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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Juni 2004; 16:16
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EU/Prinzipielles/Glosse:

>Dieses dumme Volk

In Erwaegung, dass die EU-Wahlen nichts veraendert haben

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Wahlen waren. 41,8% sind waehlen gegangen. Die Koalition wurde auch hier
geschwaecht, der Kandidat der Kronen-Zeitung triumphiert. Das lag voll im
EU-Trend und die OeVP kann von Glueck sagen, dass es sie nicht wie viele
andere Regierungsparteien voll erwischt hat, sondern sie durch die
FPOe-Abgaenger sowie ein bisserl auch von den Konkursmassen der Liberalen
und der obskuren "Christlich Sozialen Allianz", die 1999 immerhin eineinhalb
Prozent bekam, profitiert hat.

EU-weit gab es kurz nach der Wahl das grosse Geheul ueber die
Wahlbeteiligung, die Verluste der Regierungsparteien und die Gewinne von ein
paar "Populisten".

Aber dann setzen sich die Mitglieder des Rates -- deren Parteien im
EU-Parlament grossteils schwer verloren haben -- und tun so, als wuerde sie
das alles nichts angehen und druecken ihre komische "Verfassung" durch.

Perspektivenwechsel. Ein alter Song von Arik Brauer geht mir durch den Kopf:
Warum is er so dumm? Folgendes Szenario: Man nehme einen kleinen Buben, sage
ihm, das er ein absoluter Dummkopf sei, lasse ihn von seinen Lehrern
schikanieren und vom Vater hauen. Und alle tun das, weil sie wissen, was gut
fuer den Buben ist. Man muss kein Paedagoge sein, um zu ahnen, dass der Bub
wahrscheinlich dumm bleiben und nie selbstbewusst werden wird. Den einzigen
Widerstand, den er je gelernt hat, ist Trotz.

Wenn der Bub dann noch ein kleines Schwesterl bekommt, das der Liebling der
Eltern ist und dem Buben als leuchtendes Beispiel hingestellt wird, braucht
man sich auch nicht zu wundern, dass der Bub das Maederl hauen wird, wenn
keiner dabei ist. Dass sich auch das Maederl nicht ohne schwere Knackser
entwickeln wird, ist ebenfalls vorprogrammiert.

Ich weiss schon, der Vergleich hinkt ein bisserl, aber aehnlich wie diesen
Buben behandelt die Politik das Volk. Die classe politique fragt nicht:
"Haben wir irgendwas falsch gemacht?", sondern macht weiter wie bisher. Das
Volk wird weiter ignoriert -- eine "Verfassung" wird oktroyiert. Wie geartet
diese Verfassung ist, zeigt allein die Tatsache, dass das trotz allem noch
am ehesten legitimierte Parlament ueberhaupt nicht gefragt wird, ob das auch
in Ordnung ist. Auch eine EU-weite Volksabstimmung ist nicht vorgesehen --
denn schliesslich ist das alles immer noch kein gemeinsamer Staat, sondern
nur ein Vertrag zwischen formal souveraenen Staaten.

In einigen Staaten wird es zum Unwillen der Regierungschefs aber nationale
Abstimmungen geben muessen -- aus verfassungsrechtlichen oder auch
innenpolitischen Gruenden. Wenn es aber irgendwie zu vermeiden ist, wird es
vermieden.

In Oesterreich bleibt es wieder einmal den anruechigen "Populisten" (HPM und
ein paar FPOelern) ueberlassen, Volksabstimmungen zu fordern -- was eine
solche Volksabstimmung gleich noch unwahrscheinlicher macht. Eine Frau
Glawischnig meint, es solle doch keine nationale Volksabstimmung geben, weil
dies ja doch nur eine Abstimmung ueber die nationale Politik waere. Damit
hat sie wahrscheinlich recht, aber woran liegt das? Und: Sollte man dann
nicht ueberhaupt alle Wahlen ausser der NR-Wahl abschaffen? Denn alle Wahlen
sind in Oesterreich immer auch Abstimmungen ueber die Bundespolitik -- auch
deswegen, weil sie von den Massenmedien und den Bundespolitikern selbst dazu
gemacht werden.

