssicherung ist das
oberste Ziel, und wenn es eben dann sein muss, dass der Tarifvertrag auch
einige Loesungen bringen muss, wollen wir nicht daneben stehen", gab
IG-Metall-Chef Juergen Peters bekannt. Das sei ,eine bittere Pille' und ein
Einzelfall. Arbeitszeitverlaengerungen werden jedoch natuerlich auch in
anderen Problemfaellen nicht ausgeschlossen. Spaetestens jetzt laeuten auch
bei vielen Oesis die Alarmglocken. War da nicht was mit Semperit und der
deutschen Intercontinental und so? Trotz Gewinnzone des Betriebes und
bravstem Verhalten lagerte der Konzern Semperit aus. Aber gemach, denn
Metaller-Chef Rudolf Nuernberger sieht laut Standard anlaesslich der
deutschen Ereignisse keinen Dammbruch. Es handle sich doch bloss um eine
deutsche Situation. Nur sind unsere Industrie-Pappenheimer schon am
Druecker: "Eine Arbeitszeitverlaengerung ,mit Augenmass' wuerde der
oesterreichischen Industrie sehr gut tun", so Voest-Chef Wolfgang Eder -
"aber natuerlich ohne Lohnausgleich, sonst bringt es nichts". Und
WIFO-Experte Markus Marterbauer beruhigt: im internationaler Wettbewerb
wuerde nur die Qualitaet und nicht der Preis zaehlen. In diese
Verharmlosungskerbe schlaegt auch IHS-Chef Bernhard Felderer: wenn die
Loehne im Osten stark steigen, wuerden Betriebsverlagerungen ebenso schnell
wieder an Attraktivitaet verlieren. Also durchhalten Freunde, auf die
Beschwichtigungsreden mancher Gewerkschafter und der Experten bauen - fuer
alle Faelle aber einmal chinesisch lernen. Das koennte fuer den naechsten
Arbeitsplatz ganz nuetzlich sein.

*Fritz Pletzl*


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