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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Juni 2004; 03:07
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Frankreich/Italien:

> Bleierne Rache

Am Mittwoch, entscheidet ein Pariser Gericht, ob Cesare Battisti nach
Italien ueberstellt wird. Die Auslieferung waere ein Praezedenzfall.


Cesare Battisti lebt seit 1990 in Paris und ist inzwischen ein bekannter
Krimiautor. In den siebziger Jahren gehoerte er in Italien zur
linksradikalen Gruppe «Bewaffnete Proletarier fuer den Kommunismus» (PAC).
Morgen, Mittwoch, entscheidet die Strafkammer im Pariser Justizpalast, ob
Battisti an Italien ausgeliefert wird. Dort wurde er in Abwesenheit zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Neben der Mitgliedschaft in einer
«terroristischen Vereinigung» legte ihm das Gericht vier Morde zur Last.
Nach bestehenden italienischen Sondergesetzen, die in der «bleiernen Zeit»
der siebziger Jahre verabschiedet wurden, hat er nach seiner Auslieferung
keinen Anspruch auf einen neuen Prozess.

Battisti kann in Frankreich auf eine breite Unterstuetzung zaehlen. In einer
Petition haben sich ueber 24.000 Menschen gegen die Auslieferung gewandt,
darunter verschiedene ParlamentarierInnen der Linken. Sie argumentieren
damit, dass die italienischen Verfahrensregeln zentralen Grundsaetzen des
geltenden franzoesischen Rechts widersprechen. Kommt hinzu, dass dieselbe
Pariser Kammer, die jetzt ueber Battisti entscheidet, sich bereits im Mai
1991 gegen ein italienisches Auslieferungsersuchen ausgesprochen hatte.

Die Auslieferung von Cesare Battisti scheint diesmal auf hoechster Ebene
vorbesprochen. Sein Name befindet sich auf der Liste von vierzehn «besonders
gewuenschten» Personen, die der italienische Justizministcr Roberto Castelli
(Lega Nord) am 11. September 2002 seinem franzoesischen Amtskollegen
Dominique Perben praesentierte. Die Wahl des Datums ist wohl kein Zufall:
Die Regierung Berlusconi vermischt die juristische Aufarbeitung des -
teilweise bewaffneten - Linksradikalismus der siebziger Jahre immer wieder
mit der aktuellen Diskussion ueber den Terror im Stil der Attentate von New
York.

Die Entscheidung ueber die Auslieferung droht zum Praezedenzfall zu werden.
Im Laufe der siebziger Jahre fluechteten rund 300 ProtagonistInnen der
militanten Linken in das franzoesische Nachbarland. Heute befinden sich
immer noch ueber hundert dort. Frankreich gewaehrte ihnen 1981 faktischen
Auslieferungsschutz, der 1985 in einer Rede des

damaligen Staatspraesidenten Francois Mitterrand bei der Liga fuer
Menschenrechte zum politischen Prinzip erklaert wurde. Seitdem spricht man
von der «Mitterrand-Doktrin». Ihr liegt einerseits die Idee zugrunde,
ehemaligen Aktivistinnen, die «mit der Gewalt gebrochen haben», einen Ausweg
aus der Illegalitaet zu ermoeglichen. Entscheidend war aber auch, dass diese
Menschen in Italien aufgrund von Prozessen verurteilt wurden, die auf
Notstandsgesetzen basierten und nach franzoesischem Gesetz als rechtswidrig
gelten.

Schengen machts moeglich

Die Rechtslage aenderte sich jedoch 1997: Im Oktober jenes Jahres trat
Italien dem «Europaeischen Informationssystem» auf Grundlage des Schengener
Abkommens bei. Damit wurde im Prinzip jeder Haftbefehl, der in einem
Schengen-Mitgliedsstaat ausgesprochen wurde, in Italien vollstreckbar und
umgekehrt. Tatsaechlich klickten in den ersten Wochen des Jahres 1998 die
Handschellen an den Knoecheln von sechs italienischen Exilanten. Doch damals
regierten in Frankreich die sozialdemokratischen Erben Francois Mitterrands,
die an die Vorgaben des frueheren Praesidenten gemahnt werden konnten. Im
Maerz 1998 erklaerte Premierminister Lionel Jospin, es werde auch kuenftig
keine Auslieferungen an Italien geben.

Das war zwar eine politische Leitlinie, aber keine Rechtsgarantie. Die im
Mai 2002 im Zeichen von Law and Order angetretene, neokonservative Regierung
fuehlt sich daran nicht gebunden. Ende August 2002 fand die erste
Auslieferung statt: Paolo Persichetti wurde in Saint-Denis bei Paris
verhaftet, im Morgengrauen des naechsten Tages kam er in einem italienischen
Gefaengnis an. Seine Ueberstellung an Italien hatte am wenigsten Probleme
aufgeworfen: Er war der Einzige, gegen den ein Regierungsdekret zur
Auslieferung vorlag. Es war 1994 vom konservativen Premier Edouard Balladur
unterschrieben worden.

Battistis Verurteilung wegen Mordes beruht auf der Aussage von Kronzeugen,
die als so genannte Pentiti (Reuige) Strafnachlaesse erhalten, wenn sie
gegen andere Zeugnis ablegen. Von den Morden, an denen Battisti angeblich
mitgewirkt haben soll, fanden zwei in einem Zeitabstand von einer halben
Stunde statt - der eine in Mailand und der andere in Mestre bei Venedig. In
Prozessen nicht gegen Linke, wohl aber gegen neofaschistische und/oder
parastaatlichen Netzwerken angehoerende Rechtsterroristen wurden solche
Aussagen von Pentiti denn auch als Beweisgrundlage verworfen. Zuletzt am 12.
Maerz dieses Jahres, an dem die mutmasslichen rechtsterroristischen Urheber
des Bombenanschlags auf die Piazza Fontana in Mailand 1969, der 16
Menschenleben forderte, freigesprochen worden sind.
(Bernhard Schmid, WoZ, 26/2004 / bearb.)





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