Die Aeusserung Glawischnigs ist symptomatisch fuer die Vertreter aller
Parlamentsparteien: Das Volk ist bloed! Natuerlich ist das Volk bloed. Doch
warum ist es bloed? Hat es irgendeinen Grund sich politisch zu bilden, um
dann die richtigen Entscheidungen treffen zu koennen? Kaum. Denn was duerfen
wir denn schon bestimmen auf der relevantesten, auf der Ebene der
Bundespolitik? Direkt nur den Bundespraesidenten -- der in Normalzeiten de
facto nichts zum sagen hat. Alle 4 Jahre duerfen wir aus vier Moeglichkeiten
auswaehlen und ein Kreuzerl machen. Nachdem es schon lange keine "Absoluten"
mehr gibt, stellt jene Partei den Kanzler, die am besten gepokert und
gepackelt hat. Die demokratische Legitimation der Regierung ist damit schon
eine sehr indirekte. Und Spitzenbeamte, Industriellenvereinigung und
internationales Kapital kann man ueberhaupt nicht abwaehlen. Sprich: je mehr
jemand zu sagen hat, desto weniger ist er demokratisch legitimiert.

Volksabstimmungen hingegen gibt es in Oesterreich nur dann, wenn es unsere
eh sehr laue Verfassung verlangt (EU) oder wenn eine Regierung eine
Entscheidung nicht verantworten will (Zwentendorf). Und das war es auch
schon an Beispielen: In Oesterreich hat es seit Wiedererlangung der
Souveraenitaet eben nur diese beiden bundesweiten Abstimmungen gegeben -- in
49 Jahren!

Wenn dann aber ein paar aus dem Volk auf die Strasse gehen, um gegen die
Hohen Herren zu protestieren, dann wird das entweder voellig ignoriert --
weil Demos nunmal kein echtes Machtmittel darstellen -- oder vorsichtshalber
kriminalisiert und zusammengepruegelt.

Die Medienpolitik sieht aehnlich aus -- je maechtiger ein Medium ist, desto
mehr wird es gefoerdert und hofiert, weil man um die eigenen Machtpfruende
fuerchtet. In diesen Medien gibt es aber keine echte Systemkritik, sondern
es geht darum, politische Mandatare zu aergern und ungefaehrliche
Blitzableiter wie einen HPM zu positionieren -- der wurde auch erst
interessant, weil er vergessen hat, dass er einmal irgendwie ein Linker war.


Der eingangs geschilderte Bub wird vielleicht nicht beim Trotz bleiben.
Vielleicht wird er auch gewalttaetig werden, aus lauter Frustration und weil
er nichts anderes gelernt hat. Dann ist er der Verbrecher und der Kriminelle
und der Terrorist und alle heucheln dann Verwunderung: Seine Eltern, seine
Lehrer, seine Vorgesetzten.

Noch regrediert das Volk, wenn es aufgefordert wird, das zu erfuellen, was
bezeichnenderweise als staatsbuergerliche Pflicht und nicht als Recht
gesehen wird. Noch reagiert das Volk trotzig und haut das EU-Parlament, weil
es die anderen nicht ,daglengt'. Solange die oekonomischen Bedingungen so
sind, dass es einer deutlich ueberwiegenden Mehrheit einigermassen gut geht,
solange wird in Oesterreich und der EU das Spiel der Hohen Herren nicht
wirklich in Frage gestellt, und die Kritik erschoepft sich in eigenartigem
Wahlverhalten. Solange Machtlosigkeit nicht Konsumationsverlust bedeutet,
bleibt alles im Gruenen Bereich. Aber wehe, und es sieht immer mehr danach
aus, breite Bevoelkerungsschichten verarmen soweit, dass es fuer die
Lebensstandards in Industrielaendern unertraeglich wird.

Dann bleibt der Obrigkeit nur mehr der "Krieg gegen den Terror".

Um das zu vermeiden, bedarf es politischer Kraefte, die dem Volk, diesem
dummen Volk, etwas zutrauen. Auf das Umdenken des Establishments zu hoffen
oder sich mit ihm zu verbuenden, wird zuwenig sein. Frueher einmal hiess
das: Sozialismus oder Barbarei. Wenn auch "Sozialismus" wohl anders
verstanden werden muss, weil die gesellschaftlichen Verhaeltnisse sich
mittlerweile sehr gewandelt haben, muss man doch heute noch sagen: An dem
Spruch ist was dran!
*Bernhard Redl*





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