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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. Mai 2004; 15:53
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"Chronik"/Kommentar:

> Rechtsstaat -- oesterreichisch

Eine knappe Million Euro soll ein heute 30-jaehriger Gmundner dafuer
bekommen, dass man ihn 8 Jahre fuer einen Mord einsitzen hat lassen, den er
nicht begangen hat. Viel Geld -- aber wieviel sind eine geklaute Jugend und
die Jahre der Erniedrigung, fuer einen Moerder gehalten zu werden, wert?
Wohl mindestens jeden Cent davon.

Jetzt will das Justizministerium nicht zahlen. Boehmdorfer sagt, das gehe
ihn nichts an, der Strasser soll zahlen, schliesslich waren es die Fehler
seiner Ermittler.

Und da faengt es an, ganz besonders oesterreichisch zu werden. Natuerlich
ist das Innenministerium fuer die Handlungen seiner Beamten verantwortlich,
wenn diese Fehler oder gar vorsaetzliche Straftaten begehen. Aber hat die
Justiz nicht vielleicht auch ein kleines bisserl mit Schuld? Wozu gibt es
einen Untersuchungsrichter, wozu gibt es ein Hauptverfahren, ja, wozu gibt
es eine Unschuldsvermutung?

Herr Boehmdorfer ist wohl -- so wie schaetzungsweise 95% der Bevoelkerung --
fernsehkrimigeschaedigt. Da gibts einen Mord und dann gibts einen Kommissar
und dann gibts mehr oder weniger freundliche Einvernahmen und am Schluss
wird der Taeter ueberfuehrt und der Justiz fix-fertig zur Urteilsverkuendung
uebergeben.

Und leider: So laeuft das naemlich wirklich oft ab! Die Polizei ermittelt --
ab einem gewissen Stadium zwar im gerichtlichen Auftrag, aber das aendert
nicht viel an den Methoden -- und der U-Richter segnet ab. Demnaechst wird
das vielleicht noch lustiger, wenn mit der Justizreform der Staatsanwalt in
den meisten Faellen "Herr des Vorverfahrens" wird -- schliesslich sind
Staatsanwaelte ihrer Rolle gemaess noch weniger unparteiisch als U-Richter.
Doch egal ob Staatsanwalt oder U-Richter offiziell die Ermittlungen fuehren,
letztendlich ueberlaesst man ja doch -- vor allem bei Gewaltverbrechen --
die Arbeit "an der Front" grossteils der Polizei. Und wenn ein Polizist, der
schliesslich Ergebnisse liefern muss, sagt, das ist der Taeter und hier ist
der Beweis, dann geht das meistens auch vor Gericht durch.

Doch Polizisten sind Menschen. Sie machen Fehler, sie haben Vorurteile und
sie sind interessensgeleitet. So sind sie vor allem auch Partei in diesem
Verfahren und nicht unparteiische Hilfsrichter. Doch das blenden die echten
Richter gerne aus. Denn sie sind nicht nur Beamte wie die Polizisten, sie
sind eben auch Menschen wie diese und sie wollen rechtzeitig zum
Mittagessen. Auch sie wollen es lieber einfach. Aber sie sitzen eben dort,
um es sich nicht einfach zu machen -- dafuer verdienen sie zu gut und sind
zu gut abgesichert. Ein Richter hat nicht nur das Recht, sondern er hat auch
die Pflicht, sich -- so notwendig -- Feinde bei den Ermittlungsbehoerden zu
schaffen. Er hat jedes I-Tuepfelchen einer Anklage, ganz besonders einer
Mordanklage, zu pruefen. Genau dafuer ist er Richter, dafuer naemlich, jedem
Zweifel nachzugehen und im Falle eines Kapitalverbrechens diese Zweifel auch
den Geschworenen vermitteln. Aber unsere Richter sind ueberlastet, die
Verfahren ziehen sich in die Laenge, die Untersuchungshaft wird ueber
Gebuehr ausgedehnt, irgendwann muss ja doch wohl Schluss sein mit dem
Zweifel und der Beweiswuerdigung.

Und genau da hakt es im System. Schluss mit dem Zweifel duerfte nur heissen:
in dubio pro reo! Wenn man es nicht beweisen kann, hat der Beschuldigte frei
zu gehen und als unbescholten zu gelten -- das hiesse Rehabilitierung und
Vernichtung der Polizeiakten. Letzteres passiert sowieso nicht, aber auch
die Unschuldsvermutung wird eher locker gehandhabt.

Das aber ist genau der Fehler im buergerlichen Rechtsstaat -- egal, ob es um
Justiz, Verwaltung, Gewaltentrennung oder demokratische Rechte geht, es ist
immer das gleiche Strickmuster: Der buergerliche Rechtsstaat verkuendet
hehre Ideale -- aber er nimmt sie selbst nicht ernst. Das erwartet er nur
von seinen Untertanen.

Dass Heidegger jetzt freiging und Anrecht auf Entschaedigung hat, ist nicht
einmal die Ausnahme, die die Regel bestaetigt. Denn jene Justiz, die ihm
letztendlich doch zu seinem Recht verholfen hat, ist die selbe Justiz, die
ihn 8 Jahre seines Lebens zum Moerder gemacht hat. Dann aber zu sagen:
"Tschulligung, mir koennen nix dafuer, die Polizei ist schuld!" ist eine
Frechheit.

*Bernhard Redl*


